17. Januar 2019

Ware Mensch: Arbeitswelt

Von nst5

Fallbeispiele / Hintergründe

FALLBEISPIELE

Mitte Juni 2018: Von einer Gruppe mit 19 rumänischen Bauarbeitern arbeiteten einige seit mehreren Monaten auf einer Baustelle in Neu-Isenburg. Ihr Arbeitgeber war nicht zu erreichen. Ihre Löhne waren seit Wochen nicht mehr ausbezahlt worden. Zudem wohnten die Männer in einer Unterkunft des Arbeitgebers und befürchteten, in Kürze auf die Straße gesetzt zu werden. Am 16. Juni versammelten sich die Rumänen, begleitet von Kolleginnen und Kollegen, an der Baustelle und machten pressewirksam auf ihre Situation aufmerksam. Das Generalunternehmen erklärte sich in den folgenden Verhandlungen bereit, einen Teil der Forderungen zu begleichen.

Sie wollte einfach Geld verdienen, in Polen hatte sie dazu keine Chance. Ein Anruf genügte, schon hatte sie einen Job in Deutschland. Dafür steht ihr eigentlich der in Deutschland gültige Pflegemindestlohn zu. Eigentlich.
Seitdem pflegt sie 24 Stunden pro Tag ältere Menschen. Natürlich sind solche Arbeitszeiten nicht zulässig, doch sie ist nicht als Pflegerin angestellt. Sie hat keinen Arbeitsvertrag, sondern einen polnischen Vertrag, mit dem sie beauftragt wurde, eine bestimmte Tätigkeit auszuüben. Rechtlich arbeitet sie wie eine Selbstständige und hat keine Arbeitnehmerrechte. Firmen sparen damit Sozialabgaben und Löhne und müssen keine Verantwortung für die Beschäftigten übernehmen.

Eine rumänische Spargelstecherin ruft in der Beratungsstelle an. 18 Leute sind sie. Sie haben Hunger und kein Geld für ihre Arbeit der vergangenen drei Monate bekommen. Die Beraterin ruft beim Spargelbauern an. Der tobt, legt auf. Kurze Zeit später ruft er zurück. Die Beraterin schildert die Rechtslage. Wenige Stunden später werden alle ausbezahlt – in bar. Sie hatte angedeutet, dass sie den Fall öffentlich macht. Und schlechtes Image will keiner.

HINTERGRÜNDE

Das Freizügigkeitsrecht der EU regelt seit 1.1.2005 die Einreise und den Aufenthalt von EU-Bürgern gesetzlich. Sie dürfen in einem anderen EU-Land leben, sofern sie einer Arbeit nachgehen, Arbeit suchen oder über ausreichende Existenzmittel und eine Krankenversicherung verfügen. Das Freizügigkeitsrecht endet nach sechs Monaten. Es sei denn, es gibt Belege für die Arbeitssuche oder es besteht eine begründete Aussicht auf einen Job.
Entsendung: Als entsandt beschäftigt gilt, wer von seinem Arbeitgeber zum Arbeiten für eine begrenzte Zeit in ein anderes EU-Land geschickt wird. Es gilt dann das Arbeitsrecht des Heimatlandes, allerdings mit einigen Mindestbestimmungen aus dem Zielland. In Deutschland ist dabei folgendes geregelt: Höchstarbeitszeit, Mindestruhezeit, Mindesturlaub, Mutterschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz, Diskriminierungsverbot, Mindestlohn.

Beratung
Das 

DGB-Projekt „Faire Mobilität – Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv“ berät in Deutschland Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa arbeitsrechtlich und sozialrechtlich. In neun Beratungsstellen werden Wanderarbeiter in verschiedenen osteuropäischen Sprachen informiert und unterstützt. Verschiedensprachige Flyer zu unterschiedlichen Branchen gibt es auf der Homepage.
www.faire-mobilitaet.de

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2019)
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