10. Januar 2010

Kippschalter im Gehirn

Von nst_xy

Vom 7. bis 14. Februar soll an vielen Orten im Rahmen der „Marriage Week“ wieder Gutes für Ehepaare angeboten werden. Wie wichtig es ist, Ehe und Partnerschaft zu unterstützen, unterstreicht in unserem Gespräch Kurt Hahlweg. Der Psychologe setzt dabei vor allem auf eine Verbesserung der Kommunikation unter Paaren.

Herr Hahlweg, wie steht es um Ehe und Partnerschaft in unseren Landen?
Hahlweg:
Den Umfragen nach sind unsere wichtigsten Werte immer noch: Familie, Partnerschaft, Intimität. Die kommen meist sogar vor der Gesundheit und dem Beruf.

Wie erklären Sie sich das?
Hahlweg:
In unserer Gesellschaft wird es immer schwieriger, jemanden zu finden, bei dem man seine Sorgen abladen kann. Da reicht der Freundeskreis in der Regel nicht aus. Die meisten sagen, dass sie dafür jemanden brauchen, dem sie wirklich vertrauen können. Und 80 bis 90 Prozent heiraten ja auch. Das Single-Dasein ist eine Zwischenstufe, die die meisten nicht wollen. Allerdings verschiebt sich der Zeitpunkt der Heirat immer mehr nach hinten. Und das hat natürlich etwas mit unserer gesellschaftlichen Situation zu tun: Die Ausbildung dauert länger, man will erst einen Beruf haben und so weiter.

Hängt das nicht mit einer tief sitzenden Bindungsscheu zusammen?
Hahlweg:
Nein, das glaube ich nicht. Meines Erachtens sind das vor allem pragmatische Gründe, vor allem der Wunsch nach gesicherten Lebensverhältnissen. Aber auch bei der späteren Heirat steigt die Scheidungsrate. Sie wird inzwischen auf etwa 45 Prozent geschätzt.

Wie kommt’s?
Hahlweg:
Ein Grund ist sicher, dass der Anspruch steigt, je länger man wartet. Alle wollen eine gute Beziehung, und je länger sie das hinausschieben, um so höher wird das Ideal, das sie anstreben und um so größer die Gefahr, dass der Partner dann diesem Anspruch nicht gerecht werden kann.

Aber das ist nicht der einzige Grund für hohe Scheidungsraten!
Hahlweg:
Natürlich nicht! Uns Psychologen interessiert die Frage: Warum kommen zwei Menschen, die einander lieben und einen Bund für’s Leben schließen, auf einmal nicht mehr miteinander aus? Und unsere Antwort lautet: Ein entscheidender Faktor ist die Kommunikation.

Wollen Sie sagen, dass die Paare vor 50 Jahren besser kommuniziert haben?
Hahlweg:
Keineswegs! Früher haben andere Faktoren die Ehen zusammengehalten: Das Scheidungsrecht war viel komplizierter; man war unter einem sozialen Druck, zusammen zu bleiben; die wirtschaftliche Absicherung war schlechter; Scheidung war – im Gegensatz zu heute – etwas Seltenes. Aber egal, wie diese äußeren Faktoren sein mögen: Aus psychologischer Sicht kann ich sagen, dass wir bei der Kommunikation ansetzen können.

Was passiert da?
Hahlweg:
Ich stelle irgendwann fest, dass mein Partner nicht so ist, wie ich ihn gerne hätte, und versuche ihn oder sie zu ändern. Dann läuft es schief! Denn in der Regel versucht man das mit Druck, mit Negativität und nicht mit positivem, stützendem Verhalten. Und je häufiger ich negativ bin, desto seltener bin ich positiv. Und hier kommt nun die Biologie ins Spiel, die wir Psychologen lange Zeit zu wenig beachtet und nicht verstanden haben: Unser Gehirn hat Strukturen, mit denen es die Wirklichkeit positiv oder negativ bewertet. Aber die Übergänge sind nicht fließend, sondern eher wie ein Kipp- Schalter. Wenn man jemanden kennen lernt und verliebt ist, dann sind alle Weichen auf positiv gestellt. Alles, was ich am anderen sehe oder was er macht, wird positiv „aufgeheizt“. Wenn dann aber das Negative überwiegt, passiert genau das Gegenteil: Was immer der andere macht oder sagt, wird auf einmal negativ bewertet. Dann halte ich es mit dem Partner immer weniger aus; man distanziert sich voneinander, wagt ernsthafte Gespräche schon gar nicht mehr, weil man meint, dass man sowieso nur enttäuscht wird.

Da sind aber doch immer noch die positiven Erinnerungen!
Hahlweg:
Leider nicht! Wir wissen heute, dass unser autobiographisches Gedächtnis die Vergangenheit nicht einfach abbildet wie ein Foto. Wir basteln uns das selbst zusammen – und können es auch nachträglich „umschreiben“. Auf diese Weise können positive Erinnerungen negativ umgedeutet werden.

Lässt sich das rückgängig machen?
Hahlweg:
Bis zu einem gewissen Punkt: ja, solange die aus der Negativität entstandenen Verletzungen noch nicht zu tief sind. Und genau da setzen ja auch Kommunikationsprogramme wie EPL und KEK an (s. u). Wir erleben häufig, dass Paare zu uns kommen, und wir machen nur ein längeres Interview mit ihnen. Wir fragen: „Wie haben ausgerechnet Sie beide unter all den Millionen von Menschen sich kennen gelernt?“ Oder: „Es gab doch in ihrer Partnerschaft sicher auch schwierige Momente, die Sie überwunden haben?“ Häufig rufen diese Fragen positive Erinnerungen hervor, die sie lange nicht mehr hatten. Eine ganze Reihe von Paaren sagt nach anderthalb Stunden: „Ich hab’ ja ein neues Bild vom anderen!“ Wir denken oft, dass solche Veränderungsprozesse lange dauern müssen. Ich glaube das nicht. Oft reichen ein Blick, ein Kuss, zwei Worte – und dann ist dieser quälende Druck weg, dass ich den anderen verändern muss.

Ihr Rezept für eine glückliche Partnerschaft ist also: miteinander reden!
Hahlweg:
Na ja, reden ist wichtig, aber der entscheidende Punkt ist, mit Konflikten angemessen umgehen. Es gibt viele Paare, die reden unendlich lange miteinander und lösen überhaupt nichts. Es kommt schon darauf an, dass man in der Kommunikation bestimmte Regeln einhält. Und die lernt man in den Trainingsprogrammen.

Setzen solche Programme nicht ein gewisses Bildungsniveau voraus?
Hahlweg:
Ich glaube nicht. Richtig ist aber, dass wir damit derzeit vor allem die Mittelschicht erreichen. Aber da ist die Scheidungsrate ähnlich hoch, wie in anderen sozialen Schichten. Um Menschen aus sozialen Brennpunkten zu erreichen, müssen wir vielleicht unsere Strategie wechseln. Ein guter Freund von mir bietet in den USA dieses Trainingsprogramm den Soldaten an. Denn da sind die Ehen besonders gefährdet. Außerdem geht er in Gefängnisse und macht das Training mit Strafgefangenen kurz vor deren Entlassung. Also diese Programme sind meines Erachtens nicht abhängig von der Bildung, die die Leute haben. Wir müssen nur die richtigen Wege finden, sie zu erreichen und dafür zu interessieren.

Warum wollen Sie überhaupt Ehen und Partnerschaften retten oder verbessern?
Hahlweg:
Wegen der Kinder! Um das klarzustellen: Ich bin persönlich nicht gegen Ehescheidung. Aber sobald Kinder da sind, ist die Partnerschaft der Eltern nicht mehr deren Privatsache. Durch die steigende Scheidungsrate haben wir eine steigende Zahl von Kindern, die nur noch von einem Elternteil erzogen werden, und das ist nicht gut. Und wir haben eine steigende Zahl von Kindern, die durch Scheidung in Armut leben, mit allen negativen Folgen, die das haben kann. Aber vor der Scheidung gibt es ja meist eine lange Zeit voller chronischer Konflikte unter den Eltern. Und es ist eindeutig bewiesen, dass Konflikte der Eltern zusammenhängen mit Störungen der Kinder. Weil ich aber mit Kindern – zumal wenn sie klein sind – nicht so leicht arbeiten kann, müssen wir versuchen, bei den Eltern anzusetzen. Neben der Prävention gibt es aber auch noch andere gute Gründe, sich für Ehe und Partnerschaft einzusetzen. Australien beispielsweise gibt dafür viel Geld aus, weil der Staat weiß, dass aus glücklichen und zufriedenen Ehen mehr Kinder hervorgehen. Das ist gewissermaßen eine Investition in die Rentenkasse. Und dann weiß man inzwischen auch, dass Menschen, die in einer glücklichen Partnerschaft leben, gesünder sind. Chronische Auseinandersetzungen schwächen unter anderem unser Immunsystem, ganz zu schweigen von den psychischen Erkrankungen. Wenn ich in einer unbefriedigenden Beziehung lebe, ist die Wahrscheinlichkeit, eine Depression oder eine Angststörung zu bekommen, um mindestens das Dreifache erhöht.

Angenommen, die Regierung würde Sie zum nationalen Beauftragten für Ehe und Partnerschaft ernennen …
Hahlweg:
(schmunzelnd) Das wäre doch mal was!

… wie sähe Ihr Aktionsprogramm aus?
Hahlweg:
Ich würde um ein nachhaltiges Budget kämpfen. Wenn ich mir pro Familie und Monat einen Euro vom Kindergeld abzwacken dürfte, käme ich auf 130 Millionen im Jahr. Damit würde ich als erstes eine Informationskampagne starten.

Welcher Art?
Hahlweg:
Wir müssen die Leute darauf aufmerksam machen, welche Bedeutung Ehe und Partnerschaft haben, damit man leichter über die Kommunikation in der Ehe reden kann. Hier würde ich vor allem auf Selbsthilfe setzen. Außerdem würde ich die professionellen Eheberater besser auf Kommunikation hin schulen. Die schauen noch viel zu sehr auf inhaltliche Fragen, also welches Ereignis was ausgelöst hat. Aber wenn das Paar dann vor ihnen zu streiten anfängt, sind sie oft hilflos. Und ich würde ein Netzwerk von einer Art Supervisoren aufbauen, damit die Qualität dieser Trainingskurse gewahrt bleibt. Der Hauptschwerpunkt wäre, die Leute dazu zu bringen, dass sie sich fragen: „Was mache ich eigentlich, wenn ich mit einem anderen zusammenlebe?“

Herzlichen Dank, Herr Hahlweg, für das aufschlussreiche Gespräch.
Joachim Schwind

Kurt Hahlweg
Jahrgang 1947, lehrt Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik an der Technischen Universität Braunschweig. Zu seinen Schwerpunkten gehören unter anderem die Prävention von Beziehungsstörungen und die Prävention kindlicher Verhaltensstörungen. In diesem Zusammenhang hat er das Gesprächstrainingsprogramm EPL mit entwickelt und das Erziehungsprogramm „Triple P“ in Deutschland eingeführt. Hahlweg ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.

EPL (Ein Partnerschaftliches Lernprogramm) und KEK (Konstruktive Ehe und Kommunikation) sind Gesprächstrainingsprogramme. Sie geben einfache Regeln an die Hand, mit deren Hilfe Paare ihre Erwartungen an ihre Beziehung konstruktiv klären können. Speziell ausgebildete Kursleiter unterstützen das Gespräch. www.epl-kek.info

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2010)
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