21. Januar 2019

Kleine Schritte für einen Neuanfang

Von nst5

Die Wienerin Andrea Staudenherz wollte nicht wegschauen, sondern etwas tun. Ihr Verein hilft von Menschenhandel betroffenen Frauen auf dem Weg in einen normalen Alltag.

Das Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution liegt mir schon seit vielen Jahren am Herzen. Und seit ich den Dokumentarfilm „Nefarious“ gesehen habe, wurde der Drang, etwas zu tun, immer größer.
Seit Jahren bin ich in Kontakt mit der ehemaligen Leiterin des Vereins „Herzwerk“, der auf Streetwork im Rotlichtmilieu in Wien spezialisiert ist. Ich arbeite dort auch ehrenamtlich mit; bin zwei Mal im Monat auf jeden Fall mit in den Laufhäusern, Studios und auch bei diversen Mitarbeiter- und Straßenteamtreffen dabei. Über die Jahre hinweg begleitete mich dabei die Frage: „Was kann man tun? Wie kann ich effektiv helfen? Was macht wirklich Sinn und hilft den Betroffenen langfristig?“ Und die Betroffenen selbst stellen sich vor allem zwei Fragen, wenn sie aussteigen möchten: „Wo werde ich wohnen?“ Und: „Wovon werde ich leben?“
Natürlich ist auch das „Wohin“ nach wie vor ein großes Problem. Es ist schwer für Frauen, die wir betreuen, einen Wohnplatz oder eine Wohnung zu bekommen, auch wenn es in Wien sehr viele soziale Angebote gibt, Schutzhäuser und Sozialwohnungen. Aber alle haben auch Zugangsvoraussetzungen und viele Frauen fallen dabei durch den Rost.
Aber speziell zur Integration in den Arbeitsmarkt wird für diese Personengruppe bisher kaum etwas getan. Frauen, die aussteigen, finden keinen Job; und wenn doch, verlieren sie ihn bald wieder. Die meisten haben ja ein sehr niedriges Bildungsniveau, manche sind ganz ohne Abschluss und viele können die Sprache kaum oder schlecht. Weil sie meist stark traumatisiert sind, schaffen sie die Regelmäßigkeit nicht, sind keine Tagesstrukturen gewöhnt. Sie müssen erst wieder langsam und schrittweise in den Alltag integriert werden. Und dabei möchten wir helfen.
Wir haben sehr klein angefangen – mit Nähworkshops. Denn am Anfang hat man keine großen finanziellen Mittel oder bekommt nur wenig Spenden. Auch keine Förderungen – bis heute nicht. So kamen wir auf die Idee, Taschen, Beutel und Rucksäcke zu nähen, die wir dann verkaufen. Das geht auch recht gut.
Außerdem bieten wir den Frauen auch Deutsch-Konversation an und vermitteln einfache Computerkenntnisse, damit sie einen Lebenslauf und eine Bewerbung schreiben können. 2016 haben wir in einer kleinen Wohnung angefangen. Das meiste läuft ehrenamtlich. Ich selbst bin auf Teilzeitbasis mit zwölf Stunden angestellt; seit Jänner 2018 konnten wir auch eine der Näh-Trainerinnen auf Teilzeitbasis anstellen. Und seit September sind wir in neue Räume – mit unserer Partnerorganisation Herzwerk – umgezogen.
Die Frauen sind sehr dankbar für diese Chance. Sie sind zwischen sechs und maximal 24 Monaten bei uns. Klar, das Ziel ist, dass sie Kernkompetenzen für den Arbeitsmarkt erlernen und dort integriert werden. Aber schon wenn man sieht, wie ihr Selbstwertgefühl steigt, wenn sie ihr erstes Werkstück fertig haben, ist das ein Riesenerfolg!

Andrea Staudenherz,
50, ist Referentin und Trainerin für Wasserspringen. 2015 hat sie in Wien den Verein „Hope for the Future “ gegründet – mit dem Ziel, Personen zu fördern, die von Menschenhandel und Prostitution betroffen sind. Durch die Vorbereitung auf einen beruflichen Neuanfang versteht sich der Verein als „ Hoffnungsanker, um gemeinsam mit den Betroffenen existentiellen Ängsten zu begegnen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten auszuloten und den Traum von einer selbst gewählten beruflichen Zukunft in Freiheit und Würde wahr werden zu lassen.“
www.hopeforthefuture.at

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2019)
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