7. April 2025

„Gott spricht zu meiner Sehnsucht“

Von nst5

Clarina Mayr macht immer wieder die befreiende Erfahrung,

dass Gott größer ist als ihre Angst.

„Heute sage ich ganz bestimmt nichts mehr!“ Augenzwinkernd wendet sich Clarina Mayr an die kleine Gruppe junger Erwachsener um sie herum. Sie sind in der Wohnung der Fokolar-Gemeinschaft der Frauen in Innsbruck zusammengekommen, weil sie besser verstehen wollen, wie die verschiedenen Schattierungen der Liebe Gottes und die Antwort darauf ihren Alltag prägen können. Drei Stunden lang hatte die 21-Jährige zuvor – unter vier Augen – Einblick in ihr Leben, ihre Suche und ihren Glauben gegeben.
Clarina Mayr ist mit ihren Eltern und den drei Schwestern Celina, Cordula und Catharina in Thaur (Tirol) aufgewachsen. Zur Familie zählt auch ein Geschwisterchen, das während der Schwangerschaft gestorben ist. Clarina hat 2021 die Matura abgelegt und danach Augenoptik an der Fachhochschule Innsbruck studiert. Seit Oktober 2024 arbeitet sie als Kontaktlinsenoptikerin.

Alle Fotos: privat

Von Klein auf haben die Eltern ihren Schwestern und ihr den Glauben mitgegeben. Regelmäßig fuhr die Familie an den Wallfahrtsort Schio in Norditalien. „Ich bin dankbar dafür“, meint Clarina. „In den Glauben hineingenommen worden zu sein, hat meine Freiheit nicht eingeschränkt. Irgendwann kam ja sowieso der Moment, in dem ich mich selbst entscheiden musste.“
Diese Entscheidung hat Clarina getroffen: „Gott hat einen zentralen Platz in meinem Leben“, sagt sie in aller Einfachheit und Klarheit. Es gab immer wieder Augenblicke, in denen sie ihr persönliches Ja zu Gott, zu Jesus und zum Glauben sagen konnte: bei Jugendfestivals, in der Stille, in der Begegnung mit anderen. Ein Moment aber strahlt heraus: In einer Nacht voller bedrängender und eindrücklicher Gedanken vor etwa zwei Jahren fühlte sie unerwartet ein Feuer und eine Fülle in sich. „Dort spürte ich den Wunsch und die Sehnsucht, Jesus ganz entschieden nachzugehen, ihm aktiv zu folgen.“
Die Innsbrucker Gruppe hat sich inzwischen per Videokonferenz mit anderen jungen Erwachsenen in verschiedenen Teilen Österreichs verbunden. Jetzt sind sie etwa 30. Ihr Thema: Die Liebe ist wie das Licht. Wenn das Licht auf einen Wassertropfen fällt, bricht es sich in die Farben des Regenbogens. So ist es auch mit der Liebe. Sie hat viele Schattierungen und kann jeden Aspekt unseres Lebens prägen: den Umgang mit Geld, das Gebet, das Leben in Gemeinschaft – und auch die Freizeit.
Eine der großen Leidenschaften von Clarina ist die Musik. Als kleines Mädchen hatte sie ihre Tante Harfe spielen sehen. Ein Jahr lang bearbeitete sie daraufhin ihre Mutter, dass sie dieses Instrument auch erlernen wolle. Mit Erfolg: Seit sie sechs Jahre alt ist, spielt sie das Zupfinstrument. Außerdem singt sie im Gospelchor der Hochschulpfarrei Innsbruck. Im Oktober haben sie an einem Nachmittag in Straßenbahnen der Landeshauptstadt gesungen. „Ein unvergessliches Erlebnis“, erinnert sie sich. „Es war so schön zu sehen, wie sich die Gesichter der Mitfahrenden aufgehellt haben.“
Humor im Alltag hilft ihr, die Welt mit einem Schmunzeln zu betrachten, und Kreativität, sie etwas schöner zu machen. So gestaltet sie etwa Flyer, Karten und auch Schmuck.
Zum Gespräch hat Clarina ihre Bibel mitgebracht. Viele Passagen darin hat sie mit verschiedenen Farben markiert. Immer wieder sucht sie eine Stelle heraus, die ihr ein Schlüssel ist, um zu deuten, was sie erlebt – in ihrem Inneren und mit anderen Menschen. „Die Bibel ist anders als die anderen Bücher“, sagt sie. „Sie erfüllt das Herz und lässt Hoffnung finden.“
Besondere Freude hat sie an vermeintlichen Zufällen. Dieser etwa: „Ich bin an einem 14.5. geboren. Und Vers 14 im 5. Kapitel des Evangeliums nach Matthäus lautet: ‚Ihr seid das Licht der Welt.‘“ Als ihr das zum ersten Mal auffiel, dachte sie nur: „Wow! So persönlich kann Bibellesen sein.“ Ein Satz, der sie außer an ihren Geburtstag auch an ihren Namen erinnert (Clarina = hell, glänzend) und ihr zeigt, wie wichtig sie in Gottes Augen ist.

Orte für den Glauben im Alltag sind Clarina wichtig. Zwei ganz unterschiedliche solcher Orte hat sie gefunden: die Loretto Gemeinschaft und die Fokolar-Bewegung, „zwei Schätze“, wie sie sagt. Sie lässt sich auch nicht davon irritieren, dass sie in beiden Gemeinschaften immer wieder Kritik an der jeweils anderen hört: zu fromm oder zu wenig fromm, zu offen oder zu wenig offen.
Die Loretto Gemeinschaft hat Clarina durch eine Freundin kennengelernt, als sie 13 oder 14 Jahre alt war und das normale Gemeindeleben „zum Einschlafen“ war. Hier schätzt sie, dass sie mit anderen jungen Menschen die direkte Beziehung zu Gott finden kann. „Im Lobpreis stehe ich vor Gott und bete mit dem ganzen Körper.“
Kürzlich erst hat sie mit etwa 20 anderen an einem Loretto-Wochenende in Innsbruck teilgenommen. Das Thema: „Das Vaterherz Gottes“. Clarina: „Ich habe diese Tage gebraucht, damit meine Seele zur Ruhe kommt. Immer wieder scheint mir, dass Gott unnahbar ist, weit weg. Aber bei solchen Begegnungen erlebe ich wieder: Er ist lebendig. Nicht nur eine Erzählung.“
Gott macht sich bemerkbar. Oder mit ihren Worten: „Gott spricht in meine Sehnsucht.“ Das hat sie als Teenager in der Begegnung mit der Loretto Gemeinschaft erfahren und jetzt – als junge Erwachsene – im Leben mit der Fokolar-Bewegung: Hier ist sie dankbar für den direkten Weg zum Menschen, für die Erfahrung der konkreten Liebe, für die Offenheit, die einen Freiraum für jede und jeden bietet. „Hier lerne ich, das Herz für alle Menschen offenzuhalten – egal, ob gläubig oder nicht.“ Jesus, so Clarina weiter, sei gerne bei allen Menschen. „Er schenkt Freiheit. Ohne Freiheit gibt es keine Liebe.“ Jeder Mensch sei auf der Suche nach Tiefe. „Wir sind gemeinsam auf der Suche und entdecken das leise Wirken Gottes. Er hat seine Zeit. Egal was für Sehnsüchte unser Herz bereithält, Gott antwortet jeder und jedem ganz persönlich.“

Als Jugendliche waren ihre Eltern bei der Fokolar-Bewegung. Daher wusste Clarina ein wenig davon. Sie selbst ist hineingewachsen, als sie gefragt wurde, eine Fahrt zum Weltjugendtag 2023 in Lissabon mit vorzubereiten. Hier habe sie eine Atmosphäre gefunden, in der es ihr einfach gut gehe. Und in der sie etwas geben konnte. „Wir haben einander gern und begegnen Gott in der Liebe.“
Was bei der Vorbereitung auf den Weltjugendtag und in Portugal selbst begonnen hat, geht bis heute weiter. Die Gruppe trifft sich regelmäßig zum Austausch, zum Spielen und zum Einsatz für andere. Und sie wächst. Auch Clarina hat ihre Freundinnen eingeladen – und sie sind tatsächlich gekommen, weil sie sich angenommen wissen.
Wenn Clarina schmunzelnd ankündigt: „Heute sage ich nichts mehr“, meint sie vor allem, dass sie in den Stunden zuvor schon genug geredet habe. Das fällt ihr nicht immer leicht. Oft, so sagt sie von sich selbst, ist sie unsicher, ja ängstlich, und weiß nicht, was sie sagen soll. „Manchmal wissen die Leute nichts mit mir anzufangen.“ Das gilt vor allem in Smalltalk-Situationen, aber eben manchmal auch, wenn sie über ihren Glauben sprechen möchte.
Eine starke Erfahrung, geradezu eine Befreiung war es da, als sie im Evangelium auf die Stelle stieß, die davon berichtet, wie Jesus auf einem Eselsfohlen in Jerusalem einzog: „Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die Schar der Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten. Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe! Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, weise deine Jünger zurecht! Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien“ (Lukas 19,37ff).
„Die Steine schreien!“ Zu erkennen, dass Gott Wege findet, sich selbst zu bezeugen, auch wenn sie keine Worte findet, das gibt ihr Freude, Kraft und Leichtigkeit.
Und doch bleibt die Angst ein Thema. Sie wird schwächer, kommt seltener, Clarina kann besser mit ihr umgehen. Aber sie ist immer wieder da. Dann sagt etwas in ihr: „Du kannst das nicht.“ – „Andere sind viel besser.“ – Du bist der Liebe Gottes nicht würdig.“ – „Gib es auf.“
„Ich weiß, dass das nicht stimmt“, sagt die junge Frau mit fester Stimme. „Das sind Lügen!“ Und sie fährt fort: „Aber wem glaube ich in solchen Momenten? Glaube ich dieser Stimme in mir? Diesen Lügen? Oder glaube ich, was Gott sagt: ‚Ich bin da‘ und: ‚Fürchte dich nicht.‘“ Inzwischen weiß sie, dass es ihr in schwierigen Situationen hilft, laut auszusprechen, dass sie Gottes Zusagen traut.

Lange Zeit hatte sie gehofft und gebetet, dass Gott ihr die Angst gänzlich nehmen möge. Doch sie hat erkannt, dass sie in den – seltener gewordenen – Momenten der Ängstlichkeit die Größe der Verheißungen Gottes neu schätzen lernt. Ein Beispiel: „Denn ich, ich kenne die Gedanken, die ich für euch denke – Spruch des HERRN -, Gedanken des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben“ (Jeremia 29,11). „Gott kann mehr als ich denke“, meint Clarina. „Die Gefahr ist ja, dass ich so von Gott denke, wie ich von mir selbst denke.“
Dank ihrer Suche und auch ihres Ringens seit Teenager-Zeiten weiß die junge Frau besser, wer sie ist und wer Gott ist. Es sei Jesus, der uns zeige, wie Gott ist, wenn er etwa sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele“ (Matthäus 11,28f).
„Wo“, fragt Clarina voller Dankbarkeit, „wo gibt es so etwas schon? Wer kann das von sich sagen? Wer sonst kann so eine Ruhe geben?“
Auch für die Antwort auf die Frage: „Wer bin ich – vor Gott und mit Gott?“ greift sie auf eine Bibelstelle zurück: „Verkauft man nicht fünf Spatzen für zwei Pfennige? Und doch ist nicht einer von ihnen vor Gott vergessen. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen“ (Lukas 12,6f).
Clarina: „Wie wichtig bin ich doch für Gott! Wie wichtig sind alle Menschen für Gott! Wir sind seine Lieblingskinder.“ Diese innere Gewissheit erlaubt es ihr, sich anderen zuzuwenden. Kleine Aufmerksamkeiten machten viel aus. Allein gut zuzuhören könne schon viel bewirken: „Es ist nicht so schwer, Gutes zu tun und Liebe zu zeigen – selbst, wenn ich jemanden nicht mag.“
Nach ihren Wünschen für die Zukunft befragt, meint Clarina entwaffnend: „Ich erwarte mir noch mehr von Gott.“ Sie möchte offen sein für den Geist Gottes; ihm folgen in dem, was er zeigt. Sie hofft, von Bindungen und Abhängigkeiten – etwa vom Handy – frei zu werden, Regelmäßigkeit im Gebetsleben zu finden und Vergebung annehmen zu können. Im Gespräch im Innsbrucker Frauenfokolar ist Clarina dann doch eine der Ersten, die etwas sagt: „Ich bin dankbar für die Tiefe, die unser Zusammensein bei aller Offenheit und Weite auch hat.“ Ihre Ängstlichkeit hat eben nicht das letzte Wort.
Peter Forst


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Der Artikel oben ist erschienen in der NEUEN STADT, März/April 2025.
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