10. September 2009

„Es muss auch anders gehen!“

Von nst_xy

Seit fast zehn Jahren hat Johannes Linke eine eigene Schreinerei. „Wir sind ein Wirtschaftsbetrieb, keine soziale Einrichtung!“, sagt er entschieden. Doch zum Wohl seiner Mitarbeiter und Kunden geht er ungewöhnliche Wege – mit wachsendem Erfolg.

Donnerstagnachmittag, zwanzig vor fünf. Eigentlich ist in der Schreinerei Webelhaus seit zehn Minuten Feierabend. Doch erst jetzt hört Eduard Wiebe auf zu arbeiten. Bevor der Geselle nach Hause geht, kommt er in den Sozialraum, um ein paar Worte mit seinem Chef zu wechseln.
Der heißt Johannes Linke (40) und ist seit knapp zehn Jahren Inhaber von Webelhaus, einem Traditionsunternehmen im sauerländischen Menden. In der Firma ist er seit 1985. Hier hat er seine Ausbildung gemacht und als Geselle gearbeitet. 1994 erhielt er seinen Meisterbrief, 1998 wurde er Geschäftsführer und 2000 Inhaber der Schreinerei.
Es ist nicht leicht zu beschreiben, wie Johannes Linke sein Unternehmen führt. Er fordert viel von seinen vier Gesellen, den beiden Lehrlingen und dem Jahrespraktikanten: Überstunden sind an der Tagesordnung, werden allerdings bezahlt; der Arbeitsrhythmus ist hoch – der Umsatz pro Kopf liegt etwa 30 Prozent höher als bei vergleichbaren Betrieben; und Flexibilität ist verlangt, denn Linke nimmt auch kurzfristig zu erledigende Aufträge in aller Regel gerne an.

Auf der anderen Seite beteiligt Johannes Linke seine Gesellen umfassend am Unternehmen: Sie entscheiden mit, wie viel er verdient. Wenn der Gewinn einen bestimmten Betrag übersteigt, was in den letzten Jahren immer der Fall war, erhalten sie davon fünf Prozent.

Auch bei Investitionen – ob etwa neue Maschinen angeschafft werden sollen oder nicht – reden die Gesellen mit.
Eine interessante Beobachtung hat Johannes Linke im Laufe der Zeit immer wieder gemacht: „Wenn es im Betrieb wirtschaftlich schwierig wird, dann stimmt oft etwas mit den Beziehungen unter uns nicht.“ Und so sucht er insbesondere in solchen Momenten die Gelegenheit, mit jedem Einzelnen zu reden – etwa bei einer gemeinsamen Montagefahrt.
So ist aus der eher bedächtigen Schreinerei Webelhaus (Linke: „Als ich anfing, war keine Maschine jünger als ich.“) in den vergangenen zehn Jahren ein hochmodernes, beständig wachsendes Unternehmen geworden. Anfang dieses Jahres erst ist Linkes Betrieb in eine neue, wesentlich größere Halle umgezogen.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders interessant, dass Johannes Linke auch Menschen einstellt, „die zwar gut sind, aber aus Gründen, für die sie nichts können, schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben“, wie etwa Hauptschüler oder Russlanddeutsche.
Bei Johannes Linke gibt es fast ausschließlich unbefristete Verträge. „Ich vergebe keine Jobs, sondern Arbeitsplätze“, meint er dazu. Bevor Sebastian Krekeler zu Webelhaus kam, hatte er zwei Jahre lang nur mit Verträgen über vier oder acht Wochen gearbeitet. Inzwischen ist es kurz vor fünf Uhr. Jetzt macht auch Tobias Mittmann Schluss. Er hat erst vor wenigen Tagen bei Webelhaus angefangen. Er bespricht mit Johannes Linke, was am nächsten Tag ansteht. Er wird morgen wohl bis zum Abend arbeiten müssen, obwohl Freitag ist. „Kein Problem!“, meint er.
„Leben wie Jesus gelebt hat – und das bedeutet zu lieben.“ Das hatte Johannes als Jugendlicher in der Fokolar- Bewegung gelernt und mit der ihm eigenen Geradlinigkeit getan. „Lieben, das geht nicht!“, hatte ihm schon während der Ausbildung ein Kollege entgegengehalten. So kam es zu einer Art Wettstreit zwischen den beiden, wer Recht hat. Als ihm sein Kollege nach langer Zeit eine Tüte Haribo schenkte – einfach so –, wusste Johannes, dass er gewonnen hatte. „Wenn die Liebe aufrichtig ist, kommt immer eine Antwort.“ Davon ist er bis heute überzeugt. „Entweder die Leute machen mit oder sie bekämpfen mich.“
Was das für den Umgang in einem Unternehmen bedeutet, hatsich Johannes Linke schon als Geselle gefragt: „Es muss doch auch anders gehen!“, meinte er lange bevor er überhaupt daran dachte, jemals einen eigenen Betrieb zu haben. Er ging zu seinem Chef und sagte: „Lass mich die Begleitung der Auszubildenden machen – so wie ich das für richtig halte. Wenn es nicht funktioniert, dann können wir ja wieder weitermachen wie bisher.“ Sein Chef ließ sich darauf ein, – und es klappte.
Damals wurde ihm klar: Strukturen sind leichter zu verändern, wenn man Verantwortung hat – ein entscheidender Grund, den Betrieb zu übernehmen, als sich die Möglichkeit bot. Noch leichter ist es, wenn man nicht alleine ist: Während eines zweijährigen Aufenthaltes in der Fokolar-Siedlung Ottmaring bei Augsburg Ende der achtziger Jahre hatte er Birgit kennen gelernt. Sie haben heute zwei Töchter im Alter von 12 und 15 Jahren.

Birgit, die die Lebensideale ihres Mannes teilt, arbeitet im Betrieb mit. Sie ist in der Buchführung tätig, springt aber überall ein, wo sie gebraucht wird, selbst als „Handlangerin auf der Baustelle“, wie sie selbst schmunzelnd sagt.

Birgit und die Männer aus seinem so genannten Kernkreis – dort trifft er sich mit sechs anderen Männern, die im Geist des Evangeliumsihre Umgebung prägen wollen – sind eine wichtige Stütze für Johannes Linke. Sie beten schon mal für seine Anliegen, wenn er selbst Mühe damit hat. Sie stehen ihm mit ihrem Rat zur Seite, vor allem wenn es darum geht zu verstehen, wie Jesus eine bestimmte Situation angehen würde. Sie sind zwar keine Schreiner, aber in diesem Punkt sind sie Fachleute.
Kurz vor sechs Uhr: Die beiden Auszubildenden Daniel Werner und Roman Fut machen Feierabend. Sie bereiten sich auf die Gesellenprüfung vor und sind deshalb länger geblieben. Johannes sagt ihnen noch, welche Hilfsmittel sie für ihre Prüfung kaufen sollen, und schickt sie mit aufmunternden Worten nach Hause.

Seinen Kunden gegenüber verhält sich Johannes Linke wie zu seinen Mitarbeitern: geradlinig und flexibel zugleich.

„Was irgendwie möglich ist, das machen wir auch!“, meint er: etwa den Schrank für einen Geldautomaten innerhalb von zwei Stunden herstellen oder zwei Präsentationstische für ein Autohaus statt nur einem – in der selben Zeit.
Auf krumme Geschäfte lässt sich der Webelhaus-Chef allerdings nicht ein: Einmal wollte ein Großkunde, dass Johannes eine Arbeit nicht in Rechnung stelle, sondern mit dem nächsten Auftrag verrechne. „Ich mache Ihnen einen guten Preis“, meinte Johannes Linke darauf, „aber bezahlen müssen Sie!“ Er blieb auch hart, als sein Gegenüber ihm andeutete, dass er einen wichtigen Kunden verlieren könne. Es hat sich gelohnt: Bis heute bekommt Webelhaus zahlreiche Aufträge von diesem Kunden – die meisten ohne ein Angebot machen zu müssen. Der Kunde weiß: Linke rechnet sauber ab.
Längst hat sich die Grundhaltung von Johannes Linke auf andere übertragen – innerhalb wie außerhalb des Betriebes. So etwa als Johannes mit drei seiner Mitarbeiter zu einer aufwändigen Montage auf Sylt war: Nach fünf Tagen war die Arbeit nicht fertig, aber zwei der Mitarbeiter waren platt. Da war es Eduard, der zu Johannes sagte: „Die beiden haben alles gegeben. Schick sie nach Hause! Wir machen das alleine fertig.“
Ein anderes Mal ging es um die Gewinnbeteiligung: Weil ein Mitarbeiter erst zur Jahresmitte in den Betrieb gekommen war, stand ihm nur die Hälfte der Beteiligung zu. Doch die anderen Gesellen meinten einmütig: „Er hat sich genauso reingehängt wie wir. Er soll genauso viel bekommen.“
Es ist halb acht, als Birgit und Johannes Linke beschließen, erst einmal zum Abendessen nach Hause zu fahren. Johannes wird danach wohl noch einmal in die Firma kommen. Zwei- bis dreimal in der Woche wird es zehn Uhr abends, bevor er Feierabend hat. „Unternehmer sein, heißt nie fertig zu sein, immer Vollgas zu geben“, meint er. Unglücklich scheint er dabei nicht zu sein.
Peter Forst

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2009)
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