12. Juli 2010

Mission Fußball

Von nst02

Was hat Fußball mit Mission zu tun? Dazu äußerte sich im Rahmen der Weltmissionskonferenz in Edinburgh Anfang Juni der derzeitige Präsident des Kirchenrates in Südafrika, Tinyiko Sam Maluleke. Der presbyterianische Theologe nahm als einer von 300 Delegierten aus 60 Ländern an der Konferenz teil, die auch an die Anfänge der ökumenischen Bewegung vor genau 100 Jahren erinnerte.

Während der Weltmissionskonferenz trugen Sie öfters ein T-Shirt in den südafrikanischen Farben und hatten eine „Vuvuzela“, das typische südafrikanische Blasinstrument, dabei. Warum?

Maluleke: Dass die FIFA die Fußball-Weltmeisterschaft erstmals an ein afrikanisches Land vergeben hat, darf man sicherlich als historisch bezeichnen. Es ist immerhin das größte Sportereignis weltweit. Das wollte ich würdigen und feiern. Außerdem wollte ich unter- streichen, dass das eine große Bestätigung für Afrika bedeutet, gerade weil der Kontinent sonst oft noch vielen suspekt ist und negativ betrachtet wird. Diese Bestätigung gibt Afrika einen großen moralischen Auftrieb. Die Vuvuzela brachte ich vor allem deshalb mit, weil Afrika noch immer so gehört und gesehen wird, wie es nicht gehört und gesehen werden möchte. Die Vuvuzela ist der verzweifelte Versuch Afrikas, auf sich aufmerksam zu machen. Sie ist ja sehr laut, erst recht wenn Tausende von Menschen sie spielen. Hier ist ein Kontinent, der weiterhin nach Anerkennung und Würde schreit, der positiv interpretiert werden möchte. Es gibt für mich einen Zusammenhang zwischen diesem Wunsch und dieser Weltmissionskonferenz,  diegenau jetzt zu diesem Zeitpunkt stattfindet.  Im Süden der Welt – in Afrika, Asien, Lateinamerika – wächst die Kirche am schnellsten, und es gibt dort viel lebendige christliche Mission.  All das wollte ich miteinander in Verbindung bringen.

Warum wächst die Kirche im Süden Ihres Erachtens stärker als anderswo?

Maluleke: Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, es liegt auch daran, dass die Menschen in diesem Teil der Welt die lange Geschichte des Christentums mit all den Problemen, die damit zusammenhängen, nicht so präsent haben. Machen wir uns nichts vor: Das Christentum hat eine sehr wechselvolle Geschichte. Dazu gehören die Kreuzzüge und die Kriege gegen den Islam im Mittel- alter sowie die beiden Weltkriege der letzten 100 Jahre, die von christlichen Völkern begonnen und geführt wurden. Zu dieser Geschichte gehört auch die Apartheid in Südafrika, denn obwohl es eine Irrlehre war, wurde sie als „christlich“ dargestellt. Im Süden wissen die Menschen weniger um diese wechselvolle Geschichte. Deshalb gibt es noch Raum für eine positive Annahme und Aneignung des Christentums. Ich glaube, die Menschen dort sind freier, Christen zu sein, ohne jene Verlegenheit, wie man sie in Europa und anderswo manchmal beobachten kann. Außerdem hat das Verständnis von Fortschritt und Entwicklung, das Religion in den privaten Bereich verweist, das Denken der Menschen im Süden noch nicht so durchdrungen wie in den westlichen Ländern.

In Ihrem Blog schrieben Sie, dass Sie die Weltmeisterschaft gerne verschoben hätten. Was meinten Sie damit?

Maluleke: Die Weltmeisterschaft wirft, wie die Olympischen Spiele und andere Großereignisse, auch die Frage auf: „Was passiert danach?“ Das ist eine schwerwiegende Frage. Was passiert danach – nicht nur mit der Infrastruktur, die für die WM aufgebaut wurde, sondern auch: Was passiert mit der Enttäuschung oder mit den Erinnerungen. Man könnte einwenden, dass sich in den vergangenen zehn Jahren immerhin ganz Afrika auf dieses Ereignis gefreut hat. Es war ein nationales Projekt, nicht nur für Südafrika, sondern auch für Botswana, Simbabwe und alle Länder im südlichen Afrika: wie ein Leuchtturm, zu dem hin alle unterwegs waren. Genau deshalb bin ich auch besorgt darüber, was danach geschieht. Wir haben jetzt nichts so Großes mehr vor Augen, auf das wir hin leben könnten. In Südafrika ist inzwischen klar, dass anfängliche Versuche von Leuten wie Mbeki das nicht leisten können: Unter dem Titel „afrikanische Wiedergeburt“ wollte er alle Energien darauf konzentrieren, die Beziehungen zwischen afrikanischen, europäischen und nordamerikanischen Ländern neu zu gestalten. Dafür lassen sich die Menschen nicht begeistern. Darum mache ich mir Sorgen. Ich beklage mich nicht über die Weltmeisterschaft. Sie ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, von der ich wünschte, wir könnten sie so lange wie möglich verlängern.

Wie sehen Sie die Rolle der Kirche in der WM, auch angesichts des zunehmenden Menschenhandels? Welche Rolle kann die Kirche für die Zukunft von Südafrika spielen?

Maluleke: Ich glaube, es gibt eine Menge Spielraum für die Kirchen. Da die WM nach Afrika kommt, sind Fragen der Gastfreundschaft bei uns sehr wichtig geworden. Die Kirchen haben dem säkularen, geschäftsbetonten, touristischen Verständnis von Gastfreundschaft etwas hinzuzufügen. Sie können den Wert der Gastfreundschaft an sich hervorheben und damit dem Tourismus eine viel menschlichere Note geben. Außerdem können die Kirchen etwas in der Frage des Menschenhandels tun. Die WM bringt die Reichen aus aller Welt nach Südafrika, aber sie bringt auch die Armen, die Ausgegrenzten, die gefährdeten Menschen, die Prostituierten. Händler aus der ganzen Welt kommen und verkaufen die Ware, die sie haben. Und weil viele versuchen, davon zu profitieren, wird es einen Wettbewerb geben. Die Kirchen sollten auf die achten, die nicht für sich selbst sorgen können. Die Reichen finden ihre Fünf- Sterne-Hotels. Aber die Armen – aus anderen afrikanischen Ländern, aus Osteuropa oder anderen Ländern – die durch modernen Menschenhandel nach Südafrika kommen, müssen geschützt und unterstützt werden. Des- halb haben mehrere Kirchen, auch der Kirchenrat, Projekte ins Leben gerufen, um Kindern und Prostituierten beizustehen.  Es gibt eine biblische Geschichte, die sich im Zusammenhang mit der WM aufdrängt: die von Lazarus, der vor der Tür des Reichen liegt 1). Viele Menschen können nicht in die Stadien gehen, weil sie es sich nicht leisten können oder auch weil die Kartenkontingente erschöpft sind. Viele Menschen haben keinen Strom für die Fernsehgeräte, mit denen sie die Spiele verfolgen könnten. Bei diesen Menschen müssen die Kirchen sein. Letztlich wird dann die entscheidende Frage sein, was wir als Kirchen tun können, um das Positive rund um die Weltmeisterschaft auch über diesen einen Monat hinaus fortzuführen. Wenn man so will, ist das Geschäft der Kirchen das der Visionen. Deshalb muss die Kirche sich einbringen, wenn es darum geht, eine Vision zu entwickeln, die größer, langlebiger, positiver ist als die WM.

Glauben Sie, dass Fußball eine Religion ist?

Maluleke: Fußball ist eine Form von Religion. Allerdings ist es eine armselige Form im Vergleich mit dem Christentum. Fußball bewegt sicherlich viele Menschen in besonderer Weise und trägt Züge des Religiösen in sich, wenn man beispielsweise an die Gesänge denkt oder die Hingabe, mit der viele Menschen das leben. Es geht um sehr mächtige Gefühle wie Nationalismus und Heldenverehrung. Wir sollten deshalb immer wieder daran erinnern, dass es sich um ein Spiel handelt. Keiner der Spieler und keines der Teams hat göttliche Qualitäten. Es ist ein Spiel, es ist Unterhaltung, und manche machen viel Geld damit. Aber für den armen Jungen irgendwo in Lusaka, in Südafrika, ist es vielleicht wirklich ein Spiel, das ihn dazu bewegt, das, was er tut, besser zu tun. Ich denke es ist wichtig, dass wir Fußball immer wieder herunterholen, ihn entheiligen, weniger heil darstellen, wie die Medien das manchmal tun. Es ist und bleibt eine sehr menschliche Angelegenheit.

1) vgl. Lukas 16,19f

Tinyiko Sam Maluleke ist seit 2007 Präsident des Kirchenrates in Südafrika. Der ehemalige Schüler aus Soweto ist heute presbyterianischer Theologe und arbeitet in der Forschung an der Universität UNISA in Pretoria.

Weltmissionskonferenzen – Wegmarken der Ökumene
Mit einem Appell zu stärkerem sozialem Engagement von Christen in der Welt endete am 6. Juni im schottischen Edinburgh die diesjährige Weltmissionskonferenz. „Wir sind dazu aufgerufen, zu mitfühlenden und heilenden Gemeinschaften zu werden“, heißt es in einem „Gemeinsamen Aufruf“ der  300 Delegierten aus über 60 Ländern.
Unter dem Motto „Christus heute bezeugen“ berieten sie fünf Tage lang über eine Neuausrichtung der christlichen Mission im 21. Jahrhundert. Themen der Versammlung waren neben sozialer Gerechtigkeit die Aufarbeitung der in ihren Anfängen vom Kolonialismus geprägten Missionsgeschichte sowie der Dialog mit anderen Religionen.
Die Missionsaktivitäten, so wurde deutlich, kehren sich allmählich um. Immer mehr christliche Missionare aus dem Süden und Osten engagieren sich im Norden und Westen der Erde. Missionare aus dem Süden gründen unabhängige Kirchen in nördlichen und westlichen Ländern, zunächst noch unter Migranten aus ihrer Heimat. Während die Kirchen im Süden der Welt stark wachsen, verlieren sie in Europa an Mitgliedern.
An der Konferenz „Edinburgh 2010“ beteiligten sich Orthodoxe, Anglikaner, Lutheraner,
Reformierte, Methodisten, Baptisten, Siebenten-Tags-Adventisten, Katholiken, Evangelikale, Pfingstler und Vertreter weiterer unabhängiger Freikirchen.
Die erste Weltmissionskonferenz 1910 in der schottischen Hauptstadt gilt als Ausgangspunkt der systematischen Zusammenarbeit der Konfessionen. Seitdem waren Weltmissionskonferenzen wichtige Wegmarken der Ökumene und fanden alle acht bis zehn Jahre statt. Dabei stellten sie oft Weichen für die Zukunft des Christentums. Die Konferenzen führten auch zur Gründung des Weltkirchenrates 1948. gba

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2010)
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