10. Oktober 2009

Ein heiliger Pakt

Von nst_xy

35 Bischöfe aus 15 Ländern und sieben verschiedenen christlichen Konfessionen trafen sich im September in der Lutherstadt Eisleben. Sie redeten über die Zukunft der Kirche, und sie lebten miteinander Kirche der Zukunft.

Wie sie sich die Kirche von morgen vorstelle, wurde Maria Voce, die Präsidentin der Fokolar-Bewegung, von einem Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche in Indien gefragt. Es hätte ihr gewiss niemand übel genommen, wenn sie dieser Frage ausgewichen wäre und auf das – letztlich immer unberechenbare – Wirken des Heiligen Geistes verwiesen hätte. Aber die Italienerin, die seit gut einem Jahr an der Spitze der Laienbewegung der Fokolare steht, zog sich nicht so leicht aus der Affäre. Mit einem leicht schmunzelnden Blick in die bunte Runde der vor ihr sitzenden Bischöfe aus sieben verschiedenen christlichen Kirchen sagte sie: „So stelle ich mir die Kirche der Zukunft vor.“
Um den Vergleich zu verstehen, muss man sich die kleine Bischofsgruppe etwas genauer anschauen: Bereits zum 28. Mal trafen sich die christlichen Amtsträger, die sich als „Freunde der Fokolar-Bewegung“ verstehen.
Zu der alljährlichen Begegnung kamen dieses Mal 35 Bischöfe aus 15 Ländern: Vertreter der orthodoxen und altorientalischen Kirchen, der anglikanischen Gemeinschaft, der evangelischen, methodistischen und katholischen Kirche. Doppelt symbolträchtig war der im Herzen Deutschlands gelegene Ort ihres Treffens: das vor zehn Jahren neu gegründete traditionsreiche katholische Zisterzienserinnenkloster Helfta, gelegen in Eisleben, der Geburtstadt des Reformators Martin Luther.
Martin Luther, sein Leben, sein Umfeld, seine Theologie und die Stätten seines Wirkens waren dementsprechend wichtige Schwerpunkte des ökumenischen Bischofstreffens. Doch die Beschäftigung mit Luther geschah nicht in theologischen Lehrgesprächen. „Wir wollen einander von der Wurzel her kennenlernen“, sagte der Prager Kardinal Miloslav Vlk, der die Begegnungen koordiniert. „Und wo könnte das besser geschehen als in der Heimat des Reformators“, ergänzte Landesbischof Christian Krause, der die Bischofsgruppe nach Deutschland eingeladen hatte.

Krause, der frühere Präsident des Lutherischen Weltbundes, bereitete seine „lieben Freunde“ auch auf den eintägigen Ausflug in die Lutherstadt Wittenberg vor.

Er beschrieb die Zeitenwende vor 500 Jahren, die Brüchigkeit des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die Angst in der Bevölkerung vor Fegefeuer und Höllenstrafen, das Ringen des Mönchs Martin Luther um einen gnädigen Gott und schließlich dessen Versuch zu einer „evangeliumsgemäßen Befreiung des Glaubens“, die doch dort endete, wo Luther niemals hin wollte: in einer tiefen Spaltung der Christenheit. Und er zeichnete ein Bild der heutigen evangelischen Kirchenlandschaft in Deutschland, in der sich noch immer die zersplitterte Kleinstaaterei widerspiegelt, wie sie schon zur Zeit der Reformation dieses Land geprägt hat.
Mit dieser Einführung und den Bildern des Kinofilms „Luther“ von 2003 im Hinterkopf machte sich die bunte Bischofstruppe auf den Weg durch Wittenberg – und durch die Geschichte der Reformation: beginnend in der Schlosskirche, wo Luther mit seinem Thesenanschlag im Jahr 1517 eigentlich nur Theologen zum Disput herausfordern wollte und doch den Lauf der Weltgeschichte änderte; vorbei an der Universität, wo der Reformator in Streitgesprächen seine Theologie verteidigte; hinein ins Lutherhaus, wo er mit seiner Familie lebte und arbeitete; bis zur Stadtkirche, wo er über 2000 Predigten hielt.
Hier feierten die Bischöfe das Heilige Abendmahl – gemeinsam und doch im entscheidenden Moment, in der Kommunion, auf schmerzlichste Weise getrennt, wie es ihre Kirchen noch immer sind.
Gleichzeitig machten die Kirchenführer aber auch immer wieder deutlich, wie viel unter ihnen geschehen kann, wenn sie sich in einer brüderlichen Weise aufeinander einlassen. So zum Beispiel, als der katholische Luther-Experte Hubertus Blaumeiser über Luther als Prediger referierte, und sich orthodoxe, anglikanische und evangelische Bischöfe gleichermaßen in Frage gestellt zeigten, von der tiefen Liebe des Reformators zum Wort Gottes.
Berührt von Luthers Umgang mit dem Wort Gottes waren die Bischöfe aber nicht nur in ihrer Funktion als „Prediger“, als Verkünder des Evangeliums, sondern auch auf ganz persönliche Weise. Denn das ganz unmittelbare Leben aus dem Wort Gottes war – neben Luther – ein zweiter Schwerpunkt dieser ökumenischen Begegnung. Das galt nicht nur für die gemeinsamen Gebetszeiten, sondern für die – den Lesern dieser Zeitschrift vertraute – Praxis, ein Schriftwort als Lebensgrundlage zu nehmen. Über jedem Tag stand so ein „Lebenswort“, und am Beginn des Folgetages tauschten sich die Bischöfe stets auf sehr persönliche Weise darüber aus, wie sie das Schriftwort tags zuvor „gelebt“ hatten.
Die oft über viele Jahre und über alle Konfessionen hinweg gewachsenen brüderlichen und freundschaftlichen Beziehungen schaffen ein Klima, in dem keiner Sorge haben muss, das Gesicht zu verlieren.

Im Gegenteil: Das Vertrauen ist so groß, das die Amtsträger ohne Scheu einander auch Fehler eingestehen konnten.

Das Wort: „Siehe ich stehe an der Tür und klopfe an“ war für einen der Bischöfe – wie er berichtete – ein Impuls, hinter jedem Schnitzer, den er sich in diesen Tagen leistete, den persönlichen Anruf Jesu zu vernehmen und demütig zu seinen Fehlern zu stehen.
Mit der selben Bescheidenheit unterstellten sich die Bischöfe auch dem immer wieder ins Programm eingebundenen „Lehramt der Laien“. Erfahrungsberichte aus dem Leben Einzelner oder ganzer Gemeinschaften, Projekte, Initiativen führten den „Oberen“ vor Augen, was der Heilige Geist auch „unten“ so alles wirkt: die durch viele Höhen und Tiefen durchgetragene „alltägliche Ökumene“ einer gemischtkonfessionellen Ehe; das spannende Leben in einer Fokolar-Gemeinschaft, die sich aus Katholiken und Evangelischen zusammensetzt; die breite Bewegung der Befreundung unter christlichen Bewegungen und Gemeinschaften. Miteinander-Prozesses christlicher Bewegungen, der von den Kirchenleitungen endlich konkrete und sichtbare Schritte zur Einheit einforderte. Ebenfalls zu diesem Kapitel gehörte die bereits erwähnte Begegnung der Bischöfe mit der neuen Präsidentin der Fokolar-Bewegung, Maria Voce, in der sich beide Seiten auf geradezu anrührende Weise beschämt zeigten von der Aufmerksamkeit und dem Respekt, den ihnen der jeweils andere Part entgegenbrachte.
Höhepunkt jeder Begegnung dieser Bischofsgruppe ist ein ökumenischer Gottesdienst am Ende des Treffens, in dem die Bischöfe feierlich „ihren Pakt“ erneuern. Voreinander versprechen sie, „vor allem und in allem einander zu lieben, wie Jesus uns geliebt hat“, sodass „das Kreuz des einen das Kreuz des anderen ist, die Freude des einen die Freude des anderen, die Sehnsucht des einen die Sehnsucht des anderen, damit alle eins seien und die Welt glaubt.“

Die gegenseitigen Umarmungen, mit denen die Bischöfe diesen Pakt bekräftigen, machen deutlich, wie ernst es ihnen damit ist. Viele von ihnen tragen eine Kopie des Textes mit sich im Portemonnaie herum, um sich täglich an den Bund zu erinnern. Auch aus den herzlichen Grüßen all derer, die den Pakt schon einmal (oder öfter) geschlossen haben und dieses Mal nicht dabei sein konnten, spürt man, wie ernst sie dieses Versprechen nehmen.

Und das Kirchenvolk, das an dem Gottesdienst teilnahm, fühlte sich wie die Zeugenschar an einem heiligen Bund. Nicht wenigen standen die Tränen in den Augen!

Der letzte Tag steht unter dem bezeichnenden Wort: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde!“ Was kann eine so kleine Gruppe – in der Summe der potentiellen Teilnehmer mögen es an die 100 sein – schon bewirken? Sicher jede Menge auf der persönlichen Ebene: von Herzerweiterung ist da die Rede, von der Abkehr von einem übersteigerten kirchlichen Selbstbewusstsein, von neuer Sensibilität für das, was man bisher bei Vertretern der anderen Kirche als störend und widerständig empfunden hat.

Aber es bleibt nicht bei der persönlichen Veränderung. „Ich bin hier im Namen meiner Bischofskonferenz“, sagt ein katholischer Bischof aus Brasilien.

„Natürlich werde ich berichten über das, was wir hier miteinander leben.“ Auch Vertreter der evangelischen Kirche machen deutlich, dass sie sich immer auch in einer stellvertretenden Funktion verstehen. „Von der letztjährigen Begegnung in Beirut“, so ein Lutheraner, „habe ich bestimmt zehnmal berichtet.“ Und der Bischof einer altorientalischen Kirche sagt schmunzelnd, dass er den Umgangsstil dieser Bischofstreffen „heimlich“ in die Ausbildung seiner Priesteranwärter einfließen lasse.
„Von der Zukunft der Kirche“ lautete das offizielle Thema der diesjährigen Begegnung. Die beteiligten Bischöfe haben darüber viel gehört und sich ausgetauscht, aber sie haben vor allem „Kirche der Zukunft“ miteinander gelebt, wie es ihnen die Fokolar-Präsidentin bescheinigt hat. Nimmt man ihr Miteinander tatsächlich als Modell, dann lebt die künftige Kirche aus dem tiefen Hinhören und Kennenlernen der Herkunft des anderen, seiner Eigenheiten und Kanten, seiner geschichtlichen Last und seines Reichtums. Sie lebt ganz aus dem Evangelium, das Ursprung und Mitte aller Gemeinschaft ist. Sie lebt in der wesensmäßigen Gleichheit aller Glieder im Volk Gottes, welche die Unterschiede in den Ämtern und Diensten nicht aufhebt, sondern ihnen den ihnen zustehenden Platz einräumt. Sie lebt aus der immer wieder erneuerten Bereitschaft, einander uneingeschränkt und in größtmöglicher Hingabe zu lieben, sodass die Gegenwart des Auferstandenen Christus in der Mitte der Gemeinschaft erlebbar wird.
Was dieser ökumenischen Begegnung von Bischöfen im Blick auf die Kirche der Zukunft noch fehlt, ist die Mahlgemeinschaft am Tisch des Herrn. Daran ist mit Nachdruck zu arbeiten.
Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2009)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und Email finden Sie unter Kontakt.
© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München