10. Oktober 2009

„Arbeit ist viel, aber nicht alles im Leben!“

Von nst_xy

Die 39­jährige Sabine Krammel unterstützt als Sozialpädagogin Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer tun. Sie kann dabei auch selbst bereits auf eine bewegte Berufserfahrung zurück blicken.

Warum bloß erzählen die dir das alles?“ Diese Frage hört Sabine Krammel öfter von ihrer Kollegin, wenn sie gemeinsam Beratungssituationen durchgehen. Die 39-jährige Deutsche arbeitet seit eineinhalb Jahren im Rahmen eines arbeitsmarktpolitischen Projektes für das Arbeitsmarktservice (AMS) in Linz. Dort „coacht“ sie Personen im Alter zwischen 16 und 64 Jahren, die sich mit der Arbeitssuche schwer tun. Die Sozialpädagogin trifft dabei auf Menschen „mit und ohne Abschluss, mit und ohne Deutschkenntnisse, solche, die sich bemühen, und solche, denen alles egal zu sein scheint.“ „Coachen“ meint in diesem Fall, persönliche Stärken und Schwächen abzutasten und entsprechende offene Stellen ausfindig zu machen.Deshalb dürfte sich die Kollegin eigentlich nicht wundern, dass Sabine Krammel auch Einzelheiten aus dem Leben ihrer Klienten erfährt. Oder doch? „Klar, es gehört zur Arbeit, die Einzelnen gut kennenzulernen, aber dass einer dann ganz aufmacht und dir ungeschminkt seine ganze Lebensgeschichte erzählt, ist trotzdem nicht selbstverständlich“, erklärt sie das Staunen der Kollegin.
Sabine Krammel hat selbst bereits ein bewegtes Berufsleben hinter sich. Die gebürtige Augsburgerin hatte zunächst eine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht und sich dann entschlossen, noch Sozialpädagogik zu studieren. „Ich dachte damals, dass ich in einem sozialen oder theologischen Bereich mehr für Gott und die Menschen tun könnte“, erinnert sie sich mit einem Schmunzeln. „Erst später habe ich verstanden, dass es überhaupt nicht auf den Bereich ankommt, in dem ich arbeite; denn: lieben kann ich immer.“

Die Beziehung zu Gott war der lebensfrohen Frau immer wichtig: „Ich war mir immer sicher, dass Gott mich gern hat, mich so annimmt, wie ich bin. Und dachte immer, dass ich sein Wunschkind bin.“

Deshalb habe sie sich schon als Jugendliche gefragt, was er von ihrem Leben will; „großzügig und konkret“ wollte sie ihm antworten. Als sie dann die Spiritualität der Fokolar-Bewegung kennengelernt hat, erkannte sie darin einen Weg, um das noch entschiedener umzusetzen.
Noch während des Studiums in München hatte Sabine Krammel in der Schuldnerberatung gearbeitet. „Das hat mir unglaublich Spaß gemacht. Mein Bankwissen und der soziale Bereich verbanden sich da optimal.“ Trotzdem hat sie dann „ihre Felder“ verlassen, wie sie sagt. „Ich hatte so viele starke Erfahrungen mit Gott gemacht, persönlich und mit anderen, dass ich ihm ganz darauf antworten wollte. Und mir war klar: Dafür muss ich frei sein, auch frei davon, eine eigene Familie zu gründen oder an einer bestimmten Arbeit zu hängen!“
Sabine Krammel hatte den Eindruck, dass ihr Platz in einer Fokolar-Gemeinschaft war und nach zwei Jahren in der internationalen Modellsiedlung der Bewegung in Italien kam sie nach Graz. Österreich sei für sie als Deutsche am Anfang gar nicht leicht gewesen, denn „man spricht zwar die gleiche Sprache, aber sonst ist doch vieles anders. Statt zum Einwohnermeldeamt musste ich damals zum Beispiel zur Polizei gehen, um mich anzumelden.“
Auch die Arbeitssuche war nicht leicht. „Sozialpädagogin“ bezeichnet in Österreich ein ganz anderes Berufsfeld als in Deutschland. „In diesen ersten Monaten habe ich verstanden, wie wichtig die Arbeit ist, um in einem Land zuhause zu sein.“
Nach einer vorübergehenden Tätigkeit innerhalb der Fokolar-Bewegung hat Sabine Krammel dann eineinhalb Jahre als Sekretärin bei einer Gebietskrankenkasse gearbeitet. „Es war eine Halbtagsstelle“, erinnert sie sich, „und ich saß die ganze Zeit mit Stöpsel im Ohr vor dem Computer und habe Arztberichte abgetippt.“ Für die kommunikative Frau war das alles andere als ein Traumjob, aber sie biss sich durch. Ihre nebenher laufenden Bewerbungen zeigten keinen Erfolg. Oft wurde sie zwar zu Gesprächen eingeladen, dann aber nicht genommen: „Die Arbeitgeber mussten ja davon ausgehen, dass ich als Deutsche die Sozialgesetzgebung nicht so gut kannte wie die österreichischen Mitbewerberinnen und Mitbewerber.“
Nachdem sich keine Lösung abzeichnete, wechselte Sabine Krammel in das Fokolar nach Linz. Dort fand sie überraschenderweise sehr schnell eine Stelle als Heimleiterin in einem Altenheim. „Sogar die dafür notwendige zweieinhalbjährige Ausbildung hat man mir finanziert.“ Danach stürzte sie sich mit Elan und vielen Ideen in die neue Tätigkeit. Es galt, vieles neu aufzubauen und einzuführen: ein Leitbild und das Qualitätsmanagement, eine neue Homepage, Schulungen für die Mitarbeiterinnen. Ihre Vorgesetzten ließen ihr viel Gestaltungsspielraum. Die Beziehung zum Personal in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen war eine große Herausforderung, „denn jeder sollte spüren, dass seine Arbeit wichtig war – egal, ob in der Pflege, in der Küche, als Reinigungspersonal oder in der Verwaltung.“ Sie habe viel gelernt in dieser Zeit, vor allem von den Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren tiefen Lebensgeschichten, und viel Anerkennung erfahren.
So traf es Sabine Krammel dann sehr hart, als sie feststellte, dass sie gemobbt wurde.

Die Situation spitzte sich so sehr zu, dass ihr die Kündigung als beste Lösung erschien. Innerhalb von drei Tagen war sie arbeitslos.

„Nachdem ich vorher manchmal den Eindruck hatte, dass ohne mich nichts lief, stellte ich dann fest, dass ich nicht unentbehrlich war. Es lief weiter, anders vielleicht, aber es lief. Das war eine echte Lektion für mich“; genauso wie zu erleben, dass sie von heute auf morgen wieder ein „Niemand“ war! Wie schnell auch die sicher geglaubte Arbeit wieder zu Ende ist, habe ihr noch einmal eindrücklich gezeigt, dass am Ende nur die Beziehungen zählen, die Liebe, – und dass der Wert eines Menschen nicht an der Position hängt.
Wieder musste Sabine Krammel sich auf Arbeitssuche machen. Dieses Mal bekam sie relativ schnell eine neue Stelle – wieder als Heimleiterin. „Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich trotz der Erfahrung von vorher Leitungsaufgaben übernehmen konnte!“ Schon nach kurzer Zeit erwies sich diese Stelle jedoch als ein 60-Stunden-Job. Eine neue Entscheidung stand an, „denn ich wollte nicht nur für die Arbeit leben. Auch wenn es mir Spaß machte, mich reizte: Das konnte es nicht sein!“ Obwohl man ihr viele Zusagen machte, um sie zu halten, entschloss sie sich, zu gehen. „Aber ich habe drei Monate gebraucht, um die Entscheidung dann wirklich umzusetzen.“
Danach war Sabine Krammel froh, dass sich für sie ein neuer beruflicher Weg eröffnete. „Nun habe ich zwar immer nur einen Ein-Jahres-Vertrag, der immer wieder verlängert werden muss“, beschreibt sie ihre berufliche Situation, „aber ich habe wieder Luft für anderes, für Beziehungen.“ Auch die neue Arbeit macht ihr Spaß: „Die meisten Menschen sind nach langer Arbeitssuche völlig unsicher und mürbe, was ihre Selbsteinschätzung betrifft, und es geht darum, ihnen wieder Wert und Würde zu vermitteln.“ Und vielleicht können sie Sabine Krammel gegenüber ja gerade deshalb ihre Karten so offen auf den Tisch legen, weil sie selbst erfahren hat, „dass Arbeit viel, aber nicht alles im Leben ist.“
Gabi Ballweg

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2009)
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