16. Dezember 2013

Beziehung lebt davon, dass du dich verschenkst!

Von nst1

Wie ein großes Abenteuer und „gefügt“ empfinden Theresia (26) und Cesar (27) Marcon ihr Leben. Das deutsch-brasilianische Ehepaar arbeitet aber auch an seiner Beziehung.

Es sprudelt geradezu aus ihnen heraus. Wenn man Theresia und Cesar Marcon zuhört, könnte man meinen die 26-jährige deutsche Betriebswirtschaftlerin und der 27-jährige brasilianische Sprachwissenschaftler hätten schon ein gemeinsames Jahrzehnt hinter sich. Dabei kennen sie sich erst seit März 2009. Seit zweieinhalb Jahren sind sie verheiratet und haben eine eineinhalbjährige Tochter.
„Schuld“ daran, dass sich die Leipzigerin und der „Paulistano“ – so nennt man die Einwohner der größten brasilianischen Stadt Sao Paolo – kennenlernten, war die Arbeit von Theresia Unger. Obwohl die Studentin schon einen Auslandsaufenthalt hinter sich hatte, träumte sie von Brasilien: „Zunächst wollte ich nach Asien, aber dann war da plötzlich diese Idee.“ Begeisterung erntete sie dafür nicht: „Wir sind vier Geschwister, und meine Eltern konnten mir das einfach nicht finanzieren.“ Trotzdem fragte Theresia in der Firma, in der sie Werksstudentin war, ob die nicht auch Kontakte nach Brasilien hätten und bekam eine Adresse in Sao Paolo: „Ich hab meine Unterlagen geschickt, die haben sich bei meinem Chef erkundigt und mir dann eine Stelle angeboten. Und sie zahlten nicht nur ein gutes Gehalt, sondern haben mir auch ein Hotelzimmer und einen Dienstwagen gestellt“, freut sich Theresia noch im Nachhinein.

Cesar hingegen hatte Sprachwissenschaften studiert – Portugiesisch und Englisch. Während eines längeren Aufenthalts in einer Siedlung der Fokolar-Bewegung in der Schweiz hatte er eine starke Erfahrung mit Gott gemacht und außerdem alles daran gesetzt, neben Italienisch auch Deutsch zu lernen. „Alle haben mich für verrückt erklärt“, meint er schmunzelnd. Aber bevor er nach Brasilien zurückkehrte, kam er zwei Monate nach München, um Deutsch zu üben. Vier Jahre später war davon nicht mehr viel übrig. So kam er auf die Idee ein Sprachtandem mit Theresia zu bilden, als sie in Sao Paolo ankam. Weil auch sie schon seit ihrer Kindheit den Lebensstil der Fokolare kannte, hatte sie in Brasilien den Kontakt aufgenommen. Nach ein paar Monaten Sprachunterricht und ein paar gemeinsamen Unternehmungen zusammen mit anderen Jugendlichen hat es dann im Juli zwischen den beiden „gefunkt“. Und obwohl Theresia acht Wochen später zurück nach Regensburg flog, um ihr Studium zu beenden, war den beiden klar, dass sie die gerade aufgebrochene Beziehung vertiefen wollten. „Es war gar keine Frage mehr, wo ich nun mein Englisch verbessern wollte“, sagt Cesar lachend. Im Februar 2010 kam er in die ostbayerische Stadt und blieb bis August.

Das war eine intensive Zeit für die beiden: „Ich spürte“, so Cesar, „dass wir all die Werte, die mir wichtig waren, teilten und dass der Grund, den jeder von uns durch sein Leben mit Gott hatte, auch die richtige Basis für ein gemeinsames Leben war.“ So machte er Theresia im Juli einen Antrag – auch für sie gab es keinen Grund zu zögern. Kurz vor dem Abflug von Cesar hatten die beiden ein für ihre Beziehung auch heute noch entscheidendes Erlebnis: Cesar war gebeten worden, bei einem Transport von Schränken zu helfen und hatte sofort zugesagt. „Uns war nicht klar, dass er dafür den ganzen Tag unterwegs sein würde, und das am Tag vor seinem Abflug“, erinnert sich Theresia. Und Cesar: „Sie war echt sauer!“ – Die Schränke waren für eine kolumbianische Familie, die kurz zuvor nach Darmstadt gekommen war und der alles fehlte. „Erst nach einer Weile hab ich mir einen Ruck gegeben; die brauchten das und es gab keinen sonst, der Zeit hatte.“ Obwohl die beiden dann den Tag vor der erneuten viermonatigen Trennung nicht gemeinsam verbrachten, „war da am Ende so eine Fülle und so eine schöne Atmosphäre unter uns, dass klar war: Beziehung lebt davon, dass du dich verschenkst!“

Nach ihrer Verlobung an Weihnachten 2010 heirateten sie im April 2011 und zogen nach Dachau, wo Theresia eine Arbeit hatte. Und obwohl es für Cesar nicht leicht war, als Dolmetscher für Portugiesisch und Englisch eine Stelle zu finden, wurde er nach einem Praktikum in München übernommen; „zwei Monate später fiel eine Kollegin aus dem Managementbereich aus und man bot mir die Stelle an.“ Cesar versuchte sein Bestes, hatte aber enormen Druck von oben, den er seinen Kollegen weitergeben sollte. Damit tat er sich schwer. Einen Tag vor Weihnachten eröffnete man ihm, dass er „zu langsam und zu unfähig“ sei; obwohl man ihm eine neue Stelle in der Buchhaltung anbot, kündigte Cesar: „Ich fühlte mich gedemütigt! Das war echt krass!“

Seit Ende Oktober wussten die beiden, dass Theresia schwanger war: „Und auch wenn wir nicht damit gerechnet hatten, haben wir uns riesig gefreut!“ Die Kündigung hat Cesar deshalb umso mehr getroffen: „Ich hatte das Bild vom Mann im Kopf, der Frau und Kind versorgt, und stand plötzlich ohne Arbeit da.“ Und Theresia gesteht: „Ich hab oft geweint, weil ich sah, wie sehr er litt.“
In dieser Zeit arbeitete Cesar sogar als Kassierer an der Kasse eines Supermarktes. Nach und nach wurde ihm klar, dass er sich auch eine Arbeit im Erziehungsbereich vorstellen konnte und nach einem Praktikum in einem Kindergarten begann er eine Ausbildung zum Erzieher in einem Waisenhaus. „Dadurch musste er erst am späten Vormittag weg, war nach der Geburt von Emilia viel zuhause und hat diese erste Zeit intensiv miterlebt.“ Im Nachhinein ist Theresia beeindruckt, wie sich so „alles ganz gut gefügt hat“. Weil ihm die Arbeit sehr lag, bewarb Cesar sich dann für ein Studium „Soziale Arbeit“: „Dass es bei allen Bewerbungen trotz hohem Numerus Clausus nun gerade in Leipzig geklappt hat, ist toll!“, freuen sich die beiden. „So sind wenigstens die deutschen Großeltern näher.“

Es gibt nichts Schöneres als verheiratet zu sein. Theresia Marcon sagt das mit voller Überzeugung und der Blick, den Cesar ihr zuwirft, lässt keinen Zweifel daran, dass er das genauso sieht. Trotzdem sind sich die beiden bewusst, dass „Arbeit dahinter steckt“:

„Das A und O ist die Kommunikation. Dass jeder klar sagt, was er denkt oder gern tun würde, und das erst mal unabhängig von dem, was man denkt, was der andere meint.“

Theresia beschreibt so die immer neue Bereitschaft, das je eigene einzubringen und dann gemeinsam Kompromisse und Lösungen zu finden. „Einmal haben wir abends jeder für sich alle Fragen aufgeschrieben, die in Bezug auf unsere Ehe da waren. Ich hatte 22 und er sieben“, erzählt Theresia schmunzelnd. Jede Einzelne haben sie besprochen – „drei Stunden lang“, ergänzt Cesar, „und wir haben gemerkt: Es gibt Gesprächsbedarf!“ – über gemeinsame Rituale, darüber, was ihrer Ehe gut tut und was nicht und „über all das, was im Alltag untergeht.“
So sind die beiden immer wieder auf der Suche nach dem, was ihre kleine Familie ausmacht: das ausführliche und schön hergerichtete Frühstück am Sonntag, der gemeinsame Gottesdienstbesuch – auch mit Emilia, oder auch gemeinsam zur Beichte zu gehen und diesen Neuanfang des Einzelnen mit Gott auch als Chance für den Neuanfang miteinander zu nutzen. „Da muss der Pfarrer manchmal grinsen, denn das passiert sicher nicht oft, dass nacheinander die beiden Ehepartner zur Beichte kommen.“ Theresia und Cesar erleben es als sehr befreiend.
Und nun geht es also nach Leipzig – sie stecken noch mitten im Umzug und der Arbeitssuche für Theresia. Trotzdem scheinen sie das – wie ihr Leben überhaupt – als großes, schönes Abenteuer zu begreifen – und das wirkt irgendwie ansteckend.
Gabi Ballweg

Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Dezember 2013)
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