16. April 2015

Angemessen vorbereitet

Von nst1

Der Dialog zwischen Angehörigen großer Religionen ist notwendiger denn je. Das ist nicht erst seit den schrecklichen Terroranschlägen von Paris Anfang des Jahres klar. Auch nicht, dass dieser Dialog eine angemessene Vorbereitung braucht. Auf den Philippinen bietet die Fokolar-Bewegung seit 33 Jahren ihren zumeist christlichen Angehörigen dafür eine „Schule des Dialogs mit den Orientalischen Religionen“ an.

Die Frage nach der Bedeutung des Leids ist so alt wie die Menschheit. Alle Religionen versuchen darauf eine Antwort zu geben. Mit dem Sinn von Schmerz und Leid aus Sicht des Buddhismus, Hinduismus, Islam und Christentums befasste sich auch der diesjährige Kurs der „School of Oriental Religions“ (dt.: Schule für Orientalische Religionen) – kurz „SOR“ – der vom 26. Februar bis 1. März auf den Philippinen stattfand.

Die Siedlung der Fokolar-Bewegung in Tagaytay beherbergte dafür knapp 300 Teilnehmer. Die meisten kamen von den Philippinen, aber es waren auch Abordnungen aus Pakistan, Indien, Myanmar, Thailand, Vietnam, Hong Kong, Taiwan, Indonesien, Japan und Korea dabei. Der Großteil waren – wie die Angehörigen der Fokolar-Bewegung in den verschiedenen Ländern Asiens – Katholiken. In diesem Jahr wollten aber auch drei buddhistische Angehörige der Fokolar-Bewegung aus Japan und Thailand teilnehmen. Unter dem Thema „Die Bedeutung von Schmerz und Leid in Hinduismus, Buddhismus, Islam und Christentum“ ging es darum, den Wert und die Bedeutung darzustellen, der dem Schmerz in den verschiedenen Traditionen zukommt, vom körperlichen Schmerz über geistliches und psychisches Leid bis hin zu dem, das von Naturkatastrophen verursacht wird.

Und das vor dem Hintergrund jenes für die Fokolare typischen Dialogs, dessen Schwerpunkt nicht in der Theorie, sondern zuallererst in den persönlichen Beziehungen und dem konkreten Leben liegt. So unterstrich auch der katholische Bischof und Dekan der SOR, Roberto Mallari (Philippinen) bei der Eröffnung des viertägigen Seminars: „Leid ist eine Erfahrung aller Menschen, gleichsam Basis und Treffpunkt mit allen, unabhängig von ihrer Religion.“ Und Maria Voce, Präsidentin der Bewegung, hatte die Teilnehmer in einer Grußbotschaft eingeladen, die Tage „in tiefer Gemeinschaft und gegenseitigem Austausch zu leben, auf der Basis der beständigen gegenseitigen Liebe und im Hören aufeinander.“ Diese Haltung sei Grundlage für ein neues Licht und tieferes Verständnis nicht nur der anderen Religion, sondern auch der eigenen Glaubenserfahrung.

„Diese Art der Schulung ist eine der ureigensten und genialsten Ideen des Charismas von Chiara Lubich“, ist Roberto Catalano vom Zentrum der Bewegung und mitverantwortlich für deren interreligiösen Dialog überzeugt.

Die Gründerin der Bewegung hatte am Ende ihrer ersten Asienreise im Januar 1982 das damals utopisch anmutende Projekt vorgeschlagen: Auf den Philippinen – in Tagaytay – sollte eine Siedlung entstehen, die als Schulungszentrum für die Angehörigen der Fokolar-Bewegung aus ganz Asien dienen sollte. Außerdem – und das schien zum damaligen Zeitpunkt etwas völlig Gewagtes – sollten dort, 55 Kilometer südlich der Hauptstadt Manila, Seminare und Kurse stattfinden, um die katholischen Mitglieder der Bewegung aus ganz Asien auf den Dialog mit Gläubigen anderer Religionen vorzubereiten.

Chiara Lubich war gerade eben aus Japan gekommen, wo sie auf Einladung von Nikkyo Niwano, dem Gründer der buddhistischen Laienbewegung Rissho Kosei-kai, vor Tausenden von Buddhisten ihre christliche Erfahrung erzählt hatte. Wie eine Christin in der Heiligen Aula vor einer überlebensgroßen Buddha-Statue über ihren Glauben an „Gott-Liebe“ sprach, hatte die buddhistischen Zuhörer beeindruckt. Und auch in der Fokolargründerin selbst hat diese ungewöhnliche Situation einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.

Als sie danach auf den Philippinen, dem christlichsten Land Asiens, ankam, war in ihr der Gedanke gereift, dass es an der Zeit war, dass die Fokolar-Bewegung – besonders in Asien – den Dialog mit Buddhisten, Muslimen und Hindus intensivieren sollte. Aber ihr war auch klar, dass man auf einen solchen Dialog vorbereitet sein musste, um nicht Gefahr zu laufen, die eigene religiöse Identität zu verlieren. Deshalb regte sie Schulungskurse an, welche die christlichen Angehörigen der Bewegung in Asien darauf vorbereiten sollten, auf die Gläubigen anderer Religionen zuzugehen und sich dem Dialog zu öffnen. Schon kurz nachdem Chiara Lubich ihre Überlegungen mit den Verantwortlichen der Bewegung in Asien geteilt hatte, stellte ein Freund der Bewegung ein Haus zur Verfügung, das Professoren und Schüler aufnehmen konnte. Chiara Lubich sah dieses konkrete Zeichen als Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.

So entstand die „Schule für Orientalische Religionen“ mit Sitz in Tagaytay. In den vergangenen drei Jahrzenten wurden dort Kurse und Seminare abgehalten, die Teilnehmern halfen, die in diesem Kontinent vertretenen Religionen besser kennenzulernen. Seit 2009, bedingt durch den raschen gesellschaftlichen Wandel, die Folgen der Globalisierung, das Wachsen fundamentalistischer Spannungen, begann man religionsübergreifende Themen zu behandeln: „Das Gottesbild in den asiatischen Religionen“; „Das Gebot der Nächstenliebe“; „Die Rolle der Heiligen Schriften und ihr Beitrag zu Frieden und Harmonie“ und in diesem Jahr „Die Bedeutung von Schmerz und Leid“. Die Referenten sind Experten in den jeweiligen Themenbereichen und stammen vorwiegend aus der Fokolar-Bewegung und der katholischen Kirche, aber auch Freunde der Bewegung aus anderen Religionen sind beteiligt.

Die SOR ist keine akademische Dauereinrichtung.

Die in zweijährigem Rhythmus stattfindenden Kurse werden dann auch – ergänzt durch spezifische Einführungen in das kulturelle und religiöse Umfeld und durch Erfahrungsberichte – in den vorrangig christlichen Gemeinschaften der Bewegung in allen asiatischen Ländern wiederholt. In der Siedlung „Pace“ (dt. „Frieden“) in Tagaytay sind darüber hinaus oft interreligiöse Gruppen zu Gast. Hier werden vor allem Kurse und Seminare für Jugendliche und Erwachsene abgehalten, die ihnen die Grundlagen für den Dialog in ihrem Umfeld vermitteln sollen. Die Schulungskurse der SOR bieten den Teilnehmern außerdem die für viele „sehr kostbare Gelegenheit“ zum Austausch über den Dialog in ihren Herkunftsländern, in denen Christen oft eine verschwindende Minderheit darstellen, wie in diesem Jahr durch Berichte aus Indien, Thailand, Japan und Taiwan.

Als Chiara Lubich ihre Ideen 1982 mit ihren Mitarbeitern teilte, vertraute sie ihnen an: „Wir müssen diese Vorposten schaffen, die den Weg bereiten für die Zukunft.“ Und Roberto Catalano ist überzeugt: „Darin lag eine Prophezeiung. Jetzt 30 Jahre später leben wir in einer Welt, in der Dialog für alle unerlässlich ist, egal zu welcher Religion sie gehören, wie das auch Papst Franziskus vor kurzem noch einmal unterstrichen hat.“ Und Catalano fährt fort: „Die SOR gibt Menschen unterschiedlicher Länder die Möglichkeit, in einem Intensivkurs sensibel zu werden für den Dialog und dann als Multiplikatoren in ihre Länder zurückzukehren.“

Der Italiener, der viele Jahre in Indien lebte und nun am Weltzentrum der Bewegung mitverantwortlich für den Interreligiösen Dialog ist, unterstreicht in seiner Bilanz des diesjährigen Kurses eine für viele Teilnehmer überraschende Wechselwirkung: „Sie sind gekommen, um den Dialog mit den anderen Religionen zu erlernen. Aber entdeckt haben sie das Christentum in seiner Tiefendimension, das sich allen öffnet, egal zu welcher Religion sie gehören.” Und er fährt fort: „Chiara hat verstanden, wie notwendig es ist, Christen für den Dialog zu schulen in einem Kontinent, der ein Kaleidoskop von Glaubensrichtungen darstellt. Für einen Dialog, der weder oberflächlich ist, noch relativiert, sondern den Raum darstellt, in dem jeder er selbst sein kann und in der Begegnung mit dem anderen die eigenen Wurzeln neu entdeckt.“ Seine Kollegin vom Zentrum für den Interreligiösen Dialog der Fokolar-Bewegung, Christina Lee, hatte bei der Eröffnung in Tagaytay noch einen weiteren Aspekt eines auf christlicher Basis geführten Dialogs hervorgehoben: „Jede menschliche Beziehung verlangt Respekt und Liebe. Christliche Liebe ist nicht nur Freundschaft; sie ist Teilhabe am innersten Leben Gottes, am Leben der Dreifaltigkeit … Es ist eine Liebe, die den anderen zuinnerst berühren kann und in ihm eine tiefe Beziehung zu Gott und zu den Menschen entfachen kann.“
Jose Aranas, Gabi Ballweg

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2015)
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