10. Oktober 2009

Afghanistan wählt anders

Von nst_xy

Das Land am Hindukusch hat noch immer eine ungewisse Zukunft.

Afghanistan hat keine demokratische Tradition. Innerhalb weniger Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts musste das Land am Hindukusch einen Weg aus dem Mittelalter in die Moderne zurücklegen, für den europäische Völker Jahrhunderte benötigten. Seit 1979 versuchte die Sowjetunion Afghanistan in den Ostblock zu integrieren. Die Sowjets brauchten ein Jahrzehnt, um das Scheitern dieses Vorhabens einzugestehen. Sie überließen ein zerstörtes Land sich selbst und den lokalen Machthabern, die es in einen heillosen Bürgerkrieg stürzten. Als stärkste Partei erwies sich die islamistische Taliban-Bewegung, die das Land unter die Scharia zwang, das religiös legitimierte unabänderliche Gesetz des Islam.

2001 stürzten die USA und ihre Verbündeten das Taliban-Regime und versuchen seitdem, eine Demokratie zu etablieren.

Die Aufgabe, diesen Prozess zu sichern, ist seit acht Jahren der ISAF übertragen, einer Schutztruppe der NATO, die auf Bitten der provisorischen afghanischen Regierung und mit Billigung des Weltsicherheitsrates 2001 eingerichtet wurde. Sie soll den Frieden gewährleisten, beim Aufbau von Infrastrukturen, einer funktionierenden Verwaltung und einem stabilen Sicherheitsapparat helfen. Bei der Aufbauhilfe zeigten sich die beteiligten Regierungen bisher als sehr sparsam, während gleichzeitig das militärische Engagement immer größer wurde. Inzwischen kehren die Taliban zurück und überziehen große Teile des Landes mit Terroranschlägen und Kampfhandlungen. Bei den militärischen Reaktionen der ISAF kommt immer wieder auch die Zivilbevölkerung zu Schaden, was das Verhältnis der Afghanen zu der Schutztruppe zunehmend belastet.
Dennoch gab es Fortschritte: Nach einer verfassungsgebenden Versammlung Anfang 2004 fand im Oktober desselben Jahres eine Präsidentschaftswahl statt, die Hamid Karzai gewann. 2005 wurde ein Parlament gewählt. Die zweite Präsidentschaftswahl, bei der erstmals auch zwei Frauen kandidierten, fand am 20. August statt. Das Ergebnis steht noch aus – und ist doch schon heftig umstritten.

Beeinflusst sind diese Wahlen nicht nur durch Mauscheleien und handfeste Wahlmanipulation, sondern auch durch kulturelle Prägungen. Noch immer haben in Afghanistan lokale Stammesstrukturen große Bedeutung.

Häufig entscheidet die Stammesversammlung, wen der Einzelne wählen soll. Und für viele ist diese innere Stammesbindung oft noch sehr stark. Viele Frauen, denen nach der Verfassung gleiches Wahlrecht zusteht, sind noch nicht frei von den überlieferten Bindungen der Männerherrschaft. Bei den letzten Wahlen wurden häufig den Männern auch die Wahlunterlagen für die Frauen ausgehändigt.
Wie auch immer diese Wahlen ausgehen werden: Sie bedeuten noch nicht, dass Afghanistan demokratisch geworden ist. Dazu braucht es mehr, als ein paar demokratische Institutionen: eine funktionierende Wirtschaft, eine moderne Verwaltung, eine zuverlässige Rechtssprechung und stabile Sicherheitsstrukturen. Im Schulwesen haben die Helfer aus dem Westen einiges geleistet, in vielen anderen Bereichen fehlt es noch an allen Ecken und Enden.
Ein militärischer Sieg über die Taliban ist – so meine ich – nicht möglich. Nur wenn es der ISAF gelingt, mit ihrer Aufbauhilfe die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen, hat ihre Mission eine Chance – und damit auch die Demokratie in Afghanistan.
Klaus Purkott

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2009)
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