1. Oktober 2020

Rasse

Von nst5

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA gehen in vielen Teilen der Welt Menschen gegen Rassismus auf die Straße. In Deutschland wird diskutiert, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Über seine Bedeutung und die Hintergründe.

Was bedeutet „Rasse“?
Der Begriff half seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Tier- und Pflanzengruppen nach typischen, vererbbaren äußeren Merkmalen oder geografischen Vorkommen zu unterscheiden und naturgeschichtlich zu ordnen. Er hatte die Bedeutung von „Unterart“, gilt aber wegen der willkürlichen Auswahl der Eigenschaften als überholt. Verwendet wird er noch bei Haustieren, wo unterschiedliche Merkmale nicht Ergebnis einer natürlichen Entwicklung, sondern zielgerichteter Züchtung sind.

Und was hat es mit dem Begriff „Menschenrasse“ auf sich?
In Jena versuchte der Mediziner und Zoologe Ernst Haeckel (1834 bis 1919), die Evolutionstheorie Charles Darwins auf die Menschheit anzuwenden. Er teilte sie in 12 Arten und 36 Rassen ein, deren Lebenswert er unterschiedlich beurteilte. Manchen sprach er eine Kultur vollends ab; nur die weiße Art habe eine Blüte der Kultur entwickelt. Die Nationalsozialisten im Deutschen Reich (1933 bis 1945), die von einer arischen „Herrenrasse“ sprachen und die vermeintlich jüdische Rasse zu vernichten suchten, beriefen sich unter anderem auf Aussagen von Haeckel.

Was sagen Biologen heute dazu?
Sie unterteilen die Menschheit nicht in Rassen oder Unterarten. Renommierte Wissenschaftler schrieben bei der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft 2019 in Jena in einer Erklärung, kein einziges Gen könne „rassische“ Unterschiede begründen. Die Einteilung der Menschen in Rassen sei eine gesellschaftliche und politische Typenbildung, die dazu diene, Rassismus mit angeblichen natürlichen Gegebenheiten zu begründen und damit eine moralische Rechtfertigung zu schaffen. Das Konzept der Rasse sei das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.

Warum steht das Wort im deutschen Grundgesetz?
In Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Der Begriff wurde 1949 aufgenommen, um nach den grausamen Verfolgungen von Minderheiten im Nationalsozialismus ein Zeichen gegen Rassenwahn zu setzen und seinem Wiederaufleben vorzubeugen.

Was spricht dafür, was dagegen, es daraus zu streichen?
Anlass der Debatte darüber ist eine Zunahme rassistischer Äußerungen und Taten, aber auch von Demonstrationen dagegen. Da der Begriff veraltet sei und biologisch nicht begründbar, habe er im Grundgesetz nichts zu suchen. Ihn ersatzlos zu streichen, verwässere jedoch das Verbot rassistischer Diskriminierung im Grundgesetz, halten andere dagegen. Manche wollen ihn daher durch „ethnische Herkunft“ oder „aus rassistischen Gründen“ ersetzen. Die Debatte gehe am Problem vorbei, fürchten wieder andere. Rassismus sei nicht abzuschaffen, indem man den zugrundeliegenden Begriff entsorgt. Zielführender sei es, wirksam gegen Rassismus vorzugehen.
Clemens Behr

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, September/Oktober 2020)
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