Unbequemes ansprechen
„ Wenn ich jemanden darauf aufmerksam machen will, dass er sich dumm benommen oder mich verletzt hat, bekomme ich Herzklopfen. Oder wenn ich Mist gebaut habe und mich entschuldigen will. Am liebsten würde ich mich davor drücken. Anderen die unbequeme Wahrheit sagen – muss das denn sein? Woher nehme ich den Mut? Wie sage ich es so, dass der andere es annehmen kann?“
Elli und Dirk von der Heide
Ehepaar, 3 Kinder (1-5½ J.), Friedberg
Wenn wir in unserer Partnerschaft etwas als verletzend oder störend empfinden, versuchen wir – wenn das nicht nur kurz anhält – den Sachverhalt zu reflektieren: Warum trifft es mich? Ist wirklich der andere Schuld? Wenn die Empfindung bestehen bleibt, muss sie auch ausgedrückt werden. Ansonsten können aufgestaute Gefühle unser Miteinander stören und an anderer Stelle Probleme verursachen.
Um den belastenden Umstand ansprechen und wieder zu einem besseren Miteinander kommen zu können, brauchen wir stützende Rahmenbedingungen. Die sind im Familienalltag nicht immer leicht zu finden. Oftmals müssen wir die Störung erst einmal aushalten. Haben wir einen Moment gefunden, in dem wir nicht ausgepowert sind und uns Zeit und Raum füreinander nehmen können, versuchen wir, den Sachverhalt in einer Sprache anzubringen, die den anderen in seiner Würde bewahrt – sodass wir beide sofort an einer gemeinsamen Lösung arbeiten können.
Natürlich gelingt uns dieser schöne Weg nicht immer. Dann braucht jeder von uns erst etwas Abstand und Zeit für sich: zum Sammeln und sich wieder Ordnen. Im Ringen um gute Worte bleiben manchmal nur E-Mails, SMS oder Briefe als Hilfsmittel, bis wir uns wieder gegenseitig ganz annehmen können.
Thomas Hüttl
Immobilienverwalter, Augsburg
In unserer Firma versuchen wir, Konfliktpotenzial gering zu halten durch eine klare Abgrenzung der Aufgaben: Wofür ist der Einzelne verantwortlich, wie sind Schnittstellen beschaffen? Wenn etwas falsch gelaufen ist, frage ich nicht, wer Schuld hat, sondern wie wir es in Zukunft besser machen können.
Wir besprechen einmal in der Woche im Team, wo Fehler passieren, wo Kunden Probleme haben. Ich strebe an, mindestens zweimal im Jahr mit jedem Mitarbeiter Einzelgespräche zu führen. Hier ist es meine Aufgabe als Chef, auf Defizite hinzuweisen. Zum Beispiel, wenn jemand respektlos mit dem Azubi umgeht.
Auch nach Jahren hab ich noch großen Respekt vor den Gesprächen. Ich bemühe mich, Fehler ohne Vorwurf anzusprechen: Mir ist da etwas aufgefallen – täusche ich mich? Wie ist Ihre Sicht? Wenn der andere reden kann, kommen oft Dinge heraus, durch die ich das Verhalten besser verstehe. Vielleicht hat der Azubi zum x-ten Mal denselben Mist gebaut und es war Zeit, ihm das klarer zu sagen. Oder es zeigt sich, dass der Kollege für seine Aufgabe eine Weiterbildung in Mitarbeiterführung braucht. Ich versuche, nicht von oben herab zu kommen, sondern „meine Wahrheit“ so zu formulieren, dass der andere dazu Stellung beziehen kann.
Ulrike Zachhuber
Psychiaterin, Ottmaring
Ich bin der Überzeugung, dass wir Menschen „wahrheitsfähig“ sind. Wir sehnen uns nach der Wahrheit und wollen „wahrhaft/wahrhaftig“ leben. Als Beziehungswesen sind wir aufeinander angewiesen und aufeinander verwiesen.
Wichtig scheint mir die Tatsache, dass wir Menschen sehr unterschiedlich sind und es „die Wahrheit“ nicht gibt. Ich würde in diesem Zusammenhang lieber von „Wahrnehmung“ sprechen: Es ist jeweils meine beziehungsweise deine Wahrnehmung, und die ist immer subjektiv. Diese Wahrheit oder subjektive Wahrnehmung einander klar und deutlich zu sagen, ist eine große Herausforderung. Es braucht eine gewisse menschliche Reife, um offen für sie zu sein, um sie aufzunehmen, um ihr ins Gesicht schauen zu können.
Wenn wir einander die Wahrheit sagen, dann muten wir einander oft Starkes zu. Die Voraussetzung, um diese Wahrheit anzunehmen, ist erfahrungsgemäß eine gute Vertrauensbasis. Wenn ich weiß, dass es der andere prinzipiell gut mit mir meint, kann ich besser annehmen und weiß es auch zu schätzen, was er mir „in der Wahrheit“ sagt, und ebenso kann ich meinem Gegenüber meine Wahrnehmung frei und klar vermitteln. Zur „Wahrheit, die uns frei macht“, gelangen wir also nur miteinander. Schritt für Schritt.
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(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2017)
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