3. August 2020

Ratspräsidentschaft

Von nst5

Ab dem 1. Juli 2020 wird Deutschland turnusgemäß für ein halbes Jahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union (EU) übernehmen. Österreich beispielsweise hatte die Ratspräsidentschaft zuletzt im zweiten Halbjahr 2018 inne. Was hat es damit auf sich?

Was ist der Rat der Europäischen Union?
Dieses Gremium mit Sitz in Brüssel wurde 1958 als Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründet. In ihm sind die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vertreten. Er dient der Annahme von Gesetzen und der Koordination der gemeinsamen Politik. An den Ratssitzungen nehmen je nach zu verhandelnder Thematik die Ressortminister aus jedem EU-Land teil. Sie können verbindlich für ihre Regierungen ihre Stimme zu Beschlüssen abgeben. Nicht zu verwechseln mit diesem Organ ist der Europäische Rat, in dem die Staats- und Regierungschefs zusammenkommen und die Grundausrichtung der gemeinsamen Politik festlegen; ebenso nicht mit dem Europarat, der keine Institution der EU ist.

Welche Aufgaben hat der Rat der Europäischen Union?
Er stimmt auf Grundlage von Vorschlägen der Europäischen Kommission EU-Rechtsvorschriften ab und verabschiedet diese zusammen mit dem Europäischen Parlament,ist demnach wesentliches Element der EU-Gesetzgebung. Der Rat koordiniert die gemeinsame Politik der EU-Länder; dazu gehört auch ihre Sicherheits- und Außenpolitik. Er schließt internationale Verträge und ihm obliegt die Genehmigung des Haushalts der Union.

Wer leitet die Sitzungen des Rates?
Hat beispielsweise Litauen gerade die Ratspräsidentschaft inne, so führt der litauische Gesundheitsminister den Vorsitz, wenn Fragen der Gesundheit zu besprechen sind. Somit gibt es im strengen Sinne keinen einzelnen Ratspräsidenten. Zu Sitzungen wird einberufen, sobald europaweit Fragen zu klären und entscheiden sind, das heißt in unterschiedlichen zeitlichen Abständen.

Warum ein so häufiger Wechsel an der Spitze?
Die Ratspräsidentschaft rotiert halbjährlich zwischen den EU-Mitgliedsstaaten gemäß einer festgelegten Reihenfolge: Jedes der derzeit 27 EU-Länder übernimmt etwa alle 13 bis 14 Jahre diese Aufgabe. Das hat Vor- und Nachteile, die man auszubalancieren sucht. Der Sinn besteht darin, alle Länder gleichberechtigt zum Zuge kommen zu lassen. Dadurch wird einer Dominanz größerer und ökonomisch potenterer Länder über kleinere vorgebeugt und das gesamte Innovationspotenzial besser genutzt. Nachteilig ist der mit diesem häufigen Wechsel verbundene Mangel an Kontinuität; dem wird jedoch durch die Orientierung an einem jeweils von drei Ländern erarbeiteten „Achtzehnmonatsprogramm“ gegengesteuert, an dem ebenfalls in einem festgelegten Rhythmus alle EU-Länder mitwirken.

Können die Länder in ihrer Amtszeit trotzdem eigene Schwerpunkte setzen?
Durchaus. Die Amtsperiode in der zweiten Jahreshälfte 2020 wird erhebliche Herausforderungen und Probleme mit sich bringen. Angela Merkel hat deshalb bereits vorab einige programmatische Schwerpunkte genannt. Vorrangig ist für sie nach dem Brexit und der Pandemie ein leistungsfähiges Gesundheitssystem, die Bekämpfung des Klimawandels, der soziale Zusammenhalt und eine „wirtschaftliche Ertüchtigung“ aller Länder Europas.
Hermann-Josef Benning

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2020)
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