10. April 2009

Eine Schuld eingestehen?

Von nst_xy

Erfahrungsberichte

Ich arbeite in der Marktforschung einer Tourismusorganisation und leite ein Projekt, in dem Urlauber nach ihrem Reiseverhalten befragt werden. Dabei werden wir von einem Marktforschungsinstitut unterstützt.
Vor kurzem hatten wir eine Be­sprechung, bei der auch meine Teamleiterin anwesend war. Dabei kam es zu einem Missverständnis: Es sah so aus, als hätte unsere Part­nerfirma schlecht gearbeitet. In Wirklichkeit lag es daran, dass ich Informationen nicht weitergegeben hatte. Ich hatte keine Notwendig­keit dafür gesehen, weil für mich die erbrachte Leistung in Ordnung war. In der Besprechung stellte sich heraus, dass meine Vorgesetzte das anders sah. Die Gesprächsstimmung war getrübt. Aber eine Schuld eingestehen? Wer tut das schon? Man kann doch nicht schlecht da­stehen, schon gar nicht gegenüber dem Auftragnehmer!
Die Besprechung ging zu Ende. Man hatte die Sache inhaltlich geklärt, und ich hätte alles auf sich beruhen lassen können. Aber es ließ mir keine Ruhe. So suchte ich das Gespräch mit meiner Vorgesetzten. Ich gestand ihr meinen Fehler, stellte klar, dass es nicht an der Partnerfirma gelegen hatte, und dass ich nichts gesagt hatte, weil für mich alles okay gewesen sei. Meine Chefin war erstaunt über meine Ehrlichkeit, bedankte sich aber für die Klarstellung. Dann rief ich auch die Verantwortliche in der Partnerfirma an und erklärte ihr alles. Sie war im positiven Sinn perplex und bedankte sich auf­richtig für meine Aufrichtigkeit.
In der Folge hat sich die Kommunikation unter allen Beteiligten verbessert, und über geschäftliche Beziehungen hinaus ist auch gegenseitige, menschliche Wertschätzung gewachsen.
p.ö.

Es war das einzige Stück Fleisch.
Unsere finanzielle Situation war schwierig, und wir mussten je­den Cent umdrehen. Für den bevorstehenden Geburtstag eines Sohnes hatte ich schon vor Wochen sehr günstig einen Braten eingekauft und eingefroren.
Zwei Tage vor dem Geburtstag kam eine Freundin, die nichts von unseren Schwierigkeiten wusste. Sie hatte vergessen, Fleisch für das Abendessen mit Geschäfts­freunden ihres Mannes einzu­kaufen. Nun hatte sie keine Ge­legenheit mehr und wusste nicht, was sie tun sollte. Sofort kam mir der Braten in den Sinn. Aber weil es das einzige Stück Fleisch in der Gefriertruhe war, und ich kein Geld hatte, etwas zu kaufen, zö­gerte ich. Wie sollte ich sonst ein Geburtstagsessen auf den Tisch bringen?
Dann erinnerte ich mich an das Wort aus dem Evangelium: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben.” So gab ich der Freundin den Braten. Voller Freude und Er­leichterung zog sie ab.
Am nächsten Morgen klingelte es an unserer Tür. Als ich auf­machte, standen zwei große Ta­schen davor. Eine Bekannte, die ich schon lange nicht mehr ge­sehen hatte, war schon wieder auf dem Weg zu ihrem Auto und rief mir zu: „Ich ruf dich an. Jetzt muss ich los zur Arbeit. Ich wollte dir nur das vorbei bringen.” Die Taschen waren voll mit gefrorenem Fleisch. Es war so viel, dass wir mehrere Wochen davon essen konnten.
r.m.

Ich sah nur noch die Schwächen.
Seit einigen Monaten wohne ich zusammen mit ein paar Freun­dinnen in einer Wohngemein­schaft. Wir kannten uns schon vorher, aber durch das Zusammen­leben gab es immer wieder neue Seiten zu entdecken – und nicht nur positive.
Von Anfang an hatten wir ein paar Grundregeln festgelegt, zum Beispiel dass wir uns jeden Abend mit dem Abwasch abwechseln. Schon nach kurzer Zeit bemerkte ich jedoch, dass sich eine immer wieder herausredete. Sofort fing ich an, schlecht über sie zu denken und nach ein paar Tagen hatte ich dieses Urteil auf ihr ganzes Ver­halten übertragen. Plötzlich sah ich nur noch all ihre Schwächen. Unsere Beziehung war getrübt.
Eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich innerlich über die Fehler meiner Mitbewohnerin schimpfte. Ich war geschockt. So sehr hatte sich das negative Denken in mir eingefressen, dass sie nicht einmal da sein musste, und ich trotzdem an ihr rumnör­gelte. Plötzlich kamen mir die Worte aus dem Evangelium in den Sinn: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?”
Von da an versuchte ich, bei der Mitbewohnerin ganz bewusst nur auf das Positive zu achten. Es war wie ein Umdenken: Nach jedem negativen Gedanken überlegte ich mir zwei positive Eigenschaften. Außerdem bot  ich  ihr bei  zwei Gelegenheiten an, eine Aufgabe an ihrer Stelle zu übernehmen. Und wenn ich mit anderen plante, etwas zu unternehmen, habe ich sie bewusst einbezogen. Nach ein paar Tagen stellte ich zu meiner großen Überraschung fest, dass sie immer wieder die erste war, wenn es darum ging abzuspülen.
es.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2009)
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