8. April 2014

“Ich spiele, also bin ich”

Von nst1

Kinder frei spielen lassen und ihr Spiel nicht verzwecken: Dafür wirbt Dagmar Hamm, Spielpädagogin am Frère-Roger-Kinderzentrum Augsburg.

Wie habe ich es als Kind geliebt, wenn meine Oma zum x-ten mal mit mir Halma gespielt hat! Das Beste daran war, dass sie nicht gemerkt hat, wenn ich sie habe gewinnen lassen. Mein liebster Spielort war unsere „Wildnis“, ein großes, unbebautes Grundstück in der Nachbarschaft. Immer wieder entstanden neue Buden aus hergezogenen Brettern, und wir waren die gefürchteten Rächer der Unterdrückten. Oft habe ich Spiele erfunden; eines hieß „Sching Schang“. Auch wenn ich die Regeln nicht mehr weiß, zeigt es: Kinder sind kreativ.
Beobachte ich heute Kinder beim Spiel, ist vieles den Erfahrungen aus meiner Kindheit sehr ähnlich – und doch auch anders: Technik hat Einzug ins Kinderzimmer gehalten; die Räume und Zeiträume zum Spielen werden immer kleiner und geregelter. Der Tagesablauf eines Kindes ist voll durchstrukturiert. Heute muss das Kind auch lernen, wenn es spielt! Doch egal, ob Erwachsene vorgeben, was gespielt werden soll oder nicht: Ein Kind lernt immer.

Gemäß Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention haben Kinder ein Recht auf Spiel. Es ist ihr Ureigenes, sich die Welt spielend zu erobern, handelnd zu erschließen; Erfahrungen zu machen, die erst einmal keine ernsthaften Konsequenzen haben; es darf „nur ein Spiel“ sein. Ein Testfeld, das alles zulässt. Spielen schafft bleibende Werte; dazu bedarf es keines ausdrücklichen pädagogischen Anspruchs. Spielräume bieten wichtige Schritte zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Austesten von Grenzen und Risiken gehören genauso dazu wie das Einüben von Kommunikation und Beziehungsgestaltung.
Spiel ist freiwillig und nicht verordnet. Wir sollten uns hüten, Spiel immer mehr zu strukturieren und pädagogisch zu überwachen. Kein Wunder, wenn unsere Kinder dann sagen: „Mir ist langweilig, was soll ich spielen?“ Lassen wir zu, dass ein Karton zum Auto wird, eine Rutschbahn zum Mount Everest und ein paar Stöcke zum Zelt. Eröffnen wir neue Spielräume, die selbst gestaltet werden können, und das nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im eigenen Garten und in der eigenen Wohnung.

„DEIN Recht auf Spiel!”
– so lautet das diesjährige Motto des Deutschen Kinderhilfswerkes zum Weltspieltag im kommenden Monat, am 28. Mai, der zum siebten Mal stattfindet. Schulen und Kindergärten, öffentliche Einrichtungen und Vereine sind aufgerufen, Spielaktionen durchzuführen. Da gehören wir nicht dazu? Kein Problem! Starten wir doch eine „Spielaktion“ in der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, unter Freunden, mit Bekannten: Ein Brettspiel mit allen, eine Schnitzeljagd zum Kindergeburtstag, vielleicht eine gemeinsame Stunde an der Wii-Spielkonsole. Am Ende werden wir feststellen, dass es Spaß gemacht hat und dass wir uns vom Homo faber, dem arbeitenden Menschen, auch wieder in den Homo ludens, den spielenden Menschen, verwandeln können.
Um es mit Friedrich Schiller zu sagen: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Dagmar Hamm

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2014)
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