15. April 2011

Sportlich gegen Armut

Von nst_xy

Eine Stiftung in Ecuador eröffnet Straßenkindern durch Sport und Bildung neue Perspektiven.

Ein offenes, ansteckendes Lachen erhellt sein Gesicht, das so schwarz ist wie Kohle. Pater Silvino Mina kennen alle Bewohner von Esmeraldas, einer Kleinstadt an der nördlichen Pazifikküste von Ecuador, in der hauptsächlich Afro-Ecuadorianer leben. Sie kennen ihn und sie lieben ihn; vor allem jene, die auf der „Isla Bonita”, in „Pampon” oder „Puerto Limon” leben. So heißen die Stadtteile mit baufälligen Hütten aus Bambus, Pappe und Wellblech, deren Bewohner unter Armut, Alkohol, Drogen und Kriminalität leiden. Das gilt vor allem für die Kinder, die in Scharen von morgens bis abends durch die Gassen laufen, hier spielen und weinen und dabei ständig auf der Suche nach etwas zu essen sind. Schon seit Jahren setzt Pater Silvino sich mit Haut und Haaren für sie ein.

Silvino Mina wurde in Santa Maria de Cayapas geboren, einem winzigen Dorf von Bauern und Fischern. Dorthin führt keine Straße, man erreicht es nur nach einer zweistündigen Kanufahrt auf dem Rio Cayapas: Der Fluss ist einer der beliebtesten Transportwege, um Drogen aus Kolumbien ans Meer und von dort – nicht zuletzt dank leistungsfähiger U-Boote – in die USA zu bringen.

Als Pfarrer einer Gemeinde in Esmeraldas nahm Pater Silvino 1998 die ersten Straßenkinder bei sich auf; mit dem Fußball lockte er sie – weg von der Armut und den kriminellen Jugendbanden, den berüchtigten „pandillas”. Seitdem hat sich viel getan: Hunderte besuchten in der Zwischenzeit seine Fußballschule; einige sind wieder gegangen; andere konnten ihre Talente nutzen – wie Carlos Tenorio, der heute als Profi in den Vereinigten Arabischen Emiraten spielt und eine Symbolfigur der ecuadorianischen Fußballnationalmannschaft ist. Sooft er kann, kommt er bei Pater Silvino vorbei und bei den Jungs in der Fußballschule, für die er ein Mythos ist. Noch viel mehr Jugendliche haben über das Fußballspiel und den Sport einen Zugang zu Schule und Ausbildung erhalten.

Mit der Zeit ist so „Fundacion Amiga”, die „Stiftung Amiga”, entstanden. Am Anfang standen zwei Projekte: Eines sollte junge Männer an einen Beruf heranführen, das andere war eine kleine Schneiderei für alleinerziehende junge Mütter. 2006 kam ein Projekt zur ganzheitlichen Erziehung hinzu: eine Schule für Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 19 Jahren mit einem technischen und einem sportlichen Schwerpunkt. Heute besuchen 750 Schüler diese Schule. „Hier bekommen sie auch die einzige richtige Mahlzeit am Tag”, erzählt Pater Silvino. „Außerdem bieten wir ihnen Impfungen und medizinische Versorgung. Wir vermitteln ihnen Kenntnisse in Gesundheitserziehung und AIDS-Prävention sowie Grundkenntnisse über ihre afrikanische Kultur und Tradition. Vor allem aber bieten wir ihnen einen Ort, wo sie die menschliche Würde wieder entdecken und positive Beziehungen erfahren können. Das ist unendlich wichtig für Kinder, die ohne Familie in materieller und geistiger Armut leben, die gezwungen sind zu stehlen, um zu überleben, und die leicht in die Sogwirkung alltäglicher Gewalt geraten.”

„Weil die Kinder bisher nur die hässliche Armut kennen, gehört unsere Schule”, so Pater Silvino stolz, „zu den schönsten in der ganzen Stadt.” Sie ist sauber und hübsch eingerichtet.

Hier unterrichten gut ausgebildete Lehrer, die bereit sind, dafür einen niedrigeren Lohn zu erhalten als ihre Kollegen an anderen Schulen. Einige von ihnen haben wie ihre Schüler in schwierigen Verhältnissen gelebt.

Auch ihnen hat Silvino geholfen. Er glaubte an sie, ohne Vorbehalt, und jetzt sind sie zusammen mit ihm und dem unternehmungslustigen jungen Rektor Albert die Protagonisten dieses Projekts zur sozialen Förderung der Kinder.

90 Prozent der Schulplätze sind kraft Satzung Kindern vorbehalten, die keine Schulgebühren bezahlen und nur dank nationaler und internationaler Hilfe die Schule besuchen können. Alle tragen eine Schuluniform, damit diejenigen, die ärmer sind, nicht gedemütigt werden. In der Schule lernen die Kinder lesen und schreiben, Englisch und den Umgang mit dem Computer; sie machen Sport – und gewinnen alle städtischen Turniere; sie erlernen einen Beruf in der Zimmerei, Schreinerei, Schneiderei, bei der Herstellung von Konfitüren oder in einem Kunsthandwerk. Außerdem erhalten sie Unterricht in Marimba, dem traditionellen Musikinstrument der afrikanischstämmigen Bevölkerung, und lernen die Dichter ihrer Kultur kennen.

Eine Unterrichtsstunde heißt „Kultur der Niederlage, für eine neue Kultur des Gewinnens”, und das Lernziel: einüben, wie man verliert, um zu wissen, wie man gewinnt. Was zunächst auf den Sport bezogen scheint, erweist sich dann aber oft als Lebenshilfe und befähigt die Schüler, auch die alltäglichen Schwierigkeiten zu überwinden.

Die Menschen in Esmeraldas sind von der Natur neben der schwarzen Hautfarbe auch mit einem außergewöhnlichen sportlichen Talent ausgestattet. Deshalb ist die Region, die bis vor 50 Jahren nicht mit der Hauptstadt Quito verbunden war, heute die „Kinderstube” der großen sportlichen Talente des Landes. Zu ihnen zählt auch Seledina Nieves, die in der Fundacion „zuhause” ist. Sie ist Panamerikanische Meisterin im Gewichtheben und Sechste der Weltrangliste. „Ich bin 32 Jahre”, erzählt sie mit Wärme in der Stimme, „und der Sport bedeutet mir sehr viel. Durch ihn konnte ich der Armut entkommen, die ganze Welt bereisen und meinen Zwillingstöchtern, die heute 15 Jahre sind, ein Zuhause bieten.”

2009 wurde Seledina zur „Sportlerin des Jahres” in Ecuador gewählt, aber noch immer trainiert sie im heruntergekommenen Keller des Stadions ihrer Heimatstadt, einem nassen, schmutzigen Loch mit zersplitterten Holzbänken und Hanteln und Gewichten, von deren verrosteter Oberfläche der Gummibezug schon lange abgesplittert ist.

„Ich verdanke meiner Familie sehr viel. Sie hat an mich geglaubt und mir die Chance gegeben zu trainieren. Mich dann bei den Olympischen Spielen zu sehen, hat sie dafür entschädigt. Jetzt will ich mich gut auf London 2012 vorbereiten.”

Ob es denn möglich sei, auf so hohem internationalen Niveau ohne Doping auszukommen? Seledina richtet sich sichtlich auf: „Wenn Sie jemanden suchen, der durch die ganze Welt reist, um zu bezeugen, dass man gute Ergebnisse allein durch Einsatz und Training erreichen kann, ich bin bereit!” Ihre Hände sind rissig und schwielig. Lächelnd schaut sie darauf: „Meine Töchter hätten gern, dass ich aufhöre, weil sie nicht mehr mit ansehen möchten, dass ihre Mutter mit blutigen Händen nach Hause kommt. Aber ich verdiene damit mein Geld. Und ich bin stolz darauf und weiß, dass letztlich auch sie es sind.”

Viele andere haben wie Seledina der Stiftung viel zu verdanken; beispielsweise Rosa, eine ehemalige Sprinterin, die heute dort unterrichtet: „Ich habe den Sport immer geliebt. Dadurch konnte ich tun, was ich schon von klein auf wollte: studieren.” Oder Emilio, der als Trainer an der Fußballschule tätig ist: „Fußball ist für die Kinder ganz, ganz wichtig: Er gibt ihnen nicht nur die Möglichkeit davon zu träumen, eines Tages ganz groß rauszukommen und damit der Armut zu entfliehen, sondern hilft ihnen auch, jemand zu sein, sich mit anderen zu messen, einander zu respektieren und aneinander zu wachsen.”

Wegen der bestehenden sportlichen Aktivitäten und ihrem erfolgreichen Konzept wurde die Stiftung jetzt von der Anden-Entwicklungsgesellschaft, einer Entwicklungshilfebank der Andenländer, und der UNO ausgewählt, an einem mehrjährigen Pilotprojekt für soziale Entwicklung durch Sport teilzunehmen. Motor dieses Projekts ist Catalina Lopez, eine ecuadorianische Wissenschaftlerin: „Der Sportunterricht ist eines der besten Werkzeuge für die menschliche Entwicklung und die Begegnung zwischen Kulturen. An dem Projekt werden neben zehn Lehrern der Stiftung auch sechzig Lehrer aus allen anderen Teilen Ecuadors teilnehmen: Weiße, Schwarze, Mestizen und Angehörige der indigenen Bevölkerung der ecuadorianischen Anden.”

In jedem südamerikanischen Land wird ein Projekt gefördert, und jedes erhält sportpädagogische Unterstützung. Die Fundacion Amiga hat sich mit „Sportmeet” zusammengetan. Diese Initiative der Fokolar-Bewegung möchte dazu beitragen, die universelle Geschwisterlichkeit im Bereich des Sports zu verwirklichen. „Sie sind genau wie wir auf der Basis des gelebten Evangeliums entstanden”, unterstreicht Pater Silvino und freut sich auf die Zusammenarbeit. In den nächsten vier Jahren werden sie gemeinsam Schulungen für Lehrer und Trainer durchführen. Die Früchte des Projekts sollen dann im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien vorgestellt werden.
Paolo Crepaz

Sportmeet
ist eine weltweite Plattform von Freizeit- und Profisportlern, Sportpädagogen, Wissenschaftlern und Sportbegeisterten. 2002 in der Fokolar-Bewegung entstanden, möchte sie die universelle Geschwisterlichkeit im Bereich des Sports fördern. Basis ist die so genannte „Goldene Regel”: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.” — www.sportmeet.org

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2011)
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