10. September 2009

Der König von Neverland

Von nst_xy

Erinnerung an Michael Jackson

Ich bin ihm natürlich nie persönlich begegnet, und doch empfand ich eine gewisse Trauer, spürte den Verlust. Und so wie mir mag es vielen Menschen gegangen sein, als sie am Morgen des 26. Juni vom Tod des „King of Pop“, Michael Jackson, erfuhren. Denn Künstler wie er haben den Soundtrack zu einigen nachhaltigen Augenblicken in ihrem wie meinem Leben geliefert. Und diese Erinnerung bleibt, auch wenn mich seine Musik in den letzten 15 Jahren kaum mehr berührt, interessiert, erreicht hat.

Jacksons Album „Thriller“ war damals, 1982, absolut thrilling, einfach herausragend, kühn und verspielt, „Jacko“ auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

John Landis, der als Regisseur von Filmen wie „American Werewolf“ eher harmlose Teenager in furchteinflößende Monster verwandelte, stylte ihn im legendären „Thriller“-Video zum smartesten Zombie der Rockgeschichte. Und so geisterte Jackos (blut)rote Jacke, werwölfisches Wiedererkennungs- Zeichen aus Landis’ Kostümfundus, noch als Eddy Murphys Outfit in „Beverly Hills Cop“ oder Michelle Pfeiffers panisch-popkultureller Dress-Code in „Kopfüber in die Nacht“ durch das Kino der frühen Achtziger. Eine echte Reliquie.
Jackson war ein virtuos groovender Verwandlungskünstler, der zwischen „Black or White“, Rasse und Religion, Kind und Mann, öffentlicher Zur-Schau- Stellung und notorischem Rückzug in eine mitunter skandalumwitterte Peter-Pan-Privacy auf seiner abgeschotteten Fluchtburg ewiger Halbwüchsigkeit seine Ambivalenz zelebrierte. Im Laufe der Jahre wirkte er dann immer verlorener, zunehmend orientierungslos in jener unerhörten Eleganz des vorwärts zurück gleitenden, schwebenden, fast schwerelosen, von ihm kreierten „Moonwalk“.
Und irgendwann gerann dann alles zum Selbstzitat: zur eigentümlich faschistoiden Pose des monumental messianischen Welterlösers auf seiner „HIStory“- Tour. Damals, in den frühen Neunzigern, schien Jackson die Prophezeiung eines gewissen Francis Fukuyama zu verkörpern: jenes „End of History“ als Heraufkunft, unbeschränkte Gültigkeit der „Pax Americana“. Mit beiden glaubte man sich nunmehr in den heillos befriedeten Stillstand der Nach-Geschichte, einer Post- als Popmoderne versetzt. Danach gab es nur noch die Erde zu retten. Jackson war endgültig in den Niederungen der unheiligen Allianz von Kitsch und Kommerz angekommen. Das kraftvolle (Blut)Rot, die Farbe seiner durchaus leidenschaftlichen Anfänge, war mittlerweile zum esoterisch angehauchten (Rosa)Rot verblasst.
Gerade in den tragischen Umständen seines überraschenden, gleichwohl nicht gänzlich unerwarteten Todes aber wird der irrlichternd schwindsüchtige Superstar wohl als Rätselfigur einer Mediengesellschaft in Erinnerung bleiben, ein Fabelwesen, Faun und Freak in einem, das im Mahlstrom, dem Sog der Bilder auszubleichen und zu verschwinden drohte.

Jacksons geradezu ätherische Verflüchtigung verlief in dieser Hinsicht durchaus exemplarisch und exakt gegenläufig zum Erscheinungsbild der Verfettung, dem einsam aufragenden Körpermassiv des späten, in dieser Trägheit verendenden Elvis Presley: Nur die erstarrte, leere Pose des selbsternannten und zunehmend entrückten „King“ blieb beiden zuletzt.

Doch anders als der „King of Rock’n’Roll“ mutierte Michael, der „King of Pop“, schließlich zum todesbleich verzagten, früh vergreisten, eigentlich fortschreitend körperlosen König ohne Land, ein König, dessen Reich zu Recht „Neverland“ hieß; ein Reich, das längst nicht mehr, vielleicht auch nie, von dieser Welt war.
Herbert Lauenroth

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2009)
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