13. April 2015

Flüchtlinge willkommen

Von nst1

Warum nicht auch in der eigenen Wohnung?

Die Odyssee der Flüchtlinge ist selbst dann nicht zu Ende, wenn sie die gefährliche Flucht überlebt haben und in Europa angekommen sind: Es dauert Monate, bis sie abgeschoben oder als Asylbewerber anerkannt werden. So lange müssen sie zumeist in Massenunterkünften ausharren und sind zum Nichtstun verurteilt. Die Landessprache zu lernen und mit Einheimischen Kontakt zu bekommen, ist so nur schwer möglich. Mit der Folge, dass sich die Flüchtlinge einsam, nutzlos und ausgegrenzt fühlen. Willkommenskultur sieht anders aus, haben sich Mareike Geiling und Jonas Kakoschke gedacht, und in ihrer Berliner Wohngemeinschaft Anfang Dezember 2014 einen 39-jährigen Flüchtling aus Mali aufgenommen. Als sie ihm anboten, zu ihnen zu ziehen, fiel er aus allen Wolken: So kannte er die Deutschen gar nicht. Wie jeder in der WG beteiligt er sich am Kochen und Putzen.

Geiling und Kakoschke haben es nicht dabei belassen, ihre Tür zu öffnen: Sie gründeten die Internetplattform www.fluechtlinge-willkommen.de (für die Flüchtlinge auf Englisch: www.refugees-welcome.net), die weitere WG-Plätze vermittelt. Dort können sich sowohl Flüchtlinge anmelden, die eine private Unterkunft suchen, als auch Menschen, die bereit sind, sie bei sich aufzunehmen. Spender können die Initiative finanziell unterstützen. Auch das Zimmer des 39-Jährigen aus Mali wird durch Mikrospenden von Bekannten seiner Mitbewohner finanziert, solange er keine Arbeitserlaubnis hat. Die ehrenamtlichen Initiatoren der Plattform bieten auch an, eine Übernahme der Miete durch die Behörden zu prüfen.

Die Flüchtlinge finden schneller Anschluss, aber auch diejenigen, die ein Zimmer zur Verfügung stellen, profitieren: „Ihr lernt eine andere Kultur kennen und helft einem Menschen in einer schwierigen Situation“, heißt es auf der Homepage. Mittlerweile haben sich über 200 Flüchtlinge und 450 Wohngemeinschaften registriert, von Konstanz bis Schleswig, von Dresden bis Aachen. Unter den „Anbietern“ ein Pensionär aus Bayern vom Land, ein Akademiker-Ehepaar aus Hamburg, Studenten aus Sachsen. „Niemand flieht ohne Grund oder begibt sich in eine so unsichere Situation“, schreiben zwei potentielle Mitbewohner aus Magdeburg. „Wie würden uns sehr freuen, wenn wir zumindest einem Flüchtling helfen könnten, unter menschenwürdigen Bedingungen in Deutschland zu leben.“

Die Idee ist auf Österreich übergesprungen; die Internet-Domain gibt es jetzt auch mit .at-Endung. So hat in einer WG im 17. Bezirk in Wien ein 30-jähriger Pakistaner eine neue Bleibe gefunden. In Deutschland und Österreich wurden insgesamt bis Mitte März 18 geflüchtete Menschen vermittelt, unter anderem aus Syrien, Russland, Afghanistan und Nigeria.
Clemens Behr

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, April 2015)
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