19. Mai 2016

Wozu wir dienen

Von nst1

Wer spricht noch vom Dienen? Das ist aus der Mode gekommen, das klingt so unterwürfig

Andererseits nennen sich viele Unternehmen stolz „Dienstleister“, und wir erachten es als fortschrittlich, eine Dienstleistungsgesellschaft zu sein. Dienstleistungen erfolgen allerdings in der Regel nur gegen Bezahlung. Auch sie haben ihren Wert, aber: Auf dem Weg vom Dienst zur Dienstleistung gewinnt das Leistungsdenken; Freiwilligkeit und Uneigennützigkeit bleiben auf der Strecke.

Viele Menschen, über die wir berichten, sind sich nicht zu schade, anderen zu dienen. Michael Oertel in Leipzig hatte sich für seine schwerbehinderte Tochter eine Geschichte ausgedacht. Weil sie ihr erstes Lebensjahr in der Universitätskinderklinik verbracht hatte, kam er auf die Idee, den schwer kranken Kindern dort als Geschichtenerzähler eine Freude zu machen.

Nicole Lena de Terry und Joachim Geibel in Köln wissen als Musikstudenten, dass Singen Gemeinschaft schafft. Sie wollten Menschen zusammenbringen: die, die schon länger in Köln leben, mit jenen, die aus anderen Ländern geflüchtet sind. Ob ihr offener Chor angenommen wird, konnten sie beim Start noch nicht wissen.

Bei Begegnungen mit Polen, Tschechen und Franzosen sind Annemarie und Walter Kriechbaum vom CVJM München auf schlimme Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus gestoßen. Sie haben aber auch versöhnliche Gesten und bewegende Zeichen der Freundschaft erfahren. Mit Begegnungsprojekten wollen sie der Versöhnung zwischen den Völkern Europas dienen.

Es ist nicht leicht, sich den Wunden zu stellen, wenn sie noch frisch sind, wie nach den Terroranschlägen in Brüssel. Das erlebt der 24-jährige Belgier Samuel Vehegge, der uns seinen Gemütszustand und seine Fragen nach den Ereignissen vom 22. März anvertraut.

Wer dient, macht sich klein und den anderen groß. Das scheint in den Aussagen vom Münsteraner Regens Hartmut Niehues zur Kirche auf, die wir im offenen Brief aufgreifen. Wer dient, stellt nicht die Aktivität oder die Leistung, sondern die Person in den Mittelpunkt. Er tut der Gesellschaft etwas Gutes, dient dem Gemeinwohl, der Menschlichkeit. Gläubige Menschen sagen, wer den Menschen dient, dient Gott. In dem Sinn, dass vom Gegenüber etwas zurückkommt – Freude, Dank, Freundschaft – ist ein Dienst am anderen auch ein Dienst an sich selbst.

Es besteht also kein Grund, Angst vor dem Dienen zu haben. Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, es neu in den Blick zu nehmen!

Ihr

Clemens Behr

 

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai 2016)
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