PASSIERT
Aus dem Leben mit dem Wort

Nach der Scheidung meiner Eltern ging mein Vater andere Bindungen ein; so habe ich vier Halbgeschwister. Die Eltern meines Mannes sind beide alkoholabhängig. Es gibt immer wieder Krisen in dieser komplexen Familie. Vor Jahren schon beschlossen mein Mann und ich, dazu beizutragen, dass Ruhe zwischen allen einkehren kann. Das erfordert Kreativität, Zeit und auch Geld für Einladungen und Feste. Aber wir erleben, dass „jemand“ mitdenkt. So hatten wir eine Geburtstagsfeier für eine Halbschwester organisiert. Im letzten Moment wurde uns klar, dass wir an alles gedacht hatten, nur nicht an ein Geschenk. Ohne davon zu wissen, half uns eine Nachbarin: Sie hatte eine schöne Bluse gekauft, die sich jedoch als zu klein erwies, und gab sie uns. Es war genau das richtige Geschenk; Größe und Farbe waren perfekt.
E.S.
Ich arbeite in einem therapeutischen Beruf. Früh morgens kam meine achtjährige Tochter zum Kuscheln zu mir ins Bett und fragte: „Mama, macht dir eigentlich dein Beruf Spaß?“ – „Na klar. Ich freue mich, wenn ich anderen helfen kann“, erwiderte ich. „Dann hilfst du also dem lieben Gott! Der will ja, dass es uns Menschen gut geht!“ – „Ja, das glaube ich auch“, antwortete ich. „Und weißt du“, fuhr sie fort, „wir Kinder helfen auch dem lieben Gott!“ – „Wie und warum?“, fragte ich nach. „Wir haben heute früh die Spülmaschine ausgeräumt, dann haben Papa und du mehr Zeit, um Menschen zu helfen.“
H.W.
Ein arbeitsintensiver Tag ging zu Ende. Auf dem Rückweg von einem Termin kam mir auf der Autobahn das Motto, das ich mir morgens mitgenommen hatte: „Entdeck die Handschrift Gottes!“ Ich hatte viele kleine Dinge gemacht; ich war Menschen begegnet, die sich nicht auf Neues einlassen konnten. So fragte ich Gott: „Und wo war heute deine Handschrift?“ – Während ich darüber nachsann, begann die Sonne unterzugehen. Ich fuhr auf einen Parkplatz, um dieses Schauspiel der Schöpfung zu betrachten. Auf einmal hatte ich den Eindruck: Du bist mitten drin in diesem Geschehen. Da umarmt dich jemand so liebevoll, wie es inniger kaum sein kann; seine Handschrift. Aus Dankbarkeit und Freude begann ich, ein Lied zu singen.
M.W.
Vor einiger Zeit musste ich mein geliebtes Fahrrad in die Garage verbannen. Augenprobleme und auch mein Alter hatten mich dazu bewogen, zu Fuß zu gehen. Zum Glück wohne ich in einer kleinen Stadt, wo alles, was ich brauche, erreichbar ist. Trotzdem hat mich dieser Verzicht viel gekostet. Immer wieder musste ich zu diesen Umständen innerlich Ja sagen. Nach und nach entdeckte ich dann aber auch Vorteile des Verzichts. So gibt mir das Gehen die Möglichkeit, mit den Menschen, denen ich begegne, zu plaudern, Trauriges oder Fröhliches mit ihnen zu teilen. Mit einigen sind bereichernde Beziehungen entstanden. So scheint mir der Verlust nun fast wie ein Gewinn.
M.I.
Die rebellische Pubertät eines unserer Kinder verbunden mit Depressionen, Panikattacken, zerstörerischen Freundschaften und Süchten hatten eine tiefe Wunde in unserer Familie gerissen. Mir schien, dass ich als Mutter versagt hatte, und ich verschloss mich mehr und mehr. In mir wuchsen Wut und feindselige Gefühle. Auch gegenüber meinem Mann und den anderen Kindern wurde ich immer negativer. Eine liebe Freundin riet mir, mit jemandem zu sprechen. Es war dann, als ob Gott die dicken Mauern meines Herzens, in denen meine Tränen eingeschlossen waren, durchbrach. Ich weinte lange, schrie all die schrecklichen Dinge heraus, die unserem Sohn im Lauf der Jahre widerfahren waren. In der Liturgie diese Tages traf mich ein Satz: „Ich will dir ein Herz aus Fleisch geben.“ (Ezechiel 36,26) Es war ein Weg. Aber nach und nach fand ich wieder Frieden und konnte auch unseren Kindern wieder zur Seite stehen.
W.Z.
Ich hatte zu viel angesammelt und entschied, persönliches Hab und Gut an Menschen verschenken, die es brauchen könnten. Ich begann mit zwei teuren Jacken, die ich nur selten trage. Damit ging ich zu meiner marokkanischen Nachbarin. Sie mochte sie und bat mich im Gegenzug, einen neuen, nie getragenen beigen Mantel anzunehmen. Ich zögerte, denn es war mit Arbeit verbunden. Nun musste ich auch dafür „Abnehmer“ finden. Zwei Stunden später traf ich aber schon eine Freundin, die den Mantel gerne für ihre Schwester annahm, die nur beige trägt. Das Abenteuer ging weiter. Ich kann es überschreiben mit: „Gib und es wird dir gegeben werden.“ Tatsächlich erhielt ich so Möbel, Geschirr und Wäsche für die Wohnung, in die ich vor Kurzem eingezogen war. Oft scheint es in der Schweiz schwierig, die Schwelle eines Nachbarhauses zu überschreiten – aus Sorge zu stören. Aber wie viel Menschlichkeit verbirgt sich doch hinter den Türen!
I.S.
Meine Frau und ich waren spazieren. Bei dem Haus einer befreundeten Familie sagte sie: „Ich muss hier noch schnell etwas abgeben; bin gleich wieder da.“ Ich blieb vor dem Haus auf dem Gehsteig; wartete und wartete. Langsam wurde ich ungeduldig, negative Gedanken stiegen hoch. Ich schaute auf die Uhr. Fünf Minuten wollte ich ihr noch geben, dann würde ich Sturm läuten. Dann kam mir ganz unerwartet: „Segne doch in der Zwischenzeit alle die Personen, von deren Not du weißt.“ Gedacht, getan. Erstaunt stellte ich fest: Ungeduld und negative Gedanken verschwanden und ich konnte meiner Frau dann gelöst begegnen.
G.W.
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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Mai/Juni 2023.
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