10. Oktober 2009

Die Beweislast umkehren

Von nst_xy

Die drei Jugendlichen auf der Parkbank mitten in der Lutherstadt Wittenberg fanden den bunten Zug der älteren Herren in ihren verschieden farbigen Gewändern einfach nur komisch. „Das sind Bischöfe aus der ganzen Welt“, wurde ihnen erklärt. „Sind die reich?“, lautete die spontane Rückfrage. „Nicht besonders!“, gab man ihm zur Antwort. „Einige von denen kommen aus der Dritten Welt und sind sogar ziemlich arm.“ – „Und was machen die hier?“ – „Die wollen zeigen, dass Christen zusammenhalten müssen!“ Kurze Denkpause! „Find ich gut!“, kommentierte der Wortführer der jungen Männer und nahm wieder einen Schluck aus seiner Bierflasche.
Die Episode am Rande des 28. Ökumenischen Bischofstreffens der Fokolar-Bewegung könnte man mit anderen Worten so zusammenfassen: Im Kernland der Reformation sind Christen zu exotischen Figuren geworden. Glaubwürdig sind sie, wenn sie zusammenhalten. Oder wie es ein Bischof bei diesem Treffen in Abwandlung eines bekannten Zitates von Karl Rahner sagte: „Die Kirche der Zukunft wird eins sein, oder sie wird nicht sein.“
Es war schon ein besonderes Geschenk, bei dem eigentlich nicht öffentlichen Treffen von Bischöfen verschiedener christlicher Kirchen als Zaungast dabei sein zu dürfen. „Die Beziehungen, die ich hier mit Bischöfen aus anderen Kirchen habe, sind stärker, als die mit den Bischöfen meiner eigenen Kirche“, gestand einer der Hirten und brachte so das Geheimnis dieses Miteinanders auf den Punkt. Es besteht in Beziehungen des Vertrauens, der Freundschaft, der Offenheit, in der Bereitschaft, Freud und Leid miteinander zu teilen. In solchen Beziehungen ist die ängstliche oder ehrgeizige Sorge um die Bewahrung des eigenen Profils nicht nötig.
„Die Einheit ist möglich, unser Miteinander beweist es“, lautete zu Recht eine Aussage, die in diesem Bischofstreffen immer wieder zu hören war. Und: „Vor unserer Umgebung müssen wir nicht begründen, warum wir aufeinander zugehen, sondern warum wir immer noch getrennt sind.“
Umkehr der Beweislast nennt man das in der Juristensprache, und dafür war es längst Zeit. Doch es wäre falsch, mit dem Finger nur auf die Bischöfe und Theologen zu zeigen. In diesem „wir“ sollten sich alle Christen wiederfinden. Jede und jeder Einzelne, jede Pfarr- und Kirchengemeinde, jeder „kleine“ und „große“ Amtsträger ist aufgefordert, zu begründen, warum wir in wesentlichen Punkten immer noch getrennt sind.
Im Exklusiv-Interview mit der NEUEN STADT hat Kardinal Kasper das vor uns liegende Jahr als ein „ökumenisches Jahr“ bezeichnet. Das Jubiläum der Rechtfertigungslehre in Augsburg, Feiern des Lutherischen Weltbundes und des Ökumenischen Rates der Kirchen, der Ökumenische Kirchentag in Deutschland: Es gibt viele Gelegenheiten, weitere Schritte aufeinander zu zu machen – auf allen Ebenen.
Die sind auch notwendig, weil doch hier und da – vor allem im ökumenischen Gespräch zwischen Katholiken und Protestanten – eine gewisse Ermüdung spürbar wird. Einen interessanten Vorschlag machte der frühere Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Christian Krause, im Rahmen des ökumenischen Bischofstreffens: Im großen Lutherjahr 2017 sollten die christlichen Kirchen gemeinsam 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg anschlagen. Ich wünsche mir, dass die erste These dann lautet: „Wir bezeugen vor der Welt, dass die Kirche Jesus Christi eins ist.“
Ihr
Joachim Schwind

„Es muss für uns unmöglich sein, die Kirche des anderen nicht zu lieben. Auf dieser Beziehungsebene haben wir dann einen besseren Einstieg in die Wahrheit. Das ersetzt nicht die theologische Arbeit, sondern ermöglicht sie… Jeder muss lernen, seine eigene Position liebend zu erklären und den anderen und das Warum seines Andersseins zu verstehen suchen. Dann tut sich von innen her ein Weg auf, die Wahrheit zu erschließen, ja sogar einen Zuwachs an Wahrheitserkenntnis zu bewirken.“
Bischof Klaus Hemmerle (1929–1994)

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2009)
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