25. Oktober 2011

Dynamisch und unendlich

Von nst_xy

Arnold Benz erforscht sein Leben lang, wie Sterne und Planeten entstehen. Der Zürcher Astrophysiker hat aber auch einen Ehrendoktor in Theologie. Diese nicht alltägliche Kombination bringt uns dazu ihn zu fragen: Wie stellt sich ein Naturwissenschaftler Schöpfung vor? Kann man Gott im Universum wahrnehmen?

Herr Benz, kann man sagen, dass Astrophysiker sich mit Sonne, Mond und Sternen beschäftigen?
Benz: Meine Arbeit ist natürlich meist sehr speziell auf ein bestimmtes Phänomen ausgerichtet. Aber mich interessiert eigentlich alles im Universum, auch Sonne, Mond und Sterne. Das Interessante an der Astrophysik ist, dass im Universum alles vernetzt ist und eine lange Entstehungsgeschichte hat. Es ist nicht immer gleich geblieben und wird sich auch in Zukunft verändern. Es geht also um das ganze Universum, darum, wie es geworden ist und wie es sich verändert.

Dazu gehört auch die Urknall-Theorie.
Benz: Ja, sie war eine große Überraschung. Astronomen sind Mitte des letzten Jahrhunderts davon ausgegangen, dass das Universum unendlich alt ist, weil man zu Lebzeiten von Menschen in den kosmischen Dimensionen ja keine Veränderung sieht. Dass alles aber einen Anfang hatte, war deshalb eine große Überraschung.

Ist das für Sie gleichzusetzen mit Schöpfung?
Benz: Nein. Auch heute entstehen Sterne. In unserer Galaxie entstehen etwa zehn Sterne pro Jahr und etwa 30 000 pro Sekunde im ganzen Universum. Stellen Sie sich das einmal vor! Da passiert für mich Schöpfung.
Sterne und Planeten, Menschen, Pflanzen und alles, was es im Universum gibt, sind erst lange nach dem Urknall entstanden. Das war nicht wie im Theater, wenn der Vorhang aufgeht und alles schon fertig da ist und spielt.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das geschenkte Universum”. Wie kommt das?
Benz: Dahinter steht genau die Frage: Was heißt eigentlich Schöpfung, wo erfahre ich sie? Wie kann ich als Naturwissenschaftler sagen, die Sterne sind eine Schöpfung, wenn ich doch sehe, dass da physikalische Kräfte und Prozesse scheinbar ohne göttliche Einwirkung ablaufen? Und im Grunde hilft mir dabei die Alltagserfahrung, zum Beispiel dass mir Zeit geschenkt wurde, dass es nicht selbstverständlich ist, dass ich lebe. So verstehe ich auch die Adamsgeschichte: Gott hat ihm das Leben, das heißt die Lebenszeit geschenkt, und da können wir keine Sekunde hinzufügen. Aber er hat ihm auch das Universum, die Planeten und die Erde geschenkt.

Ist es denn für Naturwissenschaftler schwerer, an Gott zu glauben?
Benz: Ich denke, dass es mehr gedankliche Überlegung braucht. Naturwissenschaftler sind meines Erachtens nicht ungläubiger als andere; sie möchten einfach mehr verstehen, aber es wird ihnen oft nicht in der richtigen Sprache gesagt. Naturwissenschaft führt deshalb nicht notwendigerweise zum Atheismus, aber sie verlangt nach einem neuen Verständnis der Tradition, der Überlieferung des christlichen Glaubens.

Geht es dabei um eine andere Sprache oder um eine andere Sichtweise?
Benz: Wahrscheinlich um beides. Es geht darum zu verstehen, dass Schöpfungstheologie etwas mit dem eigenen Leben zu tun hat und dass man nicht beim Urknall beginnen muss, sondern dass das Universum uns heute geschenkt wird. Und dann geht es darum, wie man etwas wahrnimmt. Die Schöpfungserfahrung hat wenig mit objektivem Messen zu tun: Je mehr wir sehen und verstehen von der Entstehung der Sterne, des Universums und der Galaxien, umso mehr können wir eigentlich staunen, wie alles zusammenhängt. Damit es Planeten gibt, muss es auch Sterne geben. Damit es Sterne gibt, muss es Galaxien geben. Und damit es Galaxien gibt, muss es die dunkle Materie geben. Alles hängt zusammen!

Wäre dann das Staunen eine der Voraussetzung zum Glauben?
Benz: Das Staunen ja; aber genauso das Erschrecken darüber, dass etwas vergänglich ist. Schöpfung heißt entstehen, aber auch vergehen. Es ist die Hoffnung, dass auch in der Zukunft Neues entsteht. Aber alles, was entsteht, wird vergehen. Und ich meine, das passt sehr gut zur christlichen Sicht.
Lange haben wir das Universum im griechisch-philosophischen Sinn verstanden als das Unendliche, ein Uhrwerk, das ewig vor sich hin tickt. Aber es ist viel dynamischer. Und das wiederum hat sehr viel mehr Ähnlichkeit mit unserem Leben, da passieren auch Dinge, die wir nicht voraussehen können, und das ist im Universum genauso: Die Sonne wird irgendwann keine Energie mehr haben. Das ist so! Aber was noch alles passieren kann, ist offen. Es ist eine Entdeckungsreise, ähnlich wie unser Leben. Deshalb können die neuen naturwissenschaftlichen Themen durchaus eine Brücke zum Glauben bauen.

Dann kann ein Astrophysiker also im Universum Gott erfahren?
Benz: Jetzt fehlt nur die Frage: Und warum sehen wir ihn dann nicht? Aber auch da hilft die Lebenserfahrung: Jedes Kind, das geboren wird, erleben wir als Geschenk. Der ganze Ablauf, die Biologie ist bekannt, und nach neun Monaten ist es da – und ist trotzdem ein Geschenk! Das muss ich mir nicht einbilden; das ist so, weil die Wirklichkeit noch andere Dimensionen hat als die naturwissenschaftlich messbaren. Und so kann ich auch in einem Stern, wenn er entsteht, das göttliche Schaffen wahrnehmen. Das ist wie bei einer Ikone; ich kann sie oberflächlich betrachten und nur die Farben sehen und die Technik, aber ich kann auch tiefer schauen und dann andere Dimensionen wahrnehmen. Wenn wir Gott in der Gegenwart wahrnehmen wollen, müssen wir diese verschiedenen Dimensionen berücksichtigen.

Man kann staunen und erschrecken, wie klein und unbedeutend der Mensch in diesem weiten Universum ist.
Benz: Ja, sicher, vor allem wenn man sich in den zeitlichen Grenzen erlebt. Das Universum ist 13,7 Milliarden Jahre alt, und das ist ungeheuer lang im Verhältnis zu unserem Leben. Deshalb kann man schon erschrecken und sich fragen: Was passiert nachher, wenn ich nicht mehr da bin? Oder: Was passiert, wenn die Sonne ganz erlischt? Das macht auch Angst, klar. Die Welt geht nicht morgen oder nächstes Jahr unter. Aber irgendwann wird es zum Ende kommen. Und da hilft dann der Glaube, dass die Schöpfung weitergeht. Aber das ist etwas, was wir nicht beweisen können.

Aber er könnte sich daraus nähren, dass man in der Geschichte des Universums sieht, was schon alles passiert ist und dass es bisher immer weitergegangen ist?
Benz: Natürlich kann die Naturwissenschaft sagen, dass es weitergehen könnte. Aber man kann Neues nicht voraussagen. Das Wetter fürs nächste Jahr kann man nicht voraussagen, auch nicht die Aktivität der Sonne oder die Entstehung von Sternen in Molekülwolken. Wir sind ja nicht in einem Uhrwerkuniversum, wo alles vorausgesagt werden kann, sondern man wird überrascht vom Neuen.
Das Staunen darüber, dass es funktioniert, öffnet natürlich die Möglichkeit zu Hoffnung; Hoffnung selber entsteht so aber nicht. Sie ist ein Glaubensschritt und kein naturwissenschaftliches Denken.
Sicher kann man sagen, es gibt ein kreatives Prinzip, es entstehen dauernd neue Sachen im Universum, die dann, immer wieder miteinander verkoppelt, Möglichkeiten zu neuen Dimensionen eröffnen. Aber naturwissenschaftlich kann ich es nicht voraussagen. Philosophisch kann ich vielleicht sagen, es ist vernünftig anzunehmen, dass es weitergeht, aber wie es weitergeht, weiß niemand. Das ist nicht Naturwissenschaft, das ist Hoffnung oder Optimismus. Glauben heißt aber nicht nur für möglich halten, sondern von ganzem Herzen darauf vertrauen.

Nun gibt es noch viele ungelöste Fragen. Sind das Dinge, die auf Gott verweisen?
Benz: Ja, es gibt sehr viele ungelöste Fragen. Die Idee, dass man einmal alle Fragen beantwortet haben wird, kommt daher, dass man Versuche im Labor gemacht hat. Im Universum ist alles aber viel komplexer, und diese Komplexität wurde lange unterschätzt.
Wir wissen mehr als vor zehn Jahren, aber ob wir jemals alles ergründen können, ist nicht sicher. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass dort Gott am Werke ist, sondern nur, dass wir die Wirklichkeit naturwissenschaftlich nicht im Griff haben. Die Physik hat die Tendenz, die Wirklichkeit auf Grundgleichungen, einzelne Teile, zu reduzieren und diese dann zu beweisen. Aber wenn diese Teile dann zusammenwirken, zeigen sich wieder neue Phänomene, die man im reduzierten Teil nicht gesehen hat. Das ist vielleicht auch Grund zu einer gewissen Bescheidenheit in der Naturwissenschaft.
Wir müssen aber auch nicht mehr, wie in der Aufklärung, alles beweisen oder erklären können. Wir können damit zufrieden sein, etwas Neues herauszufinden.
Insgesamt würde ich sagen: Nicht die Lücken weisen auf Gott, sondern das ganze, wunderbar funktionierende Universum.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.
Gabi Ballweg

Arnold Benz
geboren 1945, ist emeritierter Professor am Institut für Astronomie der ETH Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sonnenphysik, Sternentstehung und Hochenergie-Astrophysik. Auch im Ruhestand verfolgt er noch mehrere Projekte.
Neben seiner fachlichen Tätigkeit hat Benz sich intensiv mit religiösen Fragen im Rahmen des heutigen Weltbilds auseinandergesetzt. Als Physiker fragt er danach, welche Perspektiven die heutigen kosmologischen Erkenntnisse für die Wahrnehmung des Universums als Schöpfung eröffnen und wo sich Wissen und Glauben grundsätzlich voneinander unterscheiden. In Anerkennung seiner Verdienste um das interdisziplinäre Gespräch hat die Theologische Fakultät der Universität Zürich ihm die Würde eines Doktors ehrenhalber verliehen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Oktober 2011)
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