7. April 2021

Auf jeden Fall gewonnen

Von nst5

Stefano Amberg, Zürich

Foto: privat

Stefano Amberg, 22, kommt gebürtig aus Mannheim. Nach seinem Bachelorstudium der Physik in Heidelberg verbrachte er ein Jahr in Rom am Internationalen Zentrum der Fokolar-Bewegung. Nun studiert er in Zürich im Master Science, Technology and Policy. Er beschäftigt sich vor allem damit, wie Wissenschaft und Politik in aktuellen Fragestellungen wie dem Klimwandel, der Energiewende und Big Data in Kommunikation treten.

Letzte Woche lernte ich eine neue Person kennen und wir kamen ein wenig ins Gespräch. Als wir darauf stießen, dass ich halb deutsch und halb italienisch sei, kam direkt folgende Frage auf: „Wenn Deutschland und Italien gegeneinander Fußball spielen, für wen bist du da?“
Und wieder einmal war ich, auf sehr harmlose Weise wohlgemerkt, mit meiner Herkunft konfrontiert: Deutschland oder Italien?
Als Sohn einer italienischen Mutter und eines deutschen Vaters kam es mir dabei eigentlich immer so vor, dass ich Glück hatte, das beste beider Welten zu genießen. In Deutschland bin ich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen und habe sicher auch vom wirtschaftlichen Wohlstand Deutschlands profitiert. In den Sommerferien hingegen konnte ich stets meine Verwandten besuchen und mir so auch eine weitere Kultur aneignen.
Somit stand für mich persönlich nie wirklich ein „Deutschland oder Italien“ im Raum, ich empfand es schon immer vielmehr als ein „Deutschland und Italien“.
So leicht wie ich hatten es aber leider nicht alle meine Freundinnen und Freunde. Ich habe das große Glück aus einem anderen westeuropäischen Land zu kommen und zudem sieht man mir meine Herkunft auf den ersten Blick nicht an. Ich habe eine gute Bildung genossen, in der mir meine zweite Sprache oft als ein „Bonus“ angerechnet wurde, so war es aber nicht bei jedem. Chinesen, Türken oder Polen wurden teilweise ganz anders behandelt als ich, obwohl wir doch alle „halbe Ausländer“ waren, nur fiel es bei mir nicht direkt auf.
So sehe ich mich nun selbst ständig mit zwei Standpunkten konfrontiert:
Einer, in dem die Herkunft als potenzielle Last angesehen wird, auf die man unwillentlich reduziert, wird und was schließlich dazu führen kann, dass man sich weder in Deutschland noch in seinem zweiten Herkunftsland wirklich zu Hause fühlt.
Auf der anderen Seite jener, in dem die Herkunft als zusätzliche Bereicherung angesehen wird, die einem womöglich noch weitere Türen öffnen kann.
Gerade hier beobachte ich bei vielen meiner Gleichaltrigen, dass wir bereits über solche Vorurteile hinausgewachsen sind: In meinem Bachelorstudium lernte ich viele weitere „Halb-“ und „Ganz“-Ausländer und -Ausländerinnen kennen, und nun studiere ich selbst als Ausländer in Zürich, in einem Studiengang, der mit über 80 Prozent wohl eine der höchsten „Internationals“-Quoten besitzt. Für meine Mitstudierenden und mich ist das eine große Bereicherung.
Der Weg zu wahrer kultureller Akzeptanz ist noch weit, aber hoffentlich können wir durch genau solche Erfahrungen dazu beitragen, dass über alle Alters- und Bildungsstufen hinweg in nicht allzu ferner Zukunft jede und jeder mit einem pluralen Hintergrund wie ich auf die obige Frage guten Gewissens antworten kann: „Wenn Deutschland und Italien gegeneinander Fußball spielen, dann habe ich bereits gewonnen: Der Sieger ist sicher ‚meine‘ Mannschaft.“

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, März/April 2021)
Ihre Meinung ist uns wichtig, schreiben Sie uns! Anschrift und E-Mail finden Sie unter Kontakt.
(c) Alle Rechte bei Verlag Neue Stadt, München