10. April 2010

Was werden soll, das wird!

Von nst3

Die 48-jährige Ursula Leutgöb ist Mutter und Hausfrau. Obwohl im letzten Jahr die zweite CD mit Liedern der Oberösterreicherin erschien, sieht sie sich nicht als Liedermacherin.

“So wie andere Tagebuch schreiben, kommt mir ein Lied.” Ursula Leutgöb sagt das zögernd, und es klingt, als ob das Liederschreiben für sie einfach dazu gehöre; so, als habe die 48-jährige gebürtige Oberösterreicherin selbst sich noch nie Gedanken darüber gemacht, warum das so ist. Zusammen mit einer Freundin hat sie mittlerweile zwei CDs produziert und nun auch zwei größere Konzerte gegeben. Die Mutter von drei Kindern ist gelernte Übersetzerin und lebt mit ihrer Familie vor den Toren Wiens. Eichgraben hat etwa 6000 Einwohner, „aber die Hälfte von ihnen ist nur im Sommer oder am Wochenende da“, erklärt sie während der kurzen Fahrt vom Bahnhof durch die niederösterreichische Gemeinde bis zum Einfamilienhaus der Familie Leutgöb.

Man sieht dem Haus an, dass es – im besten Sinn des Wortes – bewohnt wird. Ursula Leutgöb schafft es mit ihrer natürlichen und herzlichen Art, die gleichzeitig auch einen Hauch Zurückhaltung ausstrahlt, dass man sich sofort wohl fühlt bei ihr. Sie wirkt offen, lebensfroh, realistisch und tatkräftig: eine Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht.

1993 sind Ursula und ihr Mann Thomas mit den beiden Ältesten – Julian und Philip (damals 4 und 2) – von Wien in den Wienerwald gezogen. Lena, die jüngste, ist im November 1993 hier in Eichgraben geboren. Ursula Leutgöb war sich darüber im Klaren, dass sie als Zugezogene keinen leichten Stand haben würde: „Mit zwei Kindern, die noch nicht in die Strukturen eingebunden waren, musst du selbst gehn und schaun; sonst bleibst du allein!“ Dass sie bei den Kindern zuhause bleiben konnte, hatten sie und ihr Mann sich gewünscht: „Das hat mit meiner Geschichte zu tun,“ erklärt sie. „Mit neun Jahren habe ich meine Mutter verloren und dann viele Jahre im Internat gelebt.“

Das Klischee von der „Nur“-Hausfrau mag für die engagierte Frau so gar nicht passen.

Nicht nur, weil Ursula Leutgöb in all den Jahren auch freiberuflich als Übersetzerin und Vermittlerin für Sprachreisen nach Irland gearbeitet hat. Auch in ihrem Umfeld blieb sie nicht tatenlos. So entstanden aus einer Plattform, die sie und ihr Mann zusammen mit anderen Familien begonnen hatten, viele Gemeinschaft fördernde Aktivitäten: Ein Spielplatz wurde angelegt, jemand gab den Anstoß zu einem jährlichen Gemeinschaftslauf im Dorf, eine Frau rief einen Chor ins Leben, und eine Gruppe Männer mietete sich einmal wöchentlich die Turnhalle zum Basketball spielen. Im Rückblick freut sich Ursula Leutgöb noch immer an all dem, „was entsteht, wenn viele sich trauen!“

Halbe Sachen liegen ihr nicht. Was Ursula Leutgöb anpackt, das macht sie ganz. So auch, als vor fünf Jahren ihre Jungs vom Fußballtraining nach Hause kamen und von vier Nigerianern berichteten, die neu zum Verein gestoßen waren. „Da waren vier Burschen, die Hilfe und Freundschaft brauchten!“, beschreibt sie schlicht, wie sie die Situation erlebt hat. Dass ihr Freundschaftsangebot dann auch dazu führte, dass sie sich intensiv mit der österreichischen Asylpolitik auseinander setzen musste, erzählt sie fast entschuldigend. „Ursprünglich zählte nur, dass da jemand war, der meine Hilfe brauchte und ich spürte, ich kann und muss sie geben!“ Als einer der vier – Emmanuel Antiga, von allen „Tiger“ genannt – von der Abschiebung bedroht war, setzte Ursulas Familie sich zusammen mit zwei anderen Familien für ihn ein. Viele schlossen sich ihnen an. Die Abschiebung konnten sie zwar nicht verhindern, aber „Tiger“ konnte mit Hilfe seiner Eichgrabner Freunde in Nigeria ein neues Leben beginnen. Obendrein wurde das Österreichische Fernsehen auf die Geschichte aufmerksam, hat sie verfilmt und mit „Der schwarze Löwe“ ein großes Publikum für das Thema sensibilisiert.

Dass manchmal aus kleinen Dingen Großes entsteht, davon kann Ursula Leutgöb in vielerlei Hinsicht ein Lied singen. Als das Wienerwaldmuseum und das zugehörige Veranstaltungszentrum im Ort eingeweiht werden sollten, bemerkte sie beim Blick auf das Programm, dass in dem dreitägigen Festprogramm nichts für Kinder dabei war. „Weil das doch nicht sein konnte“, stellte sie kurzerhand mit einer Freundin, die etwas von Tanz und Choreographie verstand, eine kleine Tanztruppe zusammen. Miteinander erarbeiteten sie ein Kindermusical. Die Aufführungen der jungen Künstlerinnen und Künstler waren der Renner auf dem Fest – und die Kinder so begeistert, dass sich daraus dann die Tanzgruppe „Bellarina“ entwickelte.

Ursula Leutgöb hat sich zehn Jahre lang mit Leib und Seele in diesem Projekt engagiert und war vor allem für die Organisation der Gruppe zuständig: Im letzten Sommer waren es fast 120 Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters, die sich – aufgeteilt auf zwölf Gruppen – wöchentlich zum Unterricht trafen. Die Aufführungen gehörten zu den absoluten „highlights“ im Gemeindeleben. Im vergangenen Herbst stellte Ursula Leutgöb fest, dass für sie nun ein neuer Schritt dran war. So hat sie die Staffette an andere übergeben.

„Man muss sich nicht definieren über das, was man leistet. Der liebe Gott mog uns so a!“

Ganz selbstverständlich und doch auch erkämpft, so klingt das. Und diese Lebenseinstellung spricht auch aus den 13 Liedern auf der CD „Schattenlicht“, die Ursi, wir ihre Freunde sie nennen, im letzten Jahr zusammen gestellt hat. Es sind „Lieder, die mitten im Leben entstanden sind“ – zwischen Schatten und Licht, über die Kinder, die Hausarbeit, für ihre Eltern, über schmerzliche und freudige Alltagssituationen. „Es sind meine Erfahrungen; das, was mich glücklich macht und das, womit ich kämpfe,“ sagt Ursula Leutgöb.

„Die wichtigen Schritte im Leben habe ich immer im Schmerz gemacht“ – und aus der Grundüberzeugung , „dass da einer ist, der mich bedingungslos annimmt.“

Weil ihr Mann und ihre Musikerkollegen sie ermutigten, hat Ursula Leutgöb die Konzerte gegeben. Sie selbst hatte das nicht geplant. Aber dann hat es sich „einfach so“ ergeben: der Saal war wider Erwarten frei, die befreundeten Berufsmusiker hatten Zeit – da konnte sie nicht mehr zurück. Im Nachhinein ist Ursula Leutgöb froh darüber. Viele haben ihr geschrieben, dass die Lieder sie „berührt“ hätten, sie sich verstanden und „abgeholt“ fühlten und dass selbst in den traurigen Songs „so etwas wie Erlösung spürbar“ gewesen sei.

Auch in Zukunft möchte Ursula Leutgöb offen sein für die „Anfragen“, die das Leben für sie bereithält. Denn: „Was werden soll, das wird! Auch wenn es dann Zeit braucht zum Wachsen.“ Wenn man ihr zuhört, hat man den Eindruck, dass sie aus Erfahrung spricht – wie in ihren Liedern.
Gabi Ballweg

Die CD „Schattenlicht“ ist erhältlich beim Verlag Neue Stadt.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2010)
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