1. Oktober 2020

Ein Haus für Juden, Christen und Muslime

Von nst5

Mitten in Berlin soll das House of One entstehen – ein Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen Judentum, Islam und Christentum.

Zugleich ist das Projekt ein Zeichen des Widerspruchs in einer Zeit, in der Religion zur reinen Privatsache erklärt oder von Autokraten und Populisten zum eigenen Machterhalt missbraucht wird.

„Du bist ewig unser, und wir sind dein“, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einer Videoansprache über die Hagia Sophia, in der am 24. Juli zum ersten Mal seit 80 Jahren das Freitagsgebet stattfand. Die Hagia Sophia im heutigen Istanbul war im 6. Jahrhundert als byzantinische christliche Kirche erbaut worden. Mit der Eroberung der Stadt durch die Osmanen wurde die Kirche im 15. Jahrhundert zur Moschee, bis sie schließlich in den 1930-er Jahren zum Museum erklärt wurde. Präsident Erdogan ordnete Anfang Juli die Rückumwandlung in eine Moschee an. Die türkischen Behörden erklärten diesen symbolischen Akt zum Triumph des Islam und zum Sieg über den Westen.
Der türkische Präsident ist nicht der einzige Autokrat, der geschickt religiöse Symbole für sich nutzt, um den eigenen Machtanspruch zu unterstreichen. Oft spielen sakrale Gebäude eine wichtige Rolle. Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Rassismus im Zusammenhang mit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd marschierte US-Präsident Donald Trump Anfang Juni vom Weißen Haus zur St. John Episkopalkirche und streckte demonstrativ eine Bibel in schwarzem Einband wie einen Siegerpokal in die Höhe. Wenige Monate vor der Präsidentenwahl wollte er gezielt evangelikale Christen ansprechen, eine wichtige Basis seiner Wählerschaft. Dass er selbst mit Religion wenig am Hut hat – geschenkt. Ähnliche Muster finden sich beim russischen Präsidenten Putin, der sich gerne mit Vertretern der russisch-orthodoxen Kirche zeigt, aber auch in Polen paktiert die Regierung mit Teilen der katholischen Kirche. Immer geht es um Macht und immer wird eine Frontstellung konstruiert: Wir gegen die. Die, das sind oft die Gläubigen anderer Religionen oder die säkulare Gesellschaft.
Ist all das eine Gegenreaktion auf das zunehmende Aufeinandertreffen unterschiedlicher kultureller, religiöser und politischer Vorstellungen durch die Globalisierung? Leben wir also in einer Zeit der Konfrontation, der Abgrenzung, der Rückbesinnung auf das Eigene? Und lassen sich die Religionen von Populisten und Autokraten allzu leicht vor den Karren spannen?

Foto: (c) House of One

Das Berliner Projekt „House of One“ setzt einen bewussten Kontrapunkt. „Das House of One ist ein Haus des gegenseitigen Respekts“, umschreibt Rabbiner Andreas Nachama, einer der Initiatoren, dieses einzigartige Vorhaben. Juden, Christen und Muslime bauen gemeinsam ein Haus, unter dessen Dach sich drei separate Gebetsräume, eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee befinden. In der Mitte, zwischen den drei Gotteshäusern, wird es einen vierten Raum, den Kuppelsaal, geben. „Ein Raum für den Trialog zwischen den Religionen, aber auch für den Dialog mit der Stadtgesellschaft, auch der nichtreligiösen“, so Rabbiner Nachama. Die Architektur ermöglicht es gleichermaßen, sich zurückzuziehen und in der je eigenen Tradition zu beten wie einander zu begegnen, voneinander zu lernen und das Verbindende zu suchen. Gebaut wird in Ziegelbauweise auf den Fundamenten der alten evangelischen Petrikirche, die im Krieg schwer beschädigt und 1964 abgerissen wurde.
Obwohl bereits 1924 in Berlin Wilmersdorf die älteste noch erhaltene Moschee Deutschlands erbaut wurde und es auch einige neuere prachtvolle Moscheen in Berlin gibt, findet muslimisches religiöses Leben auch heute noch vor allem versteckt in Industriegebieten statt. Nach der planmäßigen Auslöschung durch die Nationalsozialisten kehrt jüdisches Leben seit dem Mauerfall wieder zaghaft in das Stadtbild zurück. Die beiden christlichen Kirchen mussten in den vergangenen Jahren wegen des Mitgliederschwundes etliche Kirchenbauten schließen oder gar abreißen. Das House of One ist ein mutiges und selbstbewusstes Zeichen der drei großen monotheistischen Religionen in einer Stadt, in der Religion längst reine Privatangelegenheit ist.

Mai 2020: Multireligiöses Gebet für mehr Zusammenhalt in der Corona Krise vom House of One in der Parochialkirche in Berlin Mitte. – Foto: (c) House of One

„Wir religiöse Menschen sollten gemeinsam arbeiten“, fasst Imam Kadir Sanci die Intention des Projektes zusammen. „Zusammen sind wir die Mehrheit der Menschen auf der Welt und dadurch haben wir eine besondere Verantwortung, friedliche Lösungen für Konflikte zu finden.“ Dass der Weg des Dialogs nicht einfach ist, weiß auch Pfarrer Gregor Hohberg, Präsident der Stiftung House of One. „Es geht nicht um Himmelsstürmerei. Das House of One ist ein Haus, in dem das Machbare probiert wird und die Grenzen des Machbaren angesprochen werden.“ Bereits während der nunmehr zehnjährigen Planung gibt es Erfahrungs- und Lernprozesse im Begegnen mit der jeweils anderen Religion. Kerstin Krupp, Pressesprecherin des House of One, spricht von „Entdeckungen und Erfahrungsdimensionen in den jeweils anderen Religionen, die im Eigenen nicht so präsent sind oder durch religionsgeschichtliche Entwicklungen etwas in den Hintergrund getreten sind.“
Dialog, Begegnung, Kommunikation, Auseinandersetzung mit dem Anderen, aber auch fruchtbarer Streit – daran geht für die Initiatoren des House of One kein Weg vorbei. Es war kein Zufall, dass sie für den Tag der Grundsteinlegung den 14. April 2020 gewählt hatten – auch wenn der Festakt wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste. Exakt 237 Jahre zuvor fand in Berlin die Uraufführung von Gottfried Lessings Drama „Nathan der Weise“ statt. Grundlegend für dieses bedeutende Werk der Aufklärung ist die gute Tat und das Aufrechterhalten von Kommunikation:

Der Jude Nathan, dessen Frau und Kinder durch Kreuzritter ermordet werden, nimmt die Tochter eines sterbenden Freundes – ein zum Christentum konvertierter Moslem – an Kindesstatt an. Jahre später begnadigt der muslimische Sultan Saladin einen Kreuzritter, weil dieser seinem verschollenen Bruder ähnelt. Diese beiden guten Taten ermöglichen religionsübergreifend erst eine weitere gute Tat, nämlich dass eben dieser begnadigte Kreuzritter Nathans angenommene Tochter aus den Flammen seines brennenden Hauses rettet, jedoch von einem Juden keinen Dank annehmen will. Nathan akzeptiert die Beendigung der Kommunikation nicht, er bemüht sich inständig um einen Diskurs. Nur diesem Bestreben ist es schließlich zu verdanken, dass der dramatische Knoten gelöst werden kann.
„Lessing wollte ein Katalysator des guten Streits sein, der voranbringt“, erläutert Roland Stolte, Theologe und Vorsitzender des Verwaltungsdirektoriums der Stiftung House of One. „Katalysator eines guten Streits ist auch das House of One, für eine kluge Religionskritik, aber auch für eine kluge Kritik unter den Religionen und ebenso für eine kluge Kritik der Religionen an der Gesellschaft.“ Der Ort des House of One sei „zwischen den Stühlen“: ein Haus der Religionen, aber nicht bestimmten religiösen Institutionen zuzuordnen. „Es ist politisch, aber nicht Teil der Politik; es ist in der Mitte der Gesellschaft, geht aber nicht in ihr auf.“ Das House of One habe etwas „Subversives“. Und diese Wesensart ist es, die Religion davor bewahrt, sich allzu willfährig instrumentalisieren zu lassen von den Mächtigen der Welt. Und deswegen ist das House of One ein Zeichen des Widerspruchs und der Hoffnung, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.
Christian Bahlmann

House of One – Gertraudenstraße. Foto: (c) Kuehn Malvezzi, Visualisierung Davide Abbonacci, Kuehn Malvezzi

Die Stiftung House of One
ging 2016 aus dem im Oktober 2011 gegründeten Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin e.V.“ hervor. Gründungsmitglieder sind unter anderem die Jüdische Gemeinde zu Berlin, der evangelische Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte und das Forum für Interkulturellen Dialog e.V. (als muslimischer Partner). Gemeinsam bauen Juden, Christen und Muslime ein Haus. Anfang 2021 soll der Bau beginnen. Als Zeitraum sind vier Jahre veranschlagt. Die Baukosten betragen etwa 47 Millionen Euro. Finanziert wird das Projekt durch die Bundesrepublik Deutschland, die Stadt Berlin und aus Spenden.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2020)
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