3. August 2023

Nachbarn

Von nst5

Offener Brief an Patriarch Porfirije Perić

Sehr geehrter Herr Patriarch!
Sie sind ein Kirchenmann, für den alle Personen die gleiche Würde haben – nicht nur Serben oder orthodoxe Christen, sondern auch Katholiken und Muslime, Kroaten und Kosovaren! Dass Sie immer wieder öffentlich darauf pochen, ist nicht selbstverständlich, sondern sehr mutig, wenn man die konfliktträchtige Geschichte der Völker des ehemaligen Jugoslawiens und die zum Teil immer noch angespannten Beziehungen zwischen ihnen sieht!
Für Ihren versöhnlichen und geschwisterlichen Kurs müssen Sie zuweilen herbe Kritik aus den eigenen Reihen einstecken. So auch für Ihr langjähriges Bemühen um ein besseres Miteinander zwischen serbisch-orthodoxer und römisch-katholischer Kirche. Seit vielen Jahren pflegen Sie gute Beziehungen zu vielen Bischöfen und Kardinälen. 2016 wurde Ihnen für eine Geste der Ehrerbietung gegenüber Papst Franziskus Verrat an der Orthodoxie vorgeworfen.
Dennoch lassen Sie sich nicht davon abhalten, politisch oder kirchlich Zeichen zu setzen. Anfang 2021 haben Sie, noch als Metropolit von Zagreb, mit Kardinal Bozanić die beiden Kathedralen der kroatischen Hauptstadt besucht, die bei Erdbeben im Jahr zuvor schwer beschädigt worden waren. Ereignisse wie die Erdstöße erinnerten daran, dass die Menschen berufen sind, „in Verschiedenheit einig zu sein“, sagten Sie bei dieser Gelegenheit: „Wenn wir im Anderen den Nachbarn sehen, dann werden alle Schwierigkeiten leichter, und sie werden leichter zu überwinden sein.“
Dass die serbisch-orthodoxe Kirche nicht will, dass Serbien die 2008 vom Kosovo erklärte Unabhängigkeit anerkennt, fällt mir schwer anzunehmen, zumal dort nur eine serbische Minderheit lebt. Zu erfahren, dass Ihre Kirche Kosovo als ihr Kernland und eigentliche Heimat betrachtet, ermöglicht mir zumindest einen Zugang zu dieser Haltung. Um so mehr beeindruckt, dass Sie von den „albanischen Brüdern“ im Kosovo sprechen und immer neu zu gegenseitigem Verständnis aufrufen. Das Feld dürfe nicht jenen überlassen werden, die Zwietracht schürten und eigene Interessen verfolgten, betonten Sie schon bald nach Ihrer Inthronisation als Patriarch.
Als junge Männer im Südwesten Serbiens ausgerechnet am orthodoxen Weihnachtsfest Anfang 2022 Hassparolen gegenüber muslimischen Bosniaken verbreiteten und sie bedrohten, reagierten Sie traurig und empört und verurteilten das Verhalten scharf. Orthodoxe Christen müssten durch ihr Leben bezeugen, dass jeder Mensch unabhängig von Religion und Nationalität ein Bruder oder eine Schwester ist, forderten Sie stattdessen.
Erst Ende Mai kam es nach Bürgermeisterwahlen im Nordkosovo zu heftigen Zusammenstößen, bei denen über fünfzig Serben und rund dreißig KFOR-Soldaten verletzt wurden. Daraufhin riefen Sie erneut zu Frieden und Versöhnung auf. Sie beteten um die Sicherheit für die Serben genauso wie für alle anderen Bewohner im Kosovo.
Danke also aus ganzem Herzen: Für Ihr klares Bekenntnis, dass alle Menschen gleichermaßen Kinder Gottes sind! Dass Sie Hass und Gewalt konsequent ablehnen und Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse immer wieder die Hand entgegenstrecken! Möge das vielen auf dem Balkan Mut und Hoffnung geben und sie zur Nachahmung anstecken!

Mit freundlichen Grüßen

Clemens Behr, Redaktion NEUE STADT

Porfirije Perić,
geboren am 22. Juli 1961 mit dem Namen Prvoslav Perić, ist seit Februar 2021 der 46. Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche. Bei seiner Mönchsweihe 1985 erhielt er den Namen Porfirije. Als Patriarch trägt er zudem die Titel Metropolit von Belgrad und Karlovci sowie Erzbischof von Peć. Er gilt als theologisch hochgebildet und engagiert sich für die Versöhnung zwischen römisch-katholischen und orthodoxen Christen sowie für den Frieden.


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, Juli/August 2023.
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