14. September 2015

Dem Geist etwas zutrauen!

Von nst1

Mit der Bischofssynode zum Thema Familie soll im Oktober ein bisher einmaliger synodaler Prozess in der katholischen Kirche zum Abschluss kommen, zu dem Papst Franziskus vor zwei Jahren eingeladen hat. Hoffnungen und Befürchtungen haben diesen Weg geprägt. Wir sprachen mit Familien, die der Spiritualität der Fokolar-Bewegung verbunden sind, über ihre Erfahrungen mit der Lebenswirklichkeit von Familien heute und darüber, was sie sich von der Synode erhoffen.

„Eigentlich müssen sie die Quadratur des Kreises hinkriegen!“, lachend beschreibt Andreas Kaczynski das Spannungsfeld, in dem er die Synodenväter sieht. Mit seiner Frau Susanne und den drei Söhnen (17, 11, 7) lebt er in Berlin. In der deutschen Hauptstadt wird jede zweite Ehe geschieden. „Da wird ein Ehe- und Familienleben wie bei uns die absolute Ausnahme.“ Seine Frau Susanne fügt hinzu: „Wir sind gut 25 Jahre verheiratet und erleben betroffen, dass die Einschläge immer näher kommen. Ehen, auch von guten Freunden, gehen auseinander. Oft hat sich Sprachlosigkeit zwischen den Eheleuten und in der Familie breitgemacht. Da spielt vieles mit: der Druck der Berufswelt, die Mediennutzung, der Leistungsdruck, die veränderten Rollenbilder. Das Modell ‚Ehe und dann Kinder’ ist heute nur ein Lebensentwurf unter vielen.“
Andreas meint, dass auf der Synode die Gender-Frage nicht ausgeblendet werden darf. In seinem Bekanntenkreis gibt es einige, die in homosexuellen Beziehungen leben. „Dass diese oft sehr verlässlich und verantwortungsvoll gelebt werden, wirft Fragen auf. Da erhoffe ich mir mehr Respekt.“
Darüber, dass Familie überhaupt ein Thema ist und dass der Papst zu einem so weiten Dialog darüber eingeladen hat, freuen sich die beiden, aber ob wirklich etwas herauskommen kann, was der Realität der Familien weltweit und gleichzeitig derer vor Ort gerecht werden kann – da haben sie Zweifel. „Am schlimmsten wäre der erhobene Zeigefinger“, meint Susanne. Hingegen wünscht sie sich, dass „Kirche zuhört, da ist, begleitet, Nähe und Wärme schafft, damit Menschen, Paare es schaffen, ihren persönlichen Weg mit Gott zu finden.“ Und Andreas: „Dass Kirche weniger urteilt und Gemeinden immer mehr in der Lage sind, Menschen in ihrer Mitte zuzulassen, die dem Idealbild nicht entsprechen.“
Barbara und Wolfgang Cremer leben in der Nähe von Bonn. Zusammen mit anderen bieten sie regelmäßig Begegnungen für Familien an. „Es sind offene Treffen“, erzählt Barbara Cremer. „Wir wissen im Vorfeld nicht, wer kommt. Und dann haben wir oft einen bunten Querschnitt durch die Welt der Familien heute vor uns: auch Patchwork-Familien, Alleinerziehende, getrennt Lebende … Sie suchen geistliches Leben.“ Weil es der Vorbereitungsgruppe ein Anliegen ist, dass die Teilnehmer die Liebe Gottes persönlich erfahren können, soll sich jeder angenommen wissen, das Kind mit Down-Syndrom genauso wie der ehemalige Spieler, dessen Beziehung in die Brüche gegangen ist und der den Eindruck hat, er habe sein Leben „vergeigt“; die überlastete Familienmutter genauso wie der Manager, der kaum Zeit für die Familie hat; Menschen, die um ihre zerbrochene Ehe trauern genauso wie die, die sie gerade voller Zuversicht begonnen haben. „Über keinen urteilen, für alle gleichermaßen da sein, die Unterschiede aushalten“, so beschreiben Cremers, wie sie die Tage angehen. So ergeben sich viele persönliche Gespräche, es wachsen Beziehungen, „die wir durchtragen wollen, auch wenn es schwierig wird.“

Barbara Cremer erhofft sich eine „barmherzige, würdige Lösung“, vor allem für die wiederverheiratet Geschiedenen.

„Keiner geht doch leichtfertig!“ Dennoch, so weiß sie aus den Gesprächen, „bleibt bei vielen der Eindruck, dass andere – auch die Kirche – über ihre Trennung denken: ‚Es hätte doch gehen können, wenn ihr euch nur angestrengt hättet.’“ Dabei spiele da so vieles rein, und sie ist überzeugt: „Es ist auch Gnade und Geschenk, wenn eine Ehe, eine Beziehung heute hält!“
Auch Angela Krahn gehört zu der Gruppe um Cremers. Die Aachenerin weiß um das Spannungsfeld, das sich vor der Synode auftut. Seit 31 Jahren lebt sie getrennt von ihrem Mann und als er letztes Jahr um die Scheidung bat, „hat das auch nach 30 Jahren noch unendlich wehgetan!“ Kurz nach ihrer Trennung hatte sie einen neuen Zugang zu Gott und in der Spiritualität die Fokolar-Bewegung ihr geistliches Zuhause gefunden. „Im ganzen Elend“ der Trennung (mit drei Töchtern, damals 5, 6 und 12 Jahre) habe sie so immer wieder Haltepunkte gehabt. Und manchmal käme der Gedanke, dass alles vielleicht ganz anders gekommen wäre, wenn sie diese Nähe zu Gott schon früher gefunden hätte. „Trotzdem kann ich mein Leben annehmen und an die Liebe Gottes glauben!“, unterstreicht sie. Mit zu ihren schönsten Erfahrungen gehört, dass sie sich durch das Miteinander als Teil einer so viel größeren Familie erlebt hat. Seit Februar 2008 trifft sich Angela Krahn im nordwestdeutschen Raum auch zweimal jährlich mit Menschen in ähnlicher Lebenssituation zum Austausch, zur Vertiefung und zur gegenseitigen Bestärkung. „Es ist eine bunte Mischung von bis zu 15 Personen.“
Für die Familienwochenenden liegt Angela die Sprache und die Sensibilität für die verschiedenen Situationen und Verletzlichkeiten am Herzen. „Wenn wir zu einer Gesprächsrunde einladen, versuchen wir, es so offen wie möglich zu formulieren, etwa ‚für die, die sich allein fühlen’.“ Themen, die dann zur Sprache kommen? „Die Situation der Kinder und die Erfahrung des Scheiterns“.
Aus ihrer Erfahrung und nach den Jahren an der Seite vieler anderer ist Angela sicher: „Jede Trennung und jede Situation ist anders! Aber es gibt kaum eine, wo das Unvermögen nur bei einem der beiden Partner gelegen hätte!“ Deshalb kann sie sich auch kaum vorstellen, dass Weltkirche da Regeln finden kann. „Es kann doch immer nur um die Liebe gehen, darum, den Blick der Liebe auf das einzelne Geschehen zu richten!“
Faszinierend findet Angela Krahn aber, „dass Menschen, die in Kirche leben, auf Familie schauen“ – und dass sie es mit weitem Blick tun. Dass Kirche auf eine beständige Beziehung von Mann und Frau setzt und dieses Ideal hochhält, ist für sie stimmig. „Obwohl ich das nicht erleben durfte, spüre ich in der Begegnung mit Familien, die so leben, eine Fülle, die ich jedem wünschen würde!“

Mit einer ganz anderen Perspektive als noch vor einem Jahr gehen Marly und Hans-Peter Stasch auf die Synode zu.

Die beiden sind inzwischen von Solingen an das „Weltzentrum der Familien der Fokolar-Bewegung“ in den Albaner Bergen umgezogen. So haben sie auch ein neues Gespür für die Vielfalt der Lebenswirklichkeit von Familien weltweit bekommen. „Und das werden ja auch die Synodenväter mitbringen – jeder sein kulturelles, gesellschaftliches und kirchliches Umfeld, in dem dann auch Familie sich unterschiedlich gestaltet.“
Mit Blick auf die Dokumente hat sich Marly Stasch gefreut, dass dabei „Barmherzigkeit“ immer stärker zum Tragen kommt. „Außerdem wurde mir bewusst, dass wir noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um Paare – vor allem die in schwierigen Situationen – zu begleiten, sie zu stärken.“ Spontan fällt Staschs da ein Seminar für Ehepaare „sozusagen kurz vor der Trennung“ in Loppiano bei Florenz ein, an dem sie kürzlich teilgenommen haben. Und sie wissen von Erfahrungen in der Schweiz – zum einen mit niederschwelligen Angeboten und andererseits auch für Paare in Krisen, „denen dann auch Diskretion über die Teilnahme zugesichert wird, sodass sich nicht plötzlich rumspricht ‚Die sind in Krise!’“
Staschs bedauern, dass die anfängliche Begeisterung für den synodalen Prozess doch sehr abgeflaut ist. „Die meisten haben es abgehakt und denken: Da wird sich doch nichts tun!“ Ihnen gefällt eine Aussage von Kardinal Schönborn aus Wien, der davon sprach, dass der Heilige Geist während der Synode keinen Urlaub machen werde.1) „Wir wollen die Synode mit unserem Gebet begleiten – und dem Geist etwas zutrauen!“ – Auch die Quadratur des Kreises.
Gabi Ballweg

1) In einem Interview während seiner USA-Reise im August

Der Weg zur Bischofssynode 2015

Papst Franziskus kündigte im Herbst 2013 einen synodalen Prozess an, um auf breiter Basis über das Thema Familie in der katholischen Kirche zu beraten.
Erste Etappe war die Synode vom 5. bis 19. Oktober 2014 mit 191 stimmberechtigten Mitgliedern, 16 Fachleuten, 38 Gasthörern und acht Vertretern anderer Kirchen. Neu war, dass außer den Bischöfen auch alle Gläubigen eingeladen waren, den Fragebogen zu beantworten. Neu war auch, dass strittige und kritische Reaktionen und Vorschläge in das „Arbeitspapier“ der Synode eingingen und damit für die Beratungen zur Debatte standen. Im Mittelpunkt stand eine Frage: Soll die katholische Kirche wiederverheirateten Geschiedenen den Empfang der Kommunion erlauben? Viele Synodenteilnehmer hatten in diesem Zusammenhang das Verhältnis zwischen katholischer Lehre und dem Gebot der Barmherzigkeit thematisiert.
Von der Bischofssynode vom 4. bis 25. Oktober 2015 werden nun konkrete Leitlinien für eine zeitgemäße Seelsorge der Familie erwartet. Sie steht unter dem Titel „Die Berufung und Mission der Familie in der Kirche in der modernen Welt“ und wurde auch mit einer Befragung vorbereitet. Die – weniger zahlreichen – Rückmeldungen flossen in das am 23. Juni 2015 veröffentlichte Arbeitspapier „Instrumentum laboris“ ein.
gba

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September 2015)
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