20. Januar 2009

handeln, solange es geht

Von nst_xy

Am 1. Januar ist Weltfriedenstag. Konflikte gibt es an allen Ecken und Enden unserer Erde. Oft scheinen sie weit weg. Wie Frieden in einer globalisierten Welt geht, und was man tun kann, wollten wir im Gespräch mit Jochen Hippler, Politologe und Friedensforscher in Duisburg, wissen.

Herr Hippler, Sie arbeiten in der Friedensforschung. Was macht man da?

hippler: Paradoxerweise hat das meiste, was Friedensforscher machen, sehr viel mit Gewalt, Konflikten und Krieg und nur in Ausnahmefällen etwas mit Frieden zu tun.
Dahinter steckt der Gedanke, dass man Frieden besser fördern kann, wenn man versteht, warum er bedroht ist, wodurch er untergraben wird und wieso es zu Gewalt kommt. Deshalb sprechen wir meist auch von Friedens- und Konfliktforschung.
Gibt es so etwas wie allgemeine Trends?
hippler: Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde der Frieden vor allem durch Kriege zwischen Staaten bedroht. Diese zwischenstaatlichen Konflikte sind deutlich zurückgegangen. Nach wie vor gibt es latente Bedrohungen, aber verglichen mit den letzten 100 bis 500 Jahren können wir eine Entspannung verzeichnen.
Das gilt allerdings eingeschränkt. Im 16. und 17. Jahrhundert waren Kriege zerstörerisch und brutal. Aber wenn heute auch nur ein einziger Konflikt zwischen Staaten eskaliert, wäre das durch den Einsatz von Atomwaffen sehr viel verheerender. Die Gefahr durch zwischenstaatliche Kriege ist wesentlich geringer geworden, aber das Zerstörungspotential auch wesentlich größer.
Andererseits machen uns Konflikte innerhalb von Staaten und Gesellschaften heute bedeutend mehr Sorgen als früher: Bürgerkriege, Gewaltformen wie Terrorismus oder auch Antiterrorkriege. Hier verschieben sich die Schwerpunkte.
Stimmt der Eindruck, dass Konflikte heute zwar komplexer, aber gleichzeitig auch regionaler sind?
hippler: Ich bin nicht sicher, ob das ganz zutrifft. Regionale Situationen sind immer verknüpft mit überregionalen. Die Piraterie vor Somalia umfasst die Region vom Jemen über Somalia bis Kenia. Sie betrifft Schiffe aus der Ukraine, Deutschland, Malaysia und vielen anderen Ländern. Es wäre falsch, das nur als regionalen Konflikt zu betrachten. Lokale Faktoren, die das Ende des Friedens oder den Beginn von Krieg bedeuten können, haben weltweite Auswirkung. Lokale Gewaltherde strahlen immer auf andere Länder aus.
Oft empfindet man diese Konflikte als Auseinandersetzungen zwischen Stämmen oder kleinen Gruppen. Liegt das daran, dass sie weit weg sind?
hippler: Zum Teil sicherlich; aber auch den Balkankonflikt wollte man oft als archaischen Konflikt darstellen. Und der Balkan ist nun wahrlich nicht weit weg.
Ich habe den Eindruck, dass wir versuchen, die Konflikte als Stammesfehden zu beschreiben, weil wir uns dann abgrenzen können. Es geht also mehr um eine psychologische als um eine geografische Distanz. Wir wollen eine Grenze zwischen uns und dem Chaos ziehen. Dabei stellen wir uns selbst als die Fortschrittlichen, Entwickelten, Demokratischen dar. Hinter den Grenzen sind die Barbaren; Stämme gibt es bei uns ja nicht mehr; die religiösen Motive liegen uns fern.
Wir reden kaum über die politischen Interessen oder darüber, wem ein Konflikt nützt und wem er schadet. Damit würden wir die Sache zu sehr an uns heran lassen.
Gilt diese Haltung auch für die internationale Politik?
hippler:
Europäische und nordamerikanische Politiker nehmen Konflikte in der Regel unter innenpolitischen Gesichtspunkten wahr. Warum hat man in Ruanda nicht eingegriffen? Weil das in Europa keine Bedeutung hatte, es gab keine Kameras, keinen politischen Druck. Warum hat man in Bosnien Luftangriffe geflogen, als der Krieg eigentlich schon vorbei war? Weil die Kritik in Europa und vor allem in den USA stärker wurde, man musste etwas tun.
Man redet dann zwar über moralische, ethische und humanitäre Beweggründe. Tatsächlich geht es aber um Innenpolitik, europäische Politik oder Bündnispolitik.
Das heißt nicht, dass man nichts tun sollte! Aber das, was man tut, wird verzerrt, und man entscheidet hektisch. Das ist keine Ausgangslage für sinnvolle Konzepte.
Was sollte man stattdessen tun?
hippler:
Vor allem könnte man die Prävention, die vorbeugende Konfliktvermeidung, ernst nehmen und rechtzeitig handeln. Wir wissen häufig schon lange vorher, dass in einem Land ein Konflikt eskalieren könnte. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum wir nicht handeln, solange es noch viel billiger wäre, und solange das Engagement noch Leben retten könnte. Und es ist nicht nachvollziehbar, dass wir erst reagieren, wenn Tote zu beklagen sind oder weil die Fernsehsender Bilder übertragen. Es scheint, als gäbe es keine Krise, solange nicht berichtet wird. Dann aber kommt es zu Überreaktionen, die nur zeigen sollen, dass wir nicht untätig sind.
Im Bereich der Prävention gibt es einen Spielraum, den die internationale Politik bisher nicht wirklich ausnutzt.
Wodurch könnte man das fördern?
hippler: Wir sollten nicht auf die Politik warten, sondern von unten mehr Druck ausüben. Wir beschweren uns ja häufig über den Opportunismus der Politik. Das kann aber auch eine Chance sein. Wir Deutschen haben den Irakkrieg nicht mitgemacht. Aber nicht etwa deshalb, weil die deutsche Bundesregierung so übermäßig pazifistisch gewesen wäre, sondern weil es ihre einzige Chance war, die Bundestagswahl nicht zu verlieren. Von unten kam massiver Druck. Deshalb hat man oben eine richtige Entscheidung getroffen.
Man kann sich aber nur zu Wort melden, wenn man weiß, dass es einen Konflikt gibt.
hippler:
Das ist richtig. Und da beißt sich die Katze leider oft in den Schwanz. Berichte in den Medien sind erst dann interessant, wenn wir selbst involviert sind, wenn es einen Aufhänger gibt. Aber wenn der politisch nicht gegeben ist, könnten Nichtregierungsorganisationen, humanitäre oder kirchliche Einrichtungen ihn schaffen. Sie könnten beispielsweise hochrangige Besucher in das Land einladen und dafür sorgen, dass darüber berichtet wird. Wenn das systematisch organisiert wird, kann eine kritische Masse entstehen, die sich äußert.
Noch einmal zum Terrorismus: Welche Rolle spielt er für die Friedensentwicklung?
hippler:
Gemessen an den Opferzahlen oder den Sachschäden muss man zynischerweise sagen, dass Terrorismus bedeutungslos ist. Die Opferzahlen sind von den frühen 70er bis zum Ende der 80er Jahre gestiegen und dann stabil geblieben. Wenn wir vom 11. September absehen, hat sich daran nicht viel geändert. 2004 kamen weltweit fünf US-Bürger durch internationale Terroristen ums Leben. Der Tsunami forderte Tausende von Opfern.
Die Bedeutung des Terrorismus liegt darin, wie die Menschen darauf reagieren, und wie Regierungen damit umgehen. Die Kriege im Irak und Afghanistan hatten nur bedingt mit dem Terrorismus zu tun, aber ohne ihn wären sie so nicht geschehen. Da ist es schwierig zu sagen, welche Bedeutung er hat.
Und wie steht es mit der Religion?
hippler:
Ein Krieg wird immer aus Interessensgründen begonnen. Dabei geht es nie wirklich um Religion, weder im Guten noch im Schlechten. Es geht um Macht. Um die eigene Machtgier zu begründen, sucht man eine Rechtfertigung und bedient sich säkularer, rassistischer, demokratischer, religiöser oder altruistischer Begründungen. Man kann alle Religionen nutzen, um Kriege zu begründen – aber man kann sie genauso nutzen, um Frieden zu schaffen.
Was ist Ihre Prognose für die nächsten Jahre?
hippler:
Bis zum zweiten Weltkrieg war Europa einer der gewalttätigsten Kontinente. Seitdem haben wir hier friedenspolitisch einen Quantensprung erlebt. Es wäre wünschenswert, dass das weitergeht und sich an den Rändern ausbreitet.
Im Kontext der aktuellen Wirtschaftskrise ist Prävention gefragt. In manchen afrikanischen oder asiatischen Ländern kann es um Sein oder Nicht-SeiN gehen. Und der Überlebenskampf kann dazu führen, dass schwelende Konflikte aufkochen. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass sich in den
bestehenden Konflikten in Afrika, den asiatischen Ländern, in Afghanistan und im Irak nicht viel bewegen wird. Sie werden im Moment weder gelöst, noch müssen wir damit rechnen, dass sie explodieren. Es sei denn, durch die Wirtschaftskrise kommt es zu einer Verschiebung in die eine oder andere Richtung.
Im Westen müssen wir wieder lernen, Friedenspolitik ernst zu nehmen. Wenn Kriege einigermaßen gut laufen, neigt die Bevölkerung dazu, sie zu ignorieren. Wenn dann aber die eigenen Truppen Opfer zu beklagen haben, wird daraus ein schlechter Krieg. Aber Krieg ist immer schlecht, nicht erst, wenn wir selbst etwas davon abbekommen.
Herzlichen Dank für das interessante Gespräch.
Gabi Ballweg

Jochen Hippler,
Jahrgang 1955, ist promovierter Politologe. Seit 2000 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) und lehrt an der Universität Duisburg-Essen. Seine Schwerpunkte sind der Nahe und Mittlere Osten, ethnische, nationale und religiöse Identitäten, politische Gewalt, Terrorismus und Krieg, interkulturelle Dialoge. Seit Jahren arbeitet er am jährlichen „Friedensgutachten“ mit, einem gemeinsamen Jahrbuch der fünf Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik Deutschland.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2009)
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