15. April 2011

Sich umkrempeln lassen

Von nst_xy

Die Fasten- oder Passionszeit in den Wochen vor Ostern ist eine „Zeit der Umkehr“.

Was aber bedeutet „umkehren“? Antworten dazu haben wir bei Christian de Chergé gefunden. Der ehemalige Prior der Trappistengemeinschaft von Tibhirine (Algerien) rückte durch den Kinofilm „Von Menschen und Göttern“ in den Blick. In einem Buch über die Quellen seiner Spiritualität erläutert Christian Salenson Schriften des ermordeten Priors (im Folgenden kursiv gedruckt). Das wirft neues Licht auf viele vertraute Begriffe, wie auch diese Auszüge auf das Thema Umkehr.

Komm zum Vater! – Dieser Schrei, den der Heilige Geist unter vielerlei Trümmern in unser Herz hineingelegt hat, ist derselbe, der aus dem Herzen des Sohnes hervorbricht und zum Himmel dringt …

Wieder Söhne (und Töchter) werden in d e m Sohn. Diese Umkehrbewegung beinhaltet einen Elan, eine Dynamik, die aus Gott und in Gott ist; denn sie ist der Sieg des Geistes über alle unsere Irrwege. Sie führt uns auf den Weg zurück, auf die Bahn des Logos, der in seiner Hinwendung zum Vater von Ewigkeit her der Sohn ist. Dieser ewigen ,Umkehr‘ des Sohnes entspricht die des Vaters, der sich dem Sohn seines Gefallens zugewandt zeigt; es ist eine wechselseitige Anziehung …

Und der Heilige Geist ist der entzückte Zeuge und zugleich das Unterpfand dieser exemplarischen gegenseitigen ,Umkehr‘, in die jede Umkehr, die wir vollziehen, einmündet und in der sie gründet. So ist die Umkehr, die Bekehrung in Gott …

Welch wunderbarer Tausch! Er führt dazu, dass wir Gott umso mehr nachahmen, je mehr wir zu Gott umkehren“.
(Christian de Chergé, 16.7.86)

Umkehr oder Bekehrung wird oft auf einen Willensakt unsererseits reduziert. Wir merken, dass wir diesen oder jenen Fehler haben, möchten etwas dagegen tun. Wir sagen, wir müssten uns hier und da bekehren und nehmen uns vor, unseren Willen entsprechend zu lenken. Wer über sich selbst schmunzeln kann und ein wenig Erfahrung im geistlichen Leben hat, der weiß, dass diese Vorsätze meistens verlorene Liebesmühe sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass dahinter oft der Wunsch steht, einem Idealbild von sich selbst zu entsprechen.

Unter „Umkehr” versteht man also in der Regel eine Verhaltensänderung oder Besserung; sie wird vor allem als moralische Wandlung gesehen. „Wir haben den fatalen Fehler begangen, die Bekehrung im Sinne einer Umkehr im Verhalten und die Bekehrung im Sinne einer Umkehr im Glauben auseinanderzudividieren” (Christian de Cherge, 19.1.87).

Unter „Bekehrung” versteht man auch den Übertritt zu einer anderen Religion oder den Schritt aus der „Religionslosigkeit” in eine religiöse Tradition. Viele Gläubige hegen den verständlichen Wunsch, dass ihre Nächsten, ihre Freunde „sich bekehren” und sich ihrem Glauben anschließen. Daraus kann freilich, wie Christian de Cherge sagt, eine „fixe Idee” werden – mit Verhaltensweisen, die mehr strategisch denn evangeliumsgemäß sind.

Die genannten Verständnisse von „Umkehr” oder „Bekehrung” greifen zu kurz und können einem tieferen Verstehen im Wege stehen. Denn Umkehr ist eigentlich Ausdruck der Beziehung zu Gott. „Kann man umkehren, wenn nicht zu Gott allein?” (Christian de Cherge). Wir können noch mehr sagen: Umkehr ist vom Wesen her ein trinitarischer Lebensstil, an dem teilzuhaben alle Menschen berufen sind.

„Komm zum Vater!”, ruft der Geist in uns. Er setzt uns in Bewegung, richtet uns auf den Vater aus. Umkehr erwächst aus einer Sehnsucht, die jeden Menschen beseelt. Gewiss, oft liegt sie verschüttet unter allerlei Sorgen. Oft geht unsere Sehnsucht in die verkehrte Richtung, geraten wir aus tausenderlei Gründen auf die schiefe Bahn. Umkehr meint die Rückkehr zu Gott, die Hinwendung zum Vater. In ihm finden wir unsere Erfüllung, unsere eigentliche Verwirklichung als Kinder Gottes.

Es ist unsere Berufung, die zu werden, die wir sind: Söhne (und Töchter) im Sohn, wie es bei der Taufe heißt. Dies ist unsere wahre Identität. Kinder Gottes aber können wir nur sein, wenn wir zugleich die logische Konsequenz erfassen und entsprechend leben: als Brüder und Schwestern, die mit allen anderen Brüdern und Schwestern verbunden sind!

Am Jordan wurde Jesus „von oben” attestiert, dass er der Sohn ist: „Das ist mein geliebter Sohn” (Mt 3,17). Dieses Wort an den „Erstgeborenen” vieler Brüder und Schwestern gilt auch diesen. Ein unglaubliches Wort. Wer es an sich heranlässt, wer diese göttliche Erwählung ernst nimmt, dessen Leben bleibt nicht, wie es ist.

Am Jordan bekam Jesus keinen besonderen Sendungsauftrag, keine Wegbeschreibung und kein Aufgabenheft.

Seine Mission besteht allein darin, der Sohn zu sein. Entsprechend ist es für jeden Getauften: Die Sendung, die er in der Taufe erhalten hat, besteht in nichts anderem als darin, Sohn bzw. Tochter zu werden. Wir kommen ihr nach, indem wir auf die vielen Anfragen, die das Leben stellt, antworten – in dem Lebensstand, in der Berufung, die ein jeder von Gott her als die ihm gemäße entdeckt.

So führt die Umkehr den Menschen in ein lebendiges trinitarisches Beziehungsgeschehen hinein. Sie ist eben nicht die angestrengte Bemühung, sich und das eigene Leben zu perfektionieren, sondern eine Bewegung hin zu einer Beziehung zu Gott – inspiriert vom Geist, gelebt im Sohn, ausgerichtet auf den Vater.

Es versteht sich, dass wir nicht Gott zugewandt wären, wenn Gott nicht die Initiative ergriffen und sich als Erster uns zugewandt hätte. Gott ist sozusagen der Erste, der umkehrt: Er kehrt um zu uns, er wendet sich uns zu. Wir dürfen ihn bitten: „Wende uns dein Antlitz zu, und wir sind heil!” Ohne die vorherige Hinwendung Gottes zu uns kann es keine Umkehr geben. Wer erlebt, wie der Herr sich ihm zuwendet, in dem ändert sich alles …

Wie weit haben wir uns entfernt von Reflexionen über gute Vorsätze, über den Willen, uns zu bessern und unser Verhalten zu ändern! Doch wenn wir uns von Gott „umkrempeln” lassen, dann werden wir feststellen, dass sich auch unsere Lebensweise verändert …
Christian Salenson

Gekürzt aus: Christian Salenson, Den Brunnen tiefer graben. Meditieren mit Christian de Cherge, Verlag Neue Stadt, Bestellen

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2011)
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