26. September 2012

Erster Staatsvertrag mit Muslimen

Von nst_xy

An: Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg

Sehr geehrter Herr Scholz,

mit Ihrem Bundesland sind Sie auf dem Weg zu den ersten Staatsverträgen mit  Muslimen und Aleviten. Sie seien unnötig, weil es seit langem gute Lösungen für das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften gebe, sagen Kritiker. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sagen Sie selbst, denn zu einem Rechtsstaat gehöre, dass alle gleich behandelt werden. So ist es nur konsequent, dass Sie das Werk Ihres Vorvorgängers Ole von Beust (CDU) weiterführen: Er war 2007 auf die islamischen Verbände zugegangen, nachdem er zuvor schon Staatsverträge mit den christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde geschlossen hatte.

Wir freuen uns über die Verträge mit den drei islamischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde. Denn so selbstverständlich, wie es sein sollte, ist ein gutes Miteinander keinesfalls! Die starke Aufmerksamkeit der Medien für Verhalten und Ideen radikaler Islamisten hat zu großen Vorbehalten auch gegenüber „ganz normalen“ muslimischen Mitbürgern geführt.

Verträge betreffen sowohl Rechte wie auch Pflichten der Vertragsparteien.

Die Hamburger Vereinbarung stellt die islamischen Verbände nicht völlig den christlichen Kirchen gleich und verleiht ihnen ebensowenig den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts.

Wohl aber erkennt sie drei islamische und alevitische Feiertage als nicht gesetzliche Feiertage an: Damit können Schüler vom Unterricht befreit werden und Arbeitnehmer Urlaub nehmen. Künftig dürfen auch Muslime das Fach Religion lehren, wenn sie das zweite Staatsexamen bestanden haben: Evangelische Kirche und islamische Gemeinden teilen sich die Verantwortung für die Unterrichtsstunden. Der Vertrag regelt außerdem den Bau von Moscheen, Bestattungsrituale, die Trägerschaft von Kindertagesstätten und die Vertretung in den Aufsichtsgremien des Rundfunks.

Umgekehrt verpflichten sich die islamischen Verbände zur vollständigen Achtung der staatlichen Gesetze und zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Damit wird deutlich, dass die meisten Muslime ein normales Leben führen und  sich in die Gesellschaft einbinden lassen wollen.

Der Vertrag ist keinesfalls überflüssig: Weil Muslime eben oft noch nicht als gleichwertig behandelt werden, hat er Signalcharakter. Der Stadtstaat zeigt den Muslimen: Ihr gehört zu Hamburg! Er erkennt sie als Religionsgemeinschaft und als Teil der Gesellschaft an und behandelt sie als Partner auf Augenhöhe. Die Muslime ihrerseits bekennen sich zu den Werten des Grundgesetzes und zum Rechtsstaat. Damit grenzen sie sich von extremistischen Gruppierungen ab. So demonstrieren beide Seiten sichtbar für alle den Willen zur Integration und nehmen dazu konkrete Schritte in Angriff.

Wir können uns vorstellen, dass Einzelheiten der Verträge noch präzisiert werden. Grundsätzlich aber wünschen wir Ihnen, dass auch Hamburgische Bürgerschaft und Senat ihnen zustimmen. Und dass weitere Bundesländer dem Beispiel folgen!

Mit freundlichen Grüßen,

Clemens Behr
Redaktion NEUE STADT

Unser offener Brief wendet sich an Olaf Scholz (54, SPD), Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Sein Bundesland hat als erstes in Deutschland offizielle, umfassende Verträge mit der muslimischen Bevölkerung vorgelegt.
Von den 1,8 Millionen Einwohnern Hamburgs sind rund 130 000 Muslime und 50 000 Aleviten. In Deutschland, Österreich und der Schweiz liegt der Bevölkerungsanteil der Muslime um 5 Prozent.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2012)
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