16. September 2014

Der heikle Pfad zum Frieden

Von nst1

Kriege flammen auf und bringen unsägliches Leid. Verfahrene Konflikte lassen Friedensbemühungen aussichtslos erscheinen. Kann die Friedensforschung helfen? Wir fragen den Frankfurter Konfliktforscher Thorsten Gromes, wie Kriege entstehen, Friedensforscher arbeiten und ob ihre Erkenntnisse etwas verändern können.

Wie kommt es zu Kriegen, Herr Gromes, was sind die Motive?
GROMES: Eine wichtige Ursache ist Furcht. Menschen fürchten sich, dass andere sie vernichten wollen oder unterdrücken könnten. Eine andere Motivation zum Krieg ist Gier: „Ich will das, was der andere hat.“ Ein weiteres, oft zu beobachtendes Motiv ist, dass die Konfliktparteien meinen, „wir müssen mit kriegerischen Mitteln holen, was uns gerechterweise zusteht.“ Hier geht es nicht um Selbstbereicherung, sondern um den Anspruch auf Gerechtigkeit.
Aber diese Motive allein lassen noch keinen Krieg ausbrechen. Eine Konfliktpartei muss auch die Mittel haben, um überhaupt Krieg zu führen. Dabei denke ich nicht nur an Waffen, sondern auch an den organisatorischen Aufwand, Truppen zu mobilisieren und sie vielleicht über Jahre zu unterhalten.

Wie arbeitet nun die Friedensforschung?
GROMES: Die jeweilige Methode hängt von der Frage ab. Ich habe zum Beispiel mehrfach Feldforschung in Südosteuropa betrieben. Es gibt Fragestellungen, für die muss man vor Ort sein, mit Politikern sprechen, mit Leuten aus der Zivilgesellschaft.
Bei einem anderen Projekt beschäftigen wir uns nicht mit einigen wenigen Fällen, sondern nehmen das ganze globale Geschehen der letzten Jahre unter einem bestimmten Aspekt in den Blick. Dazu muss man eher eine „Adlerperspektive“ einnehmen, das bedeutet dann ein höheres Maß an reiner Schreibtischarbeit.

Und was kommt dabei heraus?
GROMES: Ergebnisse können ausführliche Beschreibungen von Konfliktverläufen sein: Was ist überhaupt passiert? Wie konnte es dazu kommen? – Dabei wird eine Art Interpretationsangebot erstellt. Wenn es um generelle Fragen geht – warum gibt es Krieg? – kann das Ergebnis sein, dass man bestimmte Faktoren findet, die die Wahrscheinlichkeit von Bürgerkriegen erhöhen oder verringern.
Nachher formulieren wir auf Basis dieser Erkenntnisse zuweilen Politikempfehlungen. Wir können aber nur schwer nachvollziehen, ob sie bei den Politikern zu einem Umdenken führen oder nur bestehende Meinungen bestätigen. Sie können auch missbraucht werden wie von US-Präsident George W. Bush: Er hat den Irakkrieg 2003 auch damit begründet, dass er im Irak Demokratie schaffen wollte. Grundlage dafür war die Erkenntnis der Friedensforschung, dass Demokratien gegeneinander keine Kriege führen.

Arbeiten Friedensforscher als Berater in Außenministerien mit?
GROMES: Unser Institutsdirektor hat in Abrüstungsfragen den UN-Generalsekretär beraten. Wir haben Kollegen, die beraten aus wissenschaftlicher Perspektive und damit unabhängig die deutsche Delegation bei Konferenzen im Bereich der Rüstungskontrolle oder leiten Beiräte zur zivilen Krisenprävention. Das heißt aber nicht, dass Friedensforscher die Entscheidungen treffen.

Beim Konflikt in der Ostukraine hört man oft, man müsse – auch mit Wirtschaftssanktionen – Druck auf Putin ausüben. Ist Druck ein Weg, zum Frieden zurückzufinden?
GROMES: Das kommt auf den Konflikt-Typ an. Wir haben in der Ukraine einerseits einen Bürgerkrieg, andererseits eine starke internationale Komponente, was übrigens typisch ist für die Bürgerkriege der letzten Jahrzehnte. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob es ein rein zwischenstaatlicher oder ein innerstaatlicher Konflikt ist. Das diktiert uns, was überhaupt möglich ist.
Ein anderer Punkt ist die Konfliktstruktur: Können wir klar zwei Seiten identifizieren mit eindeutigen Zielen oder ist eine Vielzahl von Akteuren einbezogen, die womöglich häufig die Allianzen wechseln und diffuse Ziele verfolgen? In der zweiten Konstellation ist es viel schwieriger, überhaupt Ansatzpunkte zu finden. Denn man will auf das Kalkül der Kriegsparteien einwirken: ihnen andere Mittel schmackhaft machen oder die Zielsetzung verändern, sodass Frieden für sie attraktiver wird als Krieg.
Im Allgemeinen fällt es allerdings schwer, von außen auf einen militärischen Konflikt einzuwirken. Die Kriegsparteien sind kreativ, finden häufig Wege, Sanktionen zu umgehen, mobilisieren neue Verbündete oder verfolgen andere Kriegstaktiken.

Viele Politiker scheinen für Konflikte – Libyen, Mali, Afghanistan – schnell militärische Einsätze als Lösungsweg heranzuziehen. Wann sind die sinnvoll?
GROMES: Es gibt verschiedene Arten von militärischen Einsätzen. Die „friedenserhaltenden Einsätze“ sind weitgehend akzeptiert. Vor solchen Einsätzen wurde in der Regel ein Waffenstillstand vereinbart oder sogar ein Friedensabkommen geschlossen. Dann geht eine Truppe, von anderen Staaten bereitgestellt, in die Konfliktregion und versucht den Frieden zu sichern. Das klingt harmlos, ist aber nicht ungefährlich, weil die Gewalt erneut ausbrechen kann. Wir haben Erkenntnisse, dass diese Art Militäreinsätze die Wahrscheinlichkeit neuer Kriege reduziert.
Eine ganz andere Art von Militäreinsätzen sind jene, die darauf abzielen, in einem laufenden Konflikt die Gewalt zu beenden. Ich habe mit einem Kollegen vor einem Jahr eine Bestandsaufnahme von sogenannten humanitären militärischen Interventionen erstellt, also von Militäreinsätzen in einem anderen Land, die erklärtermaßen mit Kampfauftrag die dort lebende Bevölkerung vor Gewalt schützen sollen. Da war die Bilanz eher gemischt. Das ist wohl ein Grund für die verbreitete Skepsis in der deutschen Bevölkerung gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Zuletzt haben ja Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, vor allem aber Bundespräsident Gauck für ein stärkeres Engagement bei Auslandseinsätzen geworben.

Bei den EU-Staaten hat es vielleicht geklappt, aus den beiden Weltkriegen Lehren zu ziehen. Sehen wir aber auf Russland, den Balkan oder den Nahen Osten, frage ich mich schon, ob die Menschen dazu fähig sind, aus der Vergangenheit zu lernen.
GROMES: Man kann aus der Vergangenheit unterschiedliche Lehren ziehen. Die eine: „Wir machen die europäische Integration, damit es hier nie wieder Krieg gibt.“ Diese Botschaft haben viele Medien kürzlich beim Gedenken zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbreitet, und das haben wir auch von Gauck und Hollande gehört. Eine andere mögliche Lehre: „Erinnert euch daran, wie es war – letztlich stehen wir immer allein da. Im Zweifel kommen jene und wollen uns an den Kragen. Darauf müssen wir vorbereitet sein.“ Oder die Haltung: „Wir waren immer die Angegriffenen, haben uns immer nur verteidigt.“
Nicht immer gewinnt die konstruktive Lehre. Oft werden aus der Vergangenheit auch die aktuelle Gewalt und die aktuellen Forderungen legitimiert.

Sie sagen in Ihrer Dissertation, der Aufbau einer Demokratie sei die schlechteste Option für Nachbürgerkriegsgesellschaften. Wie meinen Sie das?
GROMES: Sie ist meiner Ansicht nach die schlechteste Option – abgesehen von allen anderen. Das ist eine Abwandlung des Zitats von Winston Churchill, die Demokratie sei die schlechteste Regierungsform, abgesehen von allen anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. Ich sehe keine bessere Alternative zur Demokratisierung.
Auf der anderen Seite kann gerade der Prozess der Demokratisierung Konflikte verschärfen. Man hat das vielversprechende Ziel „Demokratie = Frieden“ vor Augen, muss aber durch eine ganz gefährliche Phase hindurch. Wir sehen das beim „Arabischen Frühling“, wo Öffnungsprozesse oder Versuche der Umwälzung in neue Kriege münden. Es kommt darauf an, die Demokratisierung so zu gestalten, dass sie friedensverträglich wird. Ein schwieriges Unterfangen!

In einer anderen Arbeit nehmen Sie auf Mahatma Gandhi Bezug. Was hat er uns heute noch zu sagen?
GROMES: Gandhi hat Methoden der gewaltfreien Konfliktaustragung weiterentwickelt, die bis heute bereitstehen. Und die unabhängig davon funktionieren, ob man Gandhis normative und religiöse Überzeugungen teilt. Es scheint sich ein neuer Trend abzuzeichnen, der sich stärker für gewaltfreie Kampagnen interessiert. Ein Befund dieser Forschung ist, dass gewaltfreie Kampagnen eine höhere Erfolgsrate als gewaltsame aufweisen. Auch nach gewaltsamen Regierungswechseln ist die Gefahr von Bürgerkriegen größer als nach gewaltlosen Umstürzen: Die Traditionslinie, für die Gandhi steht, ist also überraschend aktuell!

Herzlichen Dank für das Gespräch!
Clemens Behr

Thorsten Gromes
geboren 1975 in Mönchengladbach, hat in Marburg Politikwissenschaft, Soziologie sowie Friedens- und Konfliktforschung studiert. In seiner Doktorarbeit hat er am Beispiel Bosnien und Herzegowina die Demokratisierung von Bürgerkriegen untersucht. Gromes ist Vorsitzender des Forschungsrates des Leibnitz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) in Frankfurt/Main. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Friedenskonsolidierung sowie die Demokratie- und Transformationsforschung.
www.hsfk.de

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2014)
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