10. April 2009

Wer den Vater nicht ehrt, ist der Kinder nicht wert.

Von nst_xy

Väter. Eine moderne Heldengeschichte” nennt der Philosoph und leidenschaftliche Vater Dieter Thomä nicht ohne Augenzwinkern sein jüngstes Buch. Das könnte der Stoff sein, aus dem sich in einer ver­meintlich „vaterlosen” Gesellschaft neue Erzähl- und Erfahrungsmuster weben ließen.

Wie zum Beispiel diese Geschichte: Vor Jahren er­zählte mir ein Freund, wie er in einem dramatischen Augenblick seines Lebens, der Erfahrung eines um­fänglichen Scheiterns – Verlust des Arbeitsplatzes und vielversprechender Karriereaussichten, Zerbrechen der Partnerschaft mit einer Frau und der Hoffnung auf die Perspektive einer Familiengründung – unver­mittelt im Blick auf das ungeborene gemeinsame Kind mit einem Schlag zu verstehen glaubte, dass Gott selbst ihm, dem als „Sohn” oder „Kind” titulierten Geschöpf, in gewisser Weise Anteil gab an einer seiner herausragenden Eigenschaften: dem Vater-Sein.

Diese Erkenntnis hat in ihm einen neuen Glauben an sich und diesen Gott, eine Freude an der eigenen, ihm (für andere) neu geschenkten, verantwortlichen, Leben spendenden Existenz grundgelegt; eine Erfah­rung, die ihn schließlich auch zur Versöhnung mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin befähigen sollte.

Auch ein Grimmsches Märchen weiß um die kultur­prägende Bedeutung des (Groß-)Väterlichen: „Es war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb geworden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch, und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich, und des­wegen musste sich der alte Großvater hinter den Ofen in die Ecke setzen, und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen; da sah er betrübt nach dem Tisch, und die Augen wurden ihm nass. Einmal auch konnten seine zittrigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er sagte aber nichts und seufzte nur. Da kaufte sie ihm ein hölzernes Schüsselchen, daraus musste er nun essen. Wie sie da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brett­lein zusammen. ,Was machst du da?’ fragte der Vater. ,Ich mache ein Tröglein’, antwortete das Kind,,daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.’ Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen end­lich an zu weinen, holten sofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mit­essen.”

Vielleicht zeigt sich hier die unerbittliche Logik einer Enkelgeneration: Wer den eigenen, gebrechlichen, gebrochenen Vater in einer auch an tiefenpsycholo­gischen Motiven überreichen Lesart verdrängt, der verwirkt den Respekt seiner eigenen Kinder. Der Gene­rationenvertrag wird gekündigt: Wer den eigenen Vater nicht ehrt, ist der eigenen Kinder nicht wert.

Wir erinnern uns an die durchschlagende Wirkung einer Werbekampagne: Da zeigt ein Säugling dem glücklichen Erzeuger, der nunmehr seine Altersver­sorgung gesichert glaubt, schlicht und ergreifend den drohend erwachsenen Stinkefinger. Gar nicht süß.
Das ist das Drama einer Kultur im Zeichen eines eigentümlichen Selbsthasses, dessen Widersinn der Komiker Groucho Marx einst zur berühmten Pointe verdichtete: „Ich möchte keinem Club angehören, der Leute wie mich als Mitglieder aufnimmt.” Die soge­nannte „goldene Regel” hat längst Rost angesetzt. Da empfiehlt sich diese kleine Geschichte zur erneuten, vielleicht auch erschrockenen Erkenntnis. Als zeit­loses Kindermärchen – nur für Erwachsene.
Herbert Lauenroth

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2009)
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