17. Dezember 2010

Jesus hat Geburtstag!

Von nst_xy

Weltweit stürzen Kinder sich in den vorweihnachtlichen Rummel, um Passanten den ursprünglichen Sinn des Festes nahezubringen.

Ich hab’ keine Zeit!” Wie oft bekommen das die Kinder zu hören, wenn sie in den Wochen vor Weihnachten auf den Straßen stehen! Immer die gleiche Ausrede. Die Leute hasten durch die adventlich erleuchtete Innenstadt, vorbei an geschmückten Schaufenstern, Heerscharen von Weihnachtsmännern, zwängen sich durch glitzernde Einkaufspaläste, durch die Menschenmassen auf den Weihnachtsmärkten, wo es nach Glühwein, Bienenwachs, Räucherstäbchen und Schmalzgebäck riecht.
„Heh, wissen Sie eigentlich, was wir an Weihnachten feiern?” Laura und Sophie haben ihren kleinen Stand verlassen und steuern die Passanten direkt an, zupfen jemandem am Ärmel. „Jetzt nicht!” Mancher fühlt sich gestört. „Hm, was wir Weihnachten feiern? Tja…” Andere werden verlegen, halten kurz inne, tauchen aber schnell wieder unter im Gewühl.
„Hier, ein Geschenk für Sie!” Endlich, das wirkt. Die Dame bleibt erstaunt stehen. „Für mich?” Sophie erklärt: „Das ist ein Jesuskind. Sie können es mit nach Hause nehmen! Wir haben es selbst gemacht.” Und Laura legt nach: „Vor zweitausend Jahren wurde Jesus geboren, ziemlich arm in einem Stall. Das feiern wir nämlich zu Weihnachten, seinen Geburtstag: dass Gottes Sohn auf die Welt kam!”

Gedankenversunken dreht die Dame ihr kleines Geschenk in den Händen und schaut die Babyfigur an, die friedlich in einem mit Stroh ausgelegten Kästchen liegt, in transparentes Zellophan verpackt. Dann entdeckt sie, dass Laura ihr eine Sparbüchse und ein Schild hinhält: Das Jesuskind koste nichts, aber eine Spende sei erwünscht. „Zum Beispiel 4 Euro, es kann aber auch mehr oder weniger sein”, ist noch draufgeschrieben. Die Dame muss schmunzeln. Das Geld sei für Kinder in Not bestimmt. Sie kramt in der Handtasche und steckt einen Fünf-Euro-Schein in die Büchse.
„Ihr habt Recht. Heute wird so leicht vergessen, worum es überhaupt geht bei diesem Fest. Toll, was ihr da macht!”
Die Dame geht weiter, jetzt ohne Hast, fast bedächtig. „Dankeschön! Frohe Weihnachten!”, rufen Laura und Sophie hinterher. Im Gewusel der Hüte, Mäntel und Schals dreht sich die Frau noch einmal lächelnd um und winkt.

So wie Sophie und Laura gehen jedes Jahr Jungen und Mädchen in der Vorweihnachtszeit auf die Straße. Seit über zehn Jahren schon, in Zürich und Köln, London und Rom, Hongkong und New York. Es sind die „Gen 4″ – Gen stammt von „new generation” -, die fünf- bis neunjährigen Kinder der Fokolar- Bewegung. Ihre Aktion steht unter der Überschrift „Sie haben Jesus ausquartiert” und ist eine Antwort auf die Gedanken, die Chiara Lubich im Advent 1980 nach einem Bummel durch Zürich gekommen sind (siehe Kasten). Darin hat die Gründerin der Fokolar-Bewegung ihre Enttäuschung über die Kommerzialisierung ausgedrückt: Der Geschenkewahn und eine märchenhafte Weihnachtsromantik hat völlig das Wesentliche verdrängt.
Wie damals in Betlehem bei der Herbergssuche von Josef und der hochschwangeren Maria lässt man ihn auch heute nicht in die Häuser: Die reiche Welt hat Jesus vergessen, hat die Hauptperson bei der Feier ihres Geburtstags ausgeladen. „Geben wir wenigstens in unseren Häusern Zeugnis von dem, der an diesem Tag geboren wurde,” so schließt Chiara Lubich, „und bereiten wir ihm ein Fest wie nie zuvor.”
Selbst von Temperaturen unter zehn Grad minus haben sich die Berliner Gen 4 letztes Jahr nicht abschrecken lassen. Sie hatten im Vorraum der Kathedrale Quartier bezogen und die Jesusfiguren zunächst den Besuchern des Gotteshauses angeboten. Plötzlich waren einige Kinder verschwunden, berichtet Roswitha Beblein. Sie begann, sich Sorgen zu machen. Doch nach einiger Zeit kehrten die Jungen und Mädchen durchfroren, aber freudestrahlend zurück. Sie hatten die Bauchläden mit den Figuren geschnappt und sich unter die Touristenmassen auf dem Weihnachtsmarkt gemischt. „Einige verstehen gar nicht, was wir wollen”, klagten sie, ergänzten aber gleich mit Genugtuung: „Dafür haben andere uns Geld gegeben, auch ohne ein Jesuskind mitzunehmen.”

Wenn die Dresdner Gen 4 in vergangenen Jahren in der Schloßstrasse ihren Aktionstisch aufstellten, hatte Martin immer sein Akkordeon dabei. Während die anderen die Figuren anboten, lockten seine weihnachtlichen Klänge die Leute an, erzählt Gabriele Gedemer. „Jesus? Den kenn ich nicht!” Von unwirschen Reaktionen ließen sich die Jungen und Mädchen nicht einschüchtern. Mit einem schelmischen „Vor uns ist keiner sicher!” gingen sie selbstbewusst auch auf Erwachsene zu, die sie zuvor gar nicht beachtet hatten. So fanden letztes Jahr allein in Dresden hundert Jesuskinder ein neues Zuhause; dreihundert Euro kamen für Kinder in ärmeren Verhältnissen zusammen.
In Österreich werden Jungen und Mädchen in Innsbruck, Salzburg, Linz, Graz, Hohenems und Wien aktiv. Sie gehen in Einkaufszentren, Altenheime und Pfarreien. Einmal haben sie einem Sandler, einem Obdachlosen die Weihnachtsgeschichte erzählt, erinnert sich Elisabeth Reichel aus Wien. Dass er nichts spenden konnte, war ihm peinlich, für die Kinder aber überhaupt kein Problem: Gern überließen sie ihm ein „Christkindel” auch ohne Gegenleistung und hatten ihre Freude daran, seine Augen leuchten zu sehen.

Reichel will den Kindern zeigen, dass sie mit ihrer Aktion andere Menschen glücklich machen. Sie liest ihnen Briefe von Leuten vor, die sie mit den Einnahmen unterstützen konnten, oft aus fernen Ländern: „Ich danke euch für die große Hilfe! Ich konnte damit unser Dach reparieren und Medikamente für meine kranke Tochter kaufen.” „Die letzten Jahre hatten wir große finanzielle Probleme, aber wir haben eure Hilfe bekommen! So konnten wir ausreichend Gemüse anpflanzen. Jetzt können wir sogar anderen Bedürftigen einen kleinen Betrag abgeben.”

Einige Gen 4 in Österreich veranschaulichen bei ihrer Aktion mit einem Krippenspiel, wie das damals war bei Jesu Geburt. In Petzenkirchen haben sie ein ganzes Musical auf die Beine gestellt. Dreißig Kinder konnten sie miteinbeziehen, die von Christi Geburt noch so gut wie keine Ahnung hatten. Als Kulisse diente ein Sternenhimmel, der sich im Lauf der Proben erst entwickelte: Jeder Stern stand für eine Aufmerksamkeit, ein Rücksichtnehmen, eine kleine Tat der Nächstenliebe beim Einstudieren des Musicals. Die jungen Schauspieler werden die Weihnachtsgeschichte, die sie selbst dargestellt haben, wohl ihr ganzes Leben lang nicht mehr vergessen!
Oft treffen sich die Gen 4-Gruppen schon an den Wochenenden zuvor, um die Figuren herzustellen. Den Gips anrühren, in Formen gießen und trocknen lassen, das ist ganz schön Arbeit! Dann wird die weiße Masse bemalt, in selbstgebastelte Krippen aus Wellpappe gelegt oder in Körbchen aus Bananenblättern, die afrikanische Kinder geliefert haben, und schließlich kunstvoll verpackt. Zum Schluss kommt noch der kleine Text „Ausquartiert?” dazu.

Elisabeth Reichel hat beobachtet: Wenn die Kinder die fertige Figur in Händen halten und in aller Ruhe anschauen, vergessen sie manchmal die Welt um sich herum. Einige Momente Aug’ in Aug’ mit dem kleinen Jesus, bevor sie ihn später weiter geben an Fremde, die vielleicht nichts von ihm wissen. „Ihnen ist schon bewusst, dass sie damit die Liebe unter die Menschen bringen”, meint Elisabeth Reichel. Ein Mädchen hat ihr gesagt: „Wenn wir uns untereinander gern haben, wird Jesus geboren. Und dann ist Weihnachten!”
Clemens Behr

Ausquartiert?
Weihnachten naht. Die Straßen der Stadt sind mit Lichtern übersät. Eine schier endlose Kette von Geschäften, vornehm dargebotener, aber übermäßiger Wohlstand. Hinter einem Schaufenster rieselt der Schnee: ein Werbegag. Und immer wieder Schlitten und der Weihnachtsmann und Rehe, Häschen, rote Zwerge. Alles bewegt sich … Ich kann es zuerst kaum glauben; Auflehnung steigt in mir auf: Diese reiche Welt hat Weihnachten für sich in Anspruch genommen – und Jesus ausquartiert. Weihnachten wurde zur Poesie, zur freundlichen Atmosphäre eines Festes, zum gegenseitigen Sich-Beschenken, zur Symbolik von Lichtern, Sternen und Liedern, zum besten Geschäft des Jahres … Und wer denkt an Jesus?
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. Es war kein Platz in der Herberge – nicht einmal an Weihnachten.
Es schmerzt, wenn man erlebt, dass am Weihnachtsfest festgehalten, das Kind aber abgelehnt wird. Geben wir wenigstens in unseren Häusern Zeugnis von dem, der an diesem Tag geboren wurde, und bereiten wir ihm ein Fest wie nie zuvor.
Chiara Lubich*)

*) gekürzt aus: Licht, das weiter leuchtet. Gedanken zur Weihnachten. Verlag Neue Stadt. Bestellen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2010)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und Email finden Sie unter Kontakt.
© Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München