10. Juni 2010

Gesellschaftskitt

Von nst02

Unter den Entwürfen für das Titelbild dieser Ausgabe war auch das Foto eines kleinen Mädchens, das verloren, einsam und traurig den Kopf an eine Mauer lehnt. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre es womöglich ein passendes Bild gewesen, um das Thema „versteckte Kinderarmut“ zu illustrieren. Derzeit jedoch würde so ein Bild vor allem mit dem Thema Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht werden. Und so haben wir in der Redaktion den Vorschlag ohne langes Überlegen verworfen.

Mit einem etwas komplizierten Gedankengang hätten wir dieses Foto vielleicht doch als Titelbild verwenden können: Denn im Zusammenhang mit den Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche flackert das Thema „Pädophilie” in zwei weiteren Beiträgen auf: Es beschäftigte stark den 2. Ökumenischen Kirchentag und trug dort sehr zu einer intensiven Debatte über das Verständnis von geistlichem Amt und geistlicher Macht in der katholischen Kirche bei. Und es bringt den Priester Wilfried Hagemann dazu, in einem ausgesprochen markanten Beitrag von einem „Gericht“ zu sprechen, das „über die katholische Kirche hereingebrochen ist“. Drei so verschiedene Artikel mit einem Titelbild zusammenzubinden, wäre reizvoll gewesen, aber letztlich eben doch weit hergeholt.

Dennoch gibt es zwischen den drei Beiträgen eine innere Linie, die es rechtfertigt, dass wir das scheinbar am wenigsten spektakuläre Thema in den Vordergrund stellen. Die versteckte Kinderarmut in unseren Landen ist nämlich ein ganz typisches Einsatzfeld für christliche Organisationen und Hilfsprojekte: nicht nur für die karitativen Verbände, sondern auch für jene Gruppierungen, die offene Kinder-und Jugendarbeit machen, die sich für Familien und ihre Belange einsetzen, Bildungsangebote machen oder Menschen zu ehrenamtlichem Einsatz motivieren.

Viele dieser Gruppierungen haben sich beim 2. Ökumenischen Kirchentag vorgestellt und damit deutlich gemacht, wie sehr das Evangelium der Kitt ist, der unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Welche konfessionelle Prägung diese Gruppierungen haben, ist im Einsatz eher nebensächlich. Sie sind vor allem anderen Zeugen der Liebe Gottes in dieser Welt.

Damit sie das sein können, braucht es ein ausgeprägtes Glaubensleben und – in den meisten Fällen eine solide Einbindung in eine Kirche, in eine Gemeinde. Und hier wiederum kommen die Pfarrer ins Spiel, die vor allem auf der katholischen Seite derzeit so sehr auf dem Prüfstand stehen. Gemeinde, Kirche braucht eine Struktur, braucht Leitung, braucht eine Ordnung. Das ist die Aufgabe der Pfarrer, die vielleicht – angesichts der derzeitigen Krise – neu lernen müssen, dass diese Struktur nicht von oben verordnet werden kann, sondern von unten her wachsen muss, aus der Haltung des „Fußwaschens“, wie es Wilfried Hagemann schreibt.

Die Fußwaschung ist im Übrigen ein Dienst, den man erwidern kann – auch wenn man kein Amt bekleidet!

Ihr Joachim Schwind

„Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“
Vaclav Havel

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juni 2010)
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