17. Dezember 2010

Zum Zorn der Mächtigen

Von nst_xy

Der Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo

Als Ende September bekannt wurde, dass das Osloer Nobelpreiskomitee den Friedensnobelpreis 2010 dem chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo verleihen wolle, reagierte Chinas Partei- und Staatsführung sehr verstimmt. Bereits im Vorfeld hatten chinesische Diplomaten die norwegische Regierung kontaktiert, um die Preisverleihung zu verhindern. Oslo hatte das Ansinnen abgelehnt mit dem Hinweis, die Regierung könne nicht in die inneren Angelegenheiten der unabhängigen Nobel-Stiftung eingreifen.

Der 1955 geborene Liu Xiaobo arbeitete unter anderem in einer Baufirma. 1977 begann er sein Literaturstudium und wurde 1988 promoviert. Es folgten Studienaufenthalte in Oslo und in den USA. 1989 beteiligte sich Liu Xiaobo an den Pekinger Studentenprotesten, die im Juli gewaltsam beendet wurden. Im Anschluss bewahrte er etliche Studenten vor sinnloser Selbstaufopferung. Liu Xiaobo verlor seinen Arbeitsplatz und saß von 1989 bis 1991 in Haft. Danach schrieb er Artikel, die er aber nur im Ausland veröffentlichen konnte, und beteiligte sich an der Demokratiebewegung.

Von 1996 bis 1999 wurde er in ein Arbeitslager zur Umerziehung eingewiesen. 2003 wurde der inzwischen als Schriftsteller tätige Liu zum Präsidenten des chinesischen PEN-Clubs gewählt. Im Dezember 2008 wurde er wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt” unter Hausarrest gestellt. Ihm wurde vorgeworfen, Hauptverfasser der Charta 08 zu sein, in der etwa 300 chinesische Intellektuelle freie Wahlen, Gewaltenteilung und föderale Strukturen forderten.

Im Dezember 2009 wurde Liu Xiaobo zu elf Jahren Haft verurteilt. Im Februar 2010 veröffentlichten einige internationale Zeitungen einen Text von Liu Xiaobo mit dem Titel: „Ich habe keine Feinde.” Darin bringt er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass eines Tages die Freiheit auch nach China kommen werde.

In der Regel wird der Nobelpreis an Persönlichkeiten oder Organisationen für bereits erworbene überragende Verdienste verliehen. Gerade der Friedensnobelpreis zeichnet jedoch häufig auch Personen oder Institutionen aus, die gerade erst Entwicklungen auf dem Gebiet der Friedensförderung eingeleitet haben. Darunter finden sich immer wieder Personen, die im Widerspruch zu dem in ihrem Land herrschenden politischen System stehen. Das Nobelpreiskomitee versucht auf diesem Weg offenkundig, indirekt in politische Entwicklungen einzugreifen und sie zu beeinflussen.

Zu nennen wäre hier der deutsche Journalist und Pazifist Carl von Ossietzky, der 1935 den Friedensnobelpreis erhielt. Der Preisträger war 1931 wegen Spionage verurteilt worden, weil eine von ihm herausgegebene Zeitschrift Einzelheiten über die von der Reichswehr verbotenerweise betriebene Wiederaufrüstung publiziert hatte.

Auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an den schwarzen Amerikaner Martin Luther King gehört in diese Reihe. Als er 1964 ausgezeichnet wurde, war sein Kampf gegen die Rassentrennung in den USA noch in vollem Gange. Vergleichbar damit ist die Preisverleihung an den Polen Lech Walesa im Jahre 1983.

Als ausgesprochene Dissidenten wären hier zu erwähnen der sowjetische Atomphysiker Andrei Sacharow (1975) der für sein Menschenrechtsengagement ausgezeichnet wurde; der südafrikanische Bischof Desmond Tutu (1984), der den Preis für seinen Kampf gegen die Apartheid bekam; die iranische Menschenrechtlerin Schirin Ebadi (2003) oder Aung San Suu Kyi (1991), die gewaltlose Kämpferin für Demokratie in Myanmar, die seit Jahren unter Hausarrest steht.

Ich meine, das Nobelpreiskomitee leistet gute Arbeit, indem es durch seine „Interventionen” politische Entwicklungen ans Licht hebt und damit auch beeinflusst. In diesem Sinne ist auch die Preisverleihung an Liu Xiaobo zu begrüßen.

Klaus Purkott

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2010)
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