5. Oktober 2023

Alleinstehend das Leben meistern

Von nst5

In unserer familien- und paarorientierten Gesellschaft

geraten Alleinlebende zu oft aus dem Blick. Eine Lernerfahrung.

„Wie seid ihr denn auf dieses Thema gekommen?“ Diese Frage hören wir hin und wieder in der Redaktion – und manchmal stellen wir sie uns auch selbst. Insbesondere dann, wenn wir beginnen, uns intensiver in ein Thema zu vertiefen. Da tun sich oft Horizonte auf, die wir bei allem Überlegen und Abwägen vorher nicht erahnt hatten. Beim Schwerpunktthema dieser Ausgabe „Als Single leben” ist uns das besonders stark aufgefallen.
Tatsächlich hatten die ersten Anregungen zu diesem Thema vor allem die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen im Blick. Seit Jahren steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte in unseren Ländern kontinuierlich. Wissenschaftler nennen dafür unterschiedliche Gründe: Demografische Faktoren wie der Rückgang der Geburten und die Zunahme der Lebenserwartung führen zu kleineren Haushalten. Verbesserte Bildungswege und soziale Sicherungssysteme tragen dazu bei, dass insbesondere Frauen weniger als in vergangenen Jahrhunderten auf die wirtschaftliche Absicherung in einer Partnerschaft angewiesen sind. Das veränderte Bindungs- und Heiratsverhalten und eine spätere Familiengründung sind Gründe für einen hohen Anteil an Singlehaushalten bei jungen Leuten. Lange Ausbildungswege und der späte Eintritt ins Berufsleben führen dazu, dass junge Menschen sich erst einmal auf Beruf und Karriere konzentrieren. Die Hemmschwelle, enge Bindungen einzugehen, scheint höher als in vergangenen Jahren.
Diese Entwicklungen haben Auswirkungen – so hat die Wirtschaft Singles verstärkt als Zielgruppe entdeckt und etwa mit kleineren Verpackungsgrößen bei Lebensmitteln reagiert. Fragen stellen sich auch für Politik und Gesellschaft – was Wohnraum und soziale Fragen betrifft. All das sind Aspekte, die zum Thema „Singles“ gehören – und nicht unwichtig sind.
Trotzdem drängte sich uns immer mehr die Frage auf: Muss unser Blick nicht zuallererst auf die Menschen gerichtet sein? Wie erleben sie ihre Situation? – An diesem Punkt begann ein spannender Weg. Wir haben mit vielen gesprochen. Dass dabei auch unterschiedliche Gefühle, Schmerz und Leid, sowie Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen zur Sprache kamen, hat uns nicht überrascht. Wohl aber die Tiefe der Emotionen und wie verborgen diese häufig sind. Darüber zu reden, fiel den meisten nicht leicht – obwohl sie gleichzeitig dankbar waren, dass sich jemand dafür interessierte.

Illustration: © Toltemara (iStock)

Auf den nächsten Seiten teilen drei Personen ihre Erfahrungen und Gedanken. Das ist ein großes Geschenk. Auch bei ihnen klingen Höhen und Tiefen an und dass ihr Leben als Single sie immer wieder vor Herausforderungen stellt.
Zusätzlich haben uns in der Redaktion noch Aussagen aus anderen Gesprächen getroffen und waren für uns Teil unserer Lernerfahrung:

„Allein sein ist nicht für alle gleich.“ Hinter dem Begriff „Single“ verbergen sich viele verschiedene Umstände: Menschen, die aktiv einen Partner suchen, weil sie ihn bisher (noch) nicht gefunden haben oder nicht (mehr) in einer Beziehung leben. Andere sind geschieden oder verwitwet. Manche leben bewusst allein, weil sie sich einer Aufgabe, einem Beruf oder einer Berufung zur Verfügung stellen wollen. Diese unterschiedlichen „Beweggründe“ für das Alleinleben wirken sich auch darauf aus, wie jemand zu seiner Situation stehen kann.
„Unsere Gesellschaft und auch die Kirchen sind paar- und familienorientiert. Alleinlebende spielen keine Rolle.“ Tatsächlich gibt es – außer Partnerbörsen und Speed-Dating-Runden – vor allem Angebote für Familien, Kinder, Jugendliche, … dann wieder für Trauernde oder andere spezielle Lebenssituationen, aber eben kaum Räume für alleinlebende Menschen, wo sie sich treffen, austauschen, auch spezifischen Rat und Hilfe finden können.
Daher haben viele den Eindruck, dass sie „nicht oder zu wenig wahrgenommen“ werden. Sie beobachten, dass Menschen nicht wissen, wie sie reagieren sollen, wenn jemand sagt, dass er/sie keine Familie hat. Häufig werde das Thema gewechselt. Alleinlebende fühlen sich ausgeschlossen oder als „fünftes Rad am Wagen“.
Die Sehnsucht nach einer Partnerschaft oder die Enttäuschung, sie nicht gefunden zu haben, ist für viele alleinlebende Menschen ein Faktor – „wie eine Wunde“. Wenn sie dann noch von anderen bemitleidet werden oder – schlimmer noch – den Eindruck haben, mit (Vor-)Urteilen betrachtet zu werden – „Was mag da nicht stimmen?“ – ist es, als würde diese Wunde immer wieder aufgerissen. Manche ziehen sich zurück oder fühlen sich in Selbstzweifeln bestärkt. Sie haben das Gefühl des Scheiterns, des Ungenügens, persönlicher Unzulänglichkeit, ja sogar der Scham.

Illustration: © Toltemara (iStock)

Zusätzlich verstärken kann das die Sprache: Singlesein wird oft beschrieben als unverheiratet, unverpartnert, allein sein. Daraus ergibt sich das Bild von etwas unfertigem, nicht vollständigem. Das lässt schwer zur Ruhe kommen. Nicht nur da wirken alte Rollenbilder intensiv nach. Wenn jemand allein lebt, wird oft Egoismus, wenig Bindungsbereitschaft vermutet.
Manchmal fühlen sich Alleinlebende auch durch Mitleid und gutgemeinte Ratschläge bedrängt. Oder durch Erwartungen überfordert: „Wer keine Familie hat, kann doch mehr und länger arbeiten.“
Eine echte Herausforderung sind Feste und Feiertage. Wo andere in Familie oder Partnerschaft überlegen, wie sie die gestalten, sind Alleinlebende gefordert, das selbst zu meistern. Bedrängend wird diese Frage noch einmal im Alter oder bei Krankheit. Sich ein Netzwerk an guten Freunden aufzubauen, ist für viele „lebensnotwenig“.
Sicher, jeder Lebensstand hat Herausforderungen. Nirgends gibt es nur rosarote Wolken. Auf eigenen Beinen stehen, mit sich und dem eigenen Leben in Einklang, und es dann zu meistern, ist mal beglückend, mal immense Herausforderung. Nicht nur für Singles. Trotzdem haben wir genau sie als Gesellschaft, Gemeinschaften und Kirchen wohl zu wenig im Blick. Vielleicht sind diese Seiten ein Ansporn, ihn zu weiten – mutig und sensibel ins Gespräch zu kommen … und so vielleicht neue Lernerfahrungen zu machen.
Gabi Ballweg


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, September/Oktober 2023.
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