18. Mai 2021

Es braucht nicht viel!

Von nst5

Trotz anfänglicher Scheu hat Petra Gnaser beherzt Kontakt zu Jüdinnen gesucht. Gefunden hat sie Freundschaften und eindrückliche Erlebnisse.

Foto: privat

Petra Gnaser, Jahrgang 1956, gebürtig aus dem Burgenland, lebte von 1988 bis 2018 mit ihrem Mann und drei Kindern in Kaiserslautern. Dort hat die Christin an vielen interreligiösen Begegnungen teilgenommen; Freundschaften mit Jüdinnen sind entstanden. Seit Mai 2018 lebt sie wieder in Wien und beginnt auch dort erste Kontakte zur jüdischen Gemeinde zu knüpfen.

Die Begegnung mit Menschen anderer Religionen liegt mir am Herzen und so habe ich in Kaiserslautern häufig an interreligiösen Veranstaltungen teilgenommen. Dabei habe ich oft dieselben Personen gesehen, auch Jüdinnen. Gespräche haben sich keine ergeben, auch wegen einer Scheu auf meiner Seite – im Hinterkopf schwang immer das Schuldgefühl mit. Und obwohl ich viel über das Judentum gelesen hatte, war da auch Respekt und die Sorge, wie ich mich verhalten sollte, ohne jemand zu nahe zu treten.
Eines Tages, kurz vor Ostern, habe ich in der Stadt eine der Frauen gesehen, von der ich wusste, dass sie Jüdin ist. Ich habe all meinen Mut zusammengenommen, bin auf sie zugegangen und habe ihr ein schönes Pessach-Fest gewünscht. Sie hat mich sofort sehr herzlich in die Synagoge eingeladen. Ich bin hingegangen. Für mich war alles neu. Sie haben das sofort bemerkt und mir ein Gebetbuch gebracht. Davon gab es in Kaiserslautern zwei Varianten: hebräisch – deutsch und hebräisch – russisch. Ich hatte die russische Version bekommen. Sie nutzte mir wenig. So habe ich das hebräische Gebet einfach still auf mich wirken lassen. Das war sehr beeindruckend! Genauso wie die Liebe zur Tora zu erleben, die sich durch viele kleine Gesten ausdrückte, als die Schriftrolle durch die Reihen getragen wurde.
Später habe ich dann bei der Verlegung von Stolpersteinen eine andere Jüdin kennengelernt und auch sie hat mich in die Synagoge eingeladen. Durch die Teilnahme an den Gebeten und beim anschließenden Beisammensein habe ich auch ihre Not mitbekommen: Viele der Mitglieder mit russischer Muttersprache sprachen nur wenig Deutsch. Mit zwei der Frauen haben wir dann Deutsch-Unterricht organisiert. So sind viele Kontakte und sehr schöne Freundschaften entstanden. Ich wurde zu den Festen eingeladen. Sehr getroffen hat mich dabei immer wieder die Tiefe der Texte: An Chanukka, dem achttägigen Tempelweihfest, ist das so heiter, lustig; an Jom Kippur eine einzige Gewissenserforschung zum Thema Versöhnung. Und: Es ist immer das ganze Wesen einbezogen! – Wie viele Gebete sich um die Psalmen drehen, die ich als Christin ja auch kenne. Natürlich wusste ich um dieses gemeinsame Erbe, aber es zu erleben, war doch etwas anderes.
Jetzt sind mein Mann und ich seit gut einem Jahr wieder in Wien. Über eine Tanzgruppe der jüdischen Volkshochschule habe ich erste zaghafte Versuche der Kontaktaufnahme gemacht. Durch die Pandemie waren kaum persönliche Begegnungen möglich. Trotzdem habe ich bemerkt, wie unterschiedlich die Gemeinde im Vergleich zu Kaiserslautern ist. Hier stammen manche aus alten Wiener Familien oder Ungarn und anderen Nachbarländern. Aber auch hier gilt: Oft braucht es nur wenig, um ein Zeichen zu setzen. So habe ich im letzten Sommer mit Bezug auf das Gedenken von „600 Jahre Vertreibung der Juden aus Wien“ in einer kleinen Gruppe gesagt: „Wir sind froh, dass ihr wieder da seid!“ Daraus haben sich schöne und tiefe Gespräche ergeben. Und zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar habe ich über die Whatsapp-Gruppe einen kurzen Gruß geschickt, dass ich mit ihnen ihrer Angehörigen gedenke und sie drin habe.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2021)
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