15. April 2011

Er zitterte vor Kälte.

Von nst_xy

Erfahrungsberichte

Kurz vor Weihnachten war ich auf dem Weg zu einem Cafe, um mich mit einer Freundin zu treffen. Dabei kam ich an einem obdachlosen jungen Mann vorbei. Er saß an einer Häuserecke, in seinen Schlafsack und eine Decke eingewickelt. Es war offensichtlich, dass er sehr fror.

Zunächst ging ich weiter. Aber dann kam mir der Impuls: Geh noch einmal zurück! Schau nach dem jungen Mann! So drehte ich um und ging zu ihm hin. Er zitterte vor Kälte, und mir war klar: Hier musste ich etwas tun. „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan”, kam mir in den Sinn und ich hatte den Eindruck, dass mich in den Augen dieses Mannes Jesus anschaute. Zugleich erinnerte ich mich an das Motto, das ich mir mit einigen anderen für diesen Tag vorgenommen hatte: „dem Nächsten beistehen”.

Dieser Obdachlose war jetzt mein Nächster, dem ich beistehen „musste”. So zog ich los und kaufte einen großen, heißen Kakao. Zurück bei dem jungen Mann, hielt ich ihm den Becher hin und sagte: „So, bei dieser Hundekälte gibt’s jetzt erst mal etwas Warmes zu trinken für dich!” Er schaute mich ganz überrascht an: „Für mich? Danke!”

Wir haben ein paar Worte gewechselt, dann musste ich weiter. Als ich schon ein paar Meter gegangen war, rief er mir noch hinterher: „Frohes Fest!” D.S.

Der Polizist ließ nicht mit sich reden.

Da wollte ich nur eben schnell etwas bei der Änderungsschneiderei abgeben und schon wurde ich erwischt, weil ich falsch geparkt hatte. Es waren maximal drei Minuten, aber der Polizist ließ nicht mit sich reden; ich bekam einen Strafzettel. Ziemlich sauer über sein unbarmherziges Verhalten fuhr ich nach Hause.

Einige Stunden später sagte eine meiner Patientinnen ihre Therapiestunde so kurzfristig ab, dass ich das Recht gehabt hätte, ihr die Stunde trotzdem voll in Rechnung zu stellen. Kurz danach klingelte jedoch das Telefon. Der gerade frei gewordene Termin passte dem Anrufer sehr gut; er sagte zu. Die Versuchung war groß, dennoch meiner Patientin die Absage in Rechnung zu stellen. Doch dann fiel mir die Situation mit dem Polizisten am Morgen ein und ich erinnerte mich an die Jahreslosung1): Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem (Römer 12,21). Ich griff sofort zum Hörer und sagte meiner Patientin, dass ich den Termin noch vergeben konnte und ihr die Therapiestunde nicht in Rechnung stellen würde. Das Bußgeld musste ich zwar zahlen, aber ich freute mich, dass ich Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem vergolten hatte. E.G.

1) Die Jahreslosung ist ein Vers aus der Bibel, der jedes Jahr von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ausgewählt wird

Was konnte ich tun?

Müde kam ich nach Hause. Ein anstrengendes Wochenende lag hinter mir. Meine Mailbox zeigte noch einen Anruf an: Eine kurdisch-muslimische Frau bat mich mit besorgter Stimme, so schnell wie möglich zurückzurufen. „Wir haben über einen Bekannten gehört, dass wir mit allen anderen aus unserem Land in den nächsten drei Tagen abgeschoben werden sollen,” erzählt sie mir ganz aufgelöst. „Wir haben solche Angst! Was soll ich nur machen?”

Die Nachricht ging auch mir durch Mark und Bein. Ich kannte die Familie seit langem; drei der vier Kinder sind taub; viele Menschen unserer Stadt hatten sich sehr für diese Flüchtlinge eingesetzt. Mir war bewusst, dass ich in einer solchen Situation nur wenig tun konnte. Trotzdem: Die Angst der Familie war mir nahegegangen. Was konnte ich tun? Da kam mir ein Wort Jesu in den Sinn: „Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?” Ich begriff: Auch wenn die Familie abgeschoben würde, jetzt, in dieser Angst, konnte ich bei ihnen sein.

Mit einem Freund fuhren wir in das Asylantenheim. Immer wieder kamen mir dabei folgende Worte in den Sinn: „Für Gott ist nichts unmöglich!” Und ich betete zu ihm: „Tu du, was nur du tun kannst!” Unterwegs rief ich noch eine politisch engagierte Frau an, die sich sehr um Flüchtlinge kümmerte. Auch sie war bestürzt.

In der Wohnung der kurdischen Familie war die Angst fast mit Händen zu greifen. Ich spürte, wie sehr diese Flüchtlinge in dieser Nacht das Herz eines Bruders brauchten. Nur deshalb waren wir da: um das Unabsehbare mit auszuhalten und zu tragen.

Später klingelte mein Handy. Die politisch engagierte Frau hatte einen zuständigen Politiker erreicht, der ihr zuverlässig versicherte, dass die Botschaft der baldigen Abschiebung nicht stimmte. Ich gab die Nachricht behutsam an die Familie weiter. Die Erleichterung war riesig. Verstohlen wischten wir uns Tränen aus den Augen. Na klar, einen Tee mussten wir noch trinken. Dann verabschiedeten wir uns. Ja, für Gott ist nichts unmöglich! M.W.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2011)
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