30. April 2012

Lohnt es sich, das Haus für ausländische Gäste zu öffnen?

Von nst_xy

Die Exotik ist schnell verflogen

Wir waren mit der ganzen Familie zum Flughafen gefahren. Da kam sie, die lang ersehnte Gastschülerin aus Peru! Unsere Tochter und die 15-Jährige aus Lima, die sich schon über das Internet kannten, waren sich auf Anhieb sympathisch. Unsere Söhne ließen sich Zeit. Eine Woche währte die Beobachtungsphase, dann akzeptierten auch sie die neue Mitbewohnerin.

Die Peruanerin, die nur eine Schwester hat und auf eine reine Mädchenschule geht, entdeckte erstaunt: „Jungen sind ja ganz normal!” Schon da wurde klar: Neben Ausflügen und Sprachpraxis hatte für sie gerade die Vielfalt in unserer Familie ihren Reiz.

Die Gastschülerin erzählte von ihrer Familie, den Freunden, ihrem Land. Wir lauschten gebannt. Für sie wiederum war es neu, ohne Begleitung in die Stadt zu fahren; denn sie lebt sonst wegen der Kriminalität in einer bewachten Schule und eingezäunten Grundstücken.

Sie war beeindruckt, hier kaum Armut zu sehen, aber schockiert, dass wir sozial niedriger gestellte Leute grüßen. Uns war ihr Klassendenken fremd. Dafür spürten wir unsere Ordnungsliebe, die Unpünktlichkeit des Busses, das Schlangestehen beim Einkaufen. Sie staunte über das Funktionieren öffentlicher Verkehrsmittel und elektronischer Geräte.

Doch dann gab es den grauen Alltag: Unsere Kinder waren ständig versucht, Hausaufgaben und andere Pflichten zu vernachlässigen, weil die Gastschülerin spielen oder etwas unternehmen wollte. Wir Eltern rauften uns zuweilen die Haare, mussten Grenzen setzen beim Fernsehkonsum und darauf pochen, dass sie die Verkehrsregeln beachtete. Bald war die Exotik verflogen! Wir waren zusammengewachsen, und die Peruanerin gehörte dazu.

Was ist nach zwei Monaten geblieben? Sicher brachte uns die Offenheit dazu, füreinander Zuneigung zu entwickeln. Wir haben Krankheiten, Glück und Traurigkeit, Ärger und Langeweile mit dem Gast gemeistert. So lernten wir die Andersartigkeit schätzen und lehnten sie nicht als befremdlich ab. Wir haben uns über kulturelle Grenzen hinaus als Familie erlebt. Und das verbindet uns weiterhin.
Rita Meyer

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2012)
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