22. Juni 2016

Hilfe, Gefühle!

Von nst1

Mit einer Frau in meiner Gemeinde komme ich einfach nicht klar. Ich habe schon etliche Male versucht, die Beziehung neu zu beginnen und sie mit neuen Augen zu sehen. Trotzdem empfinde ich ihr gegenüber großen Ärger.

Es ehrt Sie, mit wie viel Einsatz Sie sich um eine gute Beziehung bemühen! Wenn für Sie das Empfinden von Ärger bleibt, lohnt es sich, dieses Gefühl näher zu beleuchten. Übersetzt sagt es Ihnen: „Achtung, hier stimmt etwas noch nicht!“

Emotionen wie Ärger, Wut, Rache oder das Ignorieren von Empfindungen können als Reaktionen auf tiefer liegende, primäre Emotionen gesehen werden. Als primäre Gefühle gelten zum Beispiel Angst, Trauer, Verletzung oder Einsamkeit. Weil diese Gefühle manchmal schwer zu ertragen sind, fällt es uns schwer, sie wahrzunehmen oder anderen mitzuteilen. Wir bleiben dann lieber nett und freundlich, statt uns unsere Traurigkeit zuzugestehen und sie anzunehmen. Wie wäre es, wenn man sich selbst und dem anderen ab und zu seine primären Emotionen zumuten würde: „Ich wünsche mir eine gute Beziehung und ich bin traurig, dass wir das nicht hinbekommen.“ (Trauer) Oder: „Ich habe Angst davor, abgelehnt zu werden.“ (Angst) Oder: „Ich fühle mich alleine und in der Gemeinde nicht zu Hause.“ (Verlassenheit, Einsamkeit)?

Sich selbst so viel Intimes zuzugestehen und sogar noch anderen mitzuteilen, ist nicht einfach. Anstatt die Kontrolle zu behalten, zeigt man sich verletzlich. Vielleicht wird man das nicht in jeder Beziehung tun wollen. Wo man sich dafür entscheidet, kann ein Kontakt aber an echter Tiefe gewinnen – zu mir selbst und zu anderen. Und unserem Gegenüber wird es mit seinen Emotionen wohl ähnlich gehen.
Sebastian Baumann

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2016)
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