10. Juni 2010

Es war nur die Vorspeise

Von nst02

1000 Brote an 1000 Tischen: Das war das geschichtsträchtige Bild, das vom 2. Ökumenischen Kirchentag in München ausging. In dem orthodoxen Gottesdienst der „gesegneten Brote“ bündelten sich die wichtigsten Grundlinien des großen Christentreffens, an dem sich rund eine halbe Million Menschen beteiligten.

Die Menschen, die da mitten in München gemeinsam an einem Tisch saßen, kannten einander nicht. Wie etwa 20 000 andere Teilnehmende am 2. Ökumenischen Kirchentag hatten sie sich an diesem Freitagabend auf dem Münchener Odeonsplatz und der angrenzenden Ludwigstraße versammelt. Bei einer Temperatur von acht Grad hielten sie zweieinhalb Stunden aus. Sie feierten die orthodoxe Vesper vor der Feldherrnhalle mit. Dann aßen sie miteinander das gesegnete Brot und die bereitliegenden Äpfel. Sie stellten sich gegenseitig vor mit Namen, Herkunft, Beruf. Und als sie auseinander gingen, wussten sie nicht, welcher christlichen Konfession eigentlich jede und jeder am Tisch angehörte. Die Szene, die sich tatsächlich so abgespielt hat, könnte auch symbolisch für den 2. Ökumenischen Kirchentag stehen. Denn sie fasst vier wesentliche Grundzüge dieses großen Christentreffens zusammen:

Die Kälte steht für widrige äußere und innere Umstände, unter denen diese Großveranstaltung – alles in allem sehr gut abgelaufen ist.

Die orthodoxe Liturgie steht für Ausweitung, die bei diesem Kirchentag die Ökumene in Deutschland erfahren hat, durch die besondere Beteiligung der orthodoxen Christen und aller in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) zusammengeschlossenen 17 Konfessionen.Die Nebensächlichkeit der konfessionellen Zugehörigkeit bei der Vorstellung der Tischgemeinschaft bezeichnet eine neue Selbstverständlichkeit in der Begegnung von Christen verschiedener Konfessionen.Und der Veranstaltungsort der Vesper vor der symbolträchtigen Feldherrnhalle, von der aus Hitlers „Bewegung“ ihren Zug zur Eroberung der Welt startete, steht für ein neues Bewusstsein der Christen in Deutschland im Hinblick auf ihre Verantwortung zur Gestaltung der Gesellschaft.

Krisenfest

Gehen wir der Reihe nach. Es war kalt in München, während des Ökumenischen Kirchentages. Die Temperaturen und der Wind, der den Christen ins Gesicht blies, hatten einen hohen Symbolwert. Vor allem die Vertreter der katholischen Kirche fanden sich oftmals in frostiger Atmosphäre wieder und spürten heftigen Gegenwind besonders von ihrer eigenen Basis. Die Erschütterungen durch den Missbrauchsskandal und die damit einhergehende Kirchenkrise waren allenthalben zu spüren. Wie aktuell ihr Motto „Damit ihr Hoffnung habt“ werden würde, hatten die Veranstalter wirklich nicht ahnen können, als sie sich vor über zwei Jahren dafür entschieden. Als die Wirtschafts- und Finanzkrise kam, konnten sie sich noch über eine glückliche Hand bei der Themenwahl freuen. Doch die kirchliche Innenkrise drückte dann gewaltig auf die Stimmung. Statt die Hoffnung in die Welt hineinzurufen, musste man sie sich nun selbst zusprechen. Drei Auswirkungen der Kirchenkrise auf dem Ökumenetreffen sind besonders hervorzuheben: Zunächst einmal hat das Thema nicht alles überlagert. Das mag auch an der Solidarität der evangelischen Christen liegen, die jeder Versuchung widerstanden haben, die Schwäche der katholischen Geschwister für eigene „Feldvorteile“ auszunutzen. Die Ökumene hat sich wie es der katholische Kirchentagspräsident Alois Glück beschrieb als „wetterfest“ erwiesen. Hilfreich war dabei gewiss auch, dass die Erschütterungen auf katholischer Seite zu einer neuen Bescheidenheit geführt haben. Die Amtsträger der römischen Kirche sind damit wie es Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung festgestellt hat dialogfähiger und auch ökumenefähiger geworden. Eine dritte Beobachtung: Es brodelt gewaltig an der katholischen Basis. Und die Ungeduld des Kirchenvolkes wächst in der Begegnung mit Christen anderer Konfessionen. In München lag ein Hauch von Reformation in der Luft. Längst geht es nicht mehr um die Frage, wie mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker umgegangen wird. Auf dem Prüfstand steht vielmehr das Verständnis von geistlichem Amt und geistlicher Macht. Laut waren die Forderungen nach der Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester und nach einer Lösung der Abendmahlsfrage für konfessionsverbindende Ehen. Und wo es keine schnellen Lösungen gibt, erwartet das Kirchenvolk verständliche und nachvollziehbare Erklärungen.

Vielschichtig

Beim Eröffnungsgottesdienst hatten der evangelische Landesbischof Johannes Friedrich und der katholische Erzbischof von München, Reinhard Marx, noch im Duett gepredigt. Doch dieses Signal ökumenischer Partnerschaft war bereits überholt. Denn in die Leitung des Kirchentages waren die 17 Mitglieder des Arbeitskreises Christlicher Kirchen in Deutschland eingebunden. Richtigerweise predigten beim Abschlussgottesdienst dann immerhin vier Bischöfe: ein Katholik, eine Evangelischer, ein orthodoxer Metropolit und die leitende Bischöfin einer Freikirche, der Methodisten. Die Ökumene in Deutschland ist mit diesem Kirchentag vielschichtiger geworden. Augenfällig wurde das durch die starke liturgische Beteiligung der Orthodoxen, ganz besonders im großen Vespergottesdienst. Die Einbindung aller in der ACK vertretenen Kirchen hat zu einer spürbaren Entkrampfung im ökumenischen Miteinander geführt. Die Vielgestaltigkeit befreit sicher die evangelische Kirche von dem Druck, gegenüber den Katholiken ständig nach einem eigenen Profil suchen zu müssen. Die katholische Seite kann unter Verweis auf die Tradition der Orthodoxen leichter die Forderung nach der Frauenordination, nach der Abendmahlsgemeinschaft oder allzu liberale Ansichten in der Sexualmoral abwehren. Allerdings steckt darin auch die Versuchung, den ökumenischen Fortschritt zu verlangsamen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat gewiss Recht, wenn er darauf hinweist, dass es „keine Ökumene mit verschiedenen Geschwindigkeiten“ geben soll. Doch auch wenn der Langsamste das Tempo bestimmt, können ihn die Schnelleren und Kräftigeren gegebenenfalls einmal unterhaken oder ein Stück weit tragen. Und bei aller Freude über die Feier der gesegneten Brote bleibt zu bedenken: Es war kein Ersatz für die fehlende Mahlgemeinschaft unter den Christen. Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland brachte es mit einem Vergleich auf den Punkt: „Das war die Vorspeise.“

Selbstverständlich

„Wenn dieser Kirchentag ökumenische Neugierde wecken würde, wäre dies ein positives Ergebnis“, sagte die methodistische Bischöfin Rosemarie Wenner vor der Presse, und machte damit deutlich, dass die Freikirchen Neueinsteiger in diesem ökumenischen Spektrum sind. Die großen Kirchen sind viel weiter.

Die Zeit des Beschnupperns und der vorsichtigen Annäherung ist vorbei. Auf dem 2.Ökumenischen Kirchentag herrschte eine sensationelle ökumenische Selbstverständlichkeit.

Im Vordergrund stand nicht mehr die Konfession, sondern die Person mit ihrer persönlichen Lebens- und Berufungsgeschichte, die Gruppierung oder Gemeinde mit ihrer speziellen Charakteristik oder ihrem besonderen Charisma, die Vereinigung oder der Verband mit der jeweiligen missionarischen oder pastoralen Spezialisierung. Die so genannte „Agora“, also der Markt der Möglichkeiten, bei dem sich rund 1000 Gruppierungen vorstellten, war dafür ein hervorragendes Beispiel. Das bedeutet nicht, dass die konfessionellen Grenzen verwischen. Aber im sozialen Einsatz, in der Friedensarbeit, im interreligiösen Dialog und in vielen anderen Bereichen ist die konfessionelle Zugehörigkeit erst in zweiter Linie von Bedeutung. Diese Selbstverständlichkeit im Umgang der Christen untereinander zeigt auch, wie viel es bereits an gelebter Ökumene in den Gemeinden, Verbänden und Gruppierungen gibt. Hier kommt dem Prozess der Befreundung und Gemeinschaft unter geistlichen Bewegungen, deren Miteinander erstmals auf einem Kirchentag vertreten war, eine wichtige Rolle zu. Denn diese Gruppierungen haben ein hohes Maß an Erfahrung im Umgang mit Einheit und Verschiedenheit (siehe Zeichen der Hoffnung).

Verantwortungsvoll

Wenn man selbst verunsichert ist, tut es gut, von anderen zu hören, wo und für wen man eine wichtige Rolle spielt. Beim 2. Ökumenischen Kirchentag haben es besonders die Politiker übernommen, den Kirchen „gut zuzureden“ allen voran die beiden höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland. Es war geradezu eine Lobeshymne, was Bundespräsident Horst Köhler schon bei der Eröffnung des Kirchentages den Teilnehmenden zurief. Angesichts der kirchlichen „Vertrauenskrise“ setzte er mit seinem Lob gerade dort an, wo die Christen derzeit besonders angefochten sind: bei den „viele guten Seelsorgerinnen und Seelsorgern“, den vorbildlichen „Jugendleiterinnen und Jugendleitern“, den unzähligen Beispielen „gelebter Barmherzigkeit und tatkräftiger Solidarität“. Noch weiter ging Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Christentum als Fundament der Gesellschaft bezeichnete. Der Zusammenhalt der Gesellschaft könne nicht von der Politik allein garantiert werden. „Politik kann Werte nicht verordnen.“ Hier hätten auch die Christen die Aufgabe, das Wertefundament immer wieder neu zu legen. Dass diese dazu bereit sind, hat der 2. Ökumenische Kirchentag unter Beweis gestellt. Besonders in der Frage nach neuen ethischen Grundlagen für die Wirtschafts- und Finanzwelt haben Christen ihre kompetente Stimme erhoben. Nicht zu vergessen sind auch die Themenfelder Krieg und Gewalt oder Umweltfragen. Eines der konkreten Ergebnisse des Kirchentages ist der breite Konsens darüber, dass die beiden großen Kirchen in Deutschland ein neues Sozialwort vorbereiten sollen möglichst unter Einbeziehung der ACK-Mitgliedskirchen. Dennoch war der Münchener Kirchentag keine politische Veranstaltung. Geistliche Angebote stießen auf vergleichbares Interesse. „Wir können Glauben und Weltverantwortung nicht auseinander dividieren“, fasste es Alois Glück zusammen. Und sogar Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, bezeichnete die Veranstaltung als „Gesellschaftstag mit erfreulich unübersehbarer Tendenz zu mehr Frömmigkeit und klarem Gottesbezug.“ So hat sich an diesem Kirchentag das Motto „Damit ihr Hoffnung habt“ in dreifacher Richtung bewahrheitet: in der Hoffnung für die Christen selbst, die verstehen durften, dass diese Gesellschaft sie braucht; in der Hoffnung für die Welt, die wahrnehmen konnte, was sie gerade in Krisenzeiten an den Christen für einen Schatz hat; in der Hoffnung für Fortschritte im Hinblick auf die volle, sichtbare Einheit unter den Christen damit es nicht nur bei der schönen „Vorspeise“ bleiben muss.

Joachim Schwind

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2010)
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