2. Dezember 2021

Trotz Kirche glaube ich.

Von nst5

Scholastika Geibel

Foto: privat

ist 1989 in Zeitz geboren und in Herzberg/Elster aufgewachsen. Sie hat in Köln katholische Religionslehre, Französisch und Italienisch auf Lehramt studiert. Vier Jahre hat sie ehrenamtlich im Diözesanpastoralrat des Erzbistums Köln und einige Monate als Referentin in der Diözesanstelle für den Pastoralen Zukunftsweg mitgearbeitet. Sie ist verheiratet und hat zwei kleine Söhne.

Dieses Jahr habe ich erstmals darüber nachgedacht auszutreten. Eine Frage, die ich dachte, mir nie stellen zu müssen. Denn „die Kirche“ ist meine Heimat. Sie hat mich von klein auf geprägt, mir Raum zur Entdeckung und Entwicklung meiner Charismen gegeben, mir Mentorinnen und Weggefährten geschenkt, mich einen Ort erleben lassen, wo ich willkommen war und mitgestalten konnte. Solche Erfahrungen wünsche ich mir auch für meine Kinder.
Aber möchte ich Teil einer Kirche sein, deren Hauptamtliche sich tausendfach an Kindern vergangen haben? Wo es bei der Aufarbeitung nur um kirchen- und zivilrechtliche Schuld zu gehen scheint, nicht aber um moralische Verantwortung und persönliche Verantwortungsübernahme? Ich erlebe eine Kirche mit viel Macht und Geld, aber ohne Mitbestimmung, Transparenz und Kontrollmechanismen.
Ich befinde mich in keiner Glaubens-, sondern in einer Kirchen-Krise. Lehramtliche Meinungen zu wiederverheirateten Geschiedenen, Homosexuellen, gleicher Würde, aber letztlich ungleichen Rechten widerstreben mir. Es passt weder zur vom Papst betonten Barmherzigkeit noch zu Jesu Heilsbotschaft.
Einerseits möchte der Papst den Bischofskonferenzen mehr Freiraum geben; andererseits begründen diese die Unmöglichkeit tiefgreifender Reformen damit, dass letztlich nur der Papst entscheiden könne, wenn es um Weltkirchliches geht. So verändert sich nichts, außer dass immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren.
Dennoch möchte ich bleiben. Noch. Viele Menschen leisten tolle pastorale und karitative Arbeit. Noch. Es gibt hervorragende Theologinnen und Theologen, deren Erkenntnisse zu wenig gehört werden. Noch. Noch habe ich Hoffnung und möchte trotz verletzender und frustrierender Erfahrungen zu einer transparenten, partizipativen, gerechten Kirche beitragen, in der Willkommenskultur und ein Miteinander auf Augenhöhe zu einer neuen Haltung werden. Als Familie versuchen wir das konkret: Da es letztes Jahr an Weihnachten seitens der Gemeinde kein Angebot für Familien gab, haben wir mit einer Nachbarsfamilie ein Krippenspiel mit Liedern vorbereitet und gestreamt. Über 300 Menschen waren live zugeschaltet, doppelt so viele haben das Video später angeklickt. Auch viele, die nicht zur Kirche gehen, waren berührt. Das hat mir gezeigt: Wir sind Kirche.
In Verantwortung für die Schöpfung „retten“ wir über foodsharing.de Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden. Über WhatsApp informieren wir Nachbarn, die die Sachen dann bei uns abholen. Seit letztem Sommer kooperieren wir mit einem Biobauern: 15 Familien bestellen über uns bei ihm Milch. So gibt es in unserer Straße ein ständiges Kommen und Gehen und viel Gelegenheit, sich über Geben und Nehmen, Ressourcenschonung und eigene Verantwortung auszutauschen.
Kirche hat das Potenzial, Gesellschaft positiv mitzugestalten und Lösungen für drängende Zukunftsfragen zu suchen. Dies ist in einer Zeit, in der die Umwelt kollabiert, die Gesellschaft auseinanderdriftet und Populismen zurückkehren, umso wichtiger. Hier könnte die Kirche die positiven Synergien ihrer vernetzten Institution, die Vielfalt und das Engagement der ihr zugewandten Menschen nutzen und zu Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und sozialem Frieden beitragen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, November/Dezember 2021)
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