13. März 2011

Nicht regieren, sondern dienen

Von nst_xy

Überlegungen zum Führungsstil in der Kirche

Nicht nur in der Kirche ist das Thema „Führungsstil” höchst aktuell. Doch gerade dort ist es besonders dringlich, einen Stil zu entwickeln, der den Vorstellungen ihres Gründers entspricht: Christus hat seinen Jüngern die Füße gewaschen und sein Leben für sie hingegeben. Es geht also nicht darum, Respekt und Gehorsam einzufordern, wie das in der Vergangenheit der Fall sein konnte. Es geht vielmehr darum, sich zu fragen, wie ehrliche Liebe erfahrbar gemacht werden kann.

Ziel aller Führungsverantwortung in der Kirche ist dabei das von Jesus selbst gesetzte: „Alle sollen eins sein, … damit die Welt glaubt.” 1) Und seine Methode heißt: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.” 2)

Das setzt menschliche Führungsqualitäten voraus, die sich gleichzeitig mit Anforderungen des Evangeliums decken. Ein Verantwortungsträger sollte Klarheit der Gedanken (im Evangelium mit „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein” 3) zum Ausdruck gebracht), Großzügigkeit im Handeln („Liebt eure Feinde” 4)) und frohe Kontaktbereitschaft („Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.” 5)) besitzen. Er oder sie sollte Brückenbauer sein („Wenn dein Bruder etwas gegen dich hat, geh und versöhne dich zuerst” 6)), den Dialog mit Medien und staatlichen Institutionen suchen („Was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern” 7)) und von der Sache Jesu überzeugt sein („Wer an mich glaubt, … aus seinem Innern werden Ströme lebendigen Wassers fließen.” 8))

Bei der Übernahme von Verantwortung – und das betrifft nicht nur Kirchenleute – sollte es nicht darum gehen, persönliche Ambitionen zu befriedigen; Autorität sollte nicht auf Machtausübung und Gehorsam aufbauen.

Ebenso ist zu vermeiden, dass hohe ethische Anforderungen zu Moralismus und Angst führen.

Der Freiburger Dogmatiker Gisbert Greshake beklagte kürzlich eine hier und da zu beobachtende Rückkehr zu einem „vorkonziliaren Klerikalismus” in der Kirche und eine „neuerliche ,Verkultung’ der Liturgie und ihrer Sprache”.

Auch Benedikt XVI. erhob zum Abschluss des Priesterjahres seine warnende Stimme: „Klerikalismus ist auch heute eine Versuchung; sie besteht darin, sich in sich selbst zu verschließen.” Er fuhr fort: „Der Gegenpol zum Karrierestreben ist Mutter Teresa von Kalkutta.”

Eine Erneuerung in Leitung, Organisation und Auftritt der Kirchen ist dringend notwendig; nicht als eine Anpassung an den Geist und die Moden dieser Welt, sondern als Ausdruck eines weiter entwickelten Kirchenverständnisses, das auf Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit ausgerichtet ist: Kirche als Gemeinschaft stiftendes Geheimnis.

Es ist aber ein ernstes Problem des heutigen Christentums, dass praktisch alle in einer extrem individualistischen Mentalität aufgewachsen sind, die eine Reaktion auf einen ebenso extremen Kollektivismus war. Ein gemeinschaftlicher Weg, der charakteristisch wäre für das Christentum und die Kirche, wurde weder gelehrt noch sichtbar gemacht. Nur wenige haben eine Vorstellung davon, wie das geht. In Klöstern und Priesterseminaren, sogar bei neueren geistlichen Gemeinschaften findet man nicht selten Formen der Gemeinschaft, die deutliche Mängel aufweisen, das Herz nicht erfüllen und oft zu wenig Anregung für das innere Leben des Einzelnen bieten. So kommt es, dass die Leitenden die anderen oft nur mitreißen, ihnen intellektuell oder mit diplomatischen Fähigkeiten überlegen sein müssen. Zwischen Geleiteten und Leitern entsteht bestenfalls ein Klima der Bewunderung und im schlechteren Fall der Ablehnung. Was wäre, wenn sich die Leiter zu Verantwortlichen, die Geleiteten zu Mitverantwortlichen weiter entwickeln?

Bei allen Überlegungen zu einer veränderten Ausübung von Amt und Autorität sollte eine spirituelle Dimension den Hintergrund bilden: Jesus, der unter den Seinen gegenwärtig ist , soll die Führung innehaben. Deswegen muss ein Leiter Teil der zu leitenden Gemeinschaft sein, er darf nicht über ihr oder außerhalb stehen. Er sollte mit seinen Leuten leben: Kind sein können mit den Kindern, Künstler mit den Künstlern, „allen alles werden” 10).

Erstes Bestreben einer Führungsperson sollte es sein, Jesus in sich leben lassen. Das erfordert das Bemühen, Liebe zu sein, sich ganz hineinzugeben, die anderen leben zu lassen, selbst nichts zu sein.

Wenn diese Haltung erwidert wird, entsteht eine Gegenseitigkeit in der Liebe, die Raum schafft für die Gegenwart Gottes. Uneigennützige Liebe ist gefragt: Es geht nicht an, andere bekehren, verändern oder gewinnen zu wollen.

Wenn sich heute ein christlicher Führungsstil entwickeln soll, muss man ganz unten anfangen, Wunden heilen, Ängste überwinden, die ein vor allem vertikales Autoritätsverständnis hinterlassen hat.

Der 1990 verstorbene Schweizer Pfarrer Toni Weber, der viele Priester auf ihrem geistlichen Weg begleitet hat, beschreibt den Wandel so: „Das spezifisch Christliche in all unseren Lebensvollzügen ist zweifellos eine trinitarische Dimension … Wir müssen heute neu lernen, alles im Licht der Dreieinigkeit Gottes zu sehen … Dann können wir nicht mehr ausschließen, was ergänzend gemeint ist. Nur wenn wir so denken, sind wir fähig zu ausgleichenden Positionen und Dialog. Gott ist ja eins in drei Personen, und diese Tatsache muss sich in der ganzen Schöpfung ausdrücken; wir müssen lernen, die Dinge in ihrer gegenseitigen Beziehung zu sehen.”

Diese Sicht befreit Leitende und Geleitete von Machtstreben, Disziplinierungsdrang und falscher Unterwürfigkeit; sie hilft dem Einzelnen, sich zu entfalten, selbstständig und in Harmonie mit anderen zu leben, rücksichtsvolle Beziehungen zu pflegen, Sorgfalt zu üben im Umgang mit Mitmenschen und Schöpfung, zu Gunsten des Gemeinwohls zu entscheiden und zu handeln, sodass die Absichten Gottes sich entsprechend den verschiedenen Gaben und Talenten und unter Achtung der menschlichen Grenzen verwirklichen können.

Und was, wenn Widerstände die Wahrnehmung der Führungsverantwortung behindern? Hier möchte ich auf eine Frau hinweisen, die keine Befehle ausgegeben hat: auf Maria, die Mutter Jesu. Bei der Hochzeit in Kana sieht sie die Situation, stellt fest, was andere auch sehen konnten und äußert sich dazu: „Sie haben keinen Wein mehr.” Damit löst sie eine Aktion aus, die Gott und Menschen in Bewegung setzt. Gelegentlich legt sie uns aber auch nahe, nicht einzugreifen, die Ohnmacht auszuhalten, selbst ein Gekreuzigtsein geschehen zu lassen, „beim Kreuz stehen zu bleiben … statt den Gekreuzigten aufzufordern, herabzusteigen” – wie Benedikt XVI. den neu ernannten Kardinälen kürzlich riet.

Es geht um einen Führungsstil, der durch Jesus schon seit 2000 Jahren bekannt ist: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.” 11) Einzelne, viele Frauen, haben diese Lehre befolgt und dadurch ungeahnte Größe erlangt. Es ist an der Zeit, dass wir alle, Männer wie Frauen, diese Dimension neu entdecken und leben.
Helmut Sievers

1) Joh 17,21; 2) Joh 13,35; 3) Mt 5,37; 4) Lk 6,27; 5) Mt 25,40; 6) Mt 5, 23-24; 7) Mt 10,27; 8) Joh 7,38; 9) vgl. Mt 18,20; 10) vgl. 1 Kor 9,22; 11) Mk 10,43-44

Helmut Sievers
arbeitet am Zentrum der Fokolar-Bewegung in Rocca di Papa (Rom). Er leitet ein Sekretariat für die weltweiten Kontakte unter Bischöfen verschiedener Konfessionen, die der Fokolar-Bewegung nahestehen. Geboren 1941 in Nordhorn, studierte er in Bonn Philosophie sowie in Rom und Zürich Theologie.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März 2011)
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