2. Juni 2020

War das rassistisch?

Von nst5

Ein Witz auf Kosten einer anderen Nationalität, eine kleine Bemerkung, eine klare Ausgrenzung: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus – bewusst oder unbewusst. Das Spektrum der Ausdrucksformen ist breit, von sehr subtil bis ganz offensichtlich. Wie reagieren?

Ulrike Comes
Lehrerin an einer Gesamtschule, Solingen
Es gibt diesen netten Cartoon: Ein hell- und ein dunkelhäutiges Mädchen malen mit Buntstiften. „Gib mir mal die Hautfarbe“, bittet die eine, bekommt aber einen Stift gereicht, den sie nicht gemeint hatte. Ein gutes Beispiel: Gedankenlos fragt man nach DER Hautfarbe und setzt voraus, die eigene helle sei die „richtige“.
Die Redewendung „sich schwarzärgern“ benutze ich seit meiner Kindheit. Neulich wurde ich von einem dunkelhäutigen Menschen deswegen als rassistisch angegangen. Ich wehrte ab: Er beherrscht eben die Feinheiten der deutschen Sprache nicht, sollte sie aber schleunigst lernen, wenn er hier leben will! – Ich habe nachgeforscht: Der Begriff hat keinen rassistischen Hintergrund. Alle Kollegen versichern, dass ich gewiss keine Rassistin bin. Und doch: Ein Stachel der Unruhe bleibt.
Will ich meine Mitmenschen lieben, muss ich Sprache behutsam verwenden und mitdenken, was man falsch verstehen könnte. Aber das beraubt mich meiner Spontaneität. Jedes Wort auf die Goldwaage zu legen ist mühsam, anstrengend, langweilig. Vielleicht genügt es, dem anderen die Möglichkeit zu geben, mir offen zu sagen, wenn er etwas als verletzend empfindet, ohne dass ich gleich verbal zurückschlage und mich rechtfertige. Dann kann ich die Bedeutung erklären und lernen, diese Formulierung zu vermeiden.
Wenn ich so gerne sage „Deutschland ist bunt“, dann muss ich die anderen Farben zur Kenntnis nehmen und kann nicht mehr von DER Farbe sprechen.

Ursula Leutgöb
Liedermacherin, Eichgraben (NÖ)
Es liegt eine Weile zurück, hat sich aber eingebrannt: Unsere Söhne lernen im Fußballverein vier nigerianische Flüchtlinge kennen. Freundschaft entsteht. Im Ort ist die Stimmung zwiespältig: viel Hilfsbereitschaft einerseits, offene Ablehnung andererseits. Man kennt uns, weiß um unsere Einstellung. Eines Sonntags am Fußballplatz höre ich, wie ein Mann die ärgsten rassistischen Bemerkungen in Richtung Asylwerber loslässt. Ich überlege kurz. Dann stelle ich mich mit freundlichem Hallo und direktem Blick in seine Augen neben ihn. Während des ganzen Spiels sagt er kein einziges abfälliges Wort mehr. Wir verabschieden uns höflich und wissen beide, was passiert war.
2015 beschließt der Gemeinderat, Flüchtlinge im Ort aufzunehmen. Rasch finden sich Menschen, die mithelfen wollen. Eine Freundin und ich koordinieren das Ganze und kümmern uns auch um Kleidung. Ein „Shop“ wird bald zur Kommunikationsdrehscheibe. Mit jenen, die Sachspenden bringen, entstehen intensive, oft kontroverse aber gute Gespräche. Eines Tages bringt eine Dame einen schweren Koffer. Sie öffnet ihn; ich traue meinen Augen nicht: die Kleidung ist voller Katzenhaare, Flecken, mit Löchern, … „Das kann ich alles wegschmeißen“, denke ich. Dann aber sage ich der Dame: „So etwas nehme ich nicht. Wir behandeln die Flüchtlinge mit Respekt.“ Ich klappe den Kofferdeckel zu und bitte sie, ihn wieder mitzunehmen. Die Verabschiedung fällt kühl aus. Ich bleibe nachdenklich. Die Dame vielleicht auch …

Boniface Fugel
Student, Mülheim a.d. Ruhr
Kollegen, Mannschaftskameraden, Leute im Fitnessstudio machen Witze über meine Hautfarbe. Wenn ich irgendwann sage: „Es reicht jetzt mal!“, heißt es meist: „Ach, komm! Du musst auch über dich selbst lachen können!“ Wie oft höre ich: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Nett gemeint, aber die unterschwellige Botschaft ist: „Du gehörst für mich nicht dazu.“ Überdurchschnittlich oft gerate ich in Polizeikontrollen. Bei einem Public Viewing hat man aus einer Gruppe von neun Personen nur mich als einzigen dunkelhäutigen kontrolliert.
Im Alter von einem Jahr wurde ich aus Indien adoptiert – meine einzige Verbindung zu diesem Land. Das war allen bekannt, als wir vor dem Studium in meiner Ausbildung ein Plakat zum Thema „Vielfalt“ erstellen sollten. Trotzdem wollte man ein Foto von mir über eine Indien-Flagge setzen. Obwohl ich nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitze, werde ich oft behandelt, als wäre es unmöglich, als Dunkelhäutiger ein „richtiger“ Deutscher zu sein.
Alltagsrassismus ist meinem Empfinden nach seit Beginn der Flüchtlingskrise angestiegen. Unsicherheit und Angst wirken sich negativ auf die Offenheit gegenüber Mitbürgern aus, die oberflächlich nicht dem „stereotypischen Deutschen“ entsprechen: Traurig, aber ich habe mich daran gewöhnt und lasse es nicht zu nah an mich heran. Umso wichtiger ist, dass Sie kleine und/oder große Zeichen setzen, wenn Sie Alltagsrassismus beobachten: Die betroffene Person wird sich freuen!

Suchen Sie auch nach Antworten – rund um Beziehungen?
Dann schreiben Sie uns: E-Mail oder reichen Sie Ihre Frage ein bei www.facebook.com/NeueStadt

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2020)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München