3. August 2021

Gemeinsam handeln für die Welt

Von nst5

Seit vier Jahren lebt Isolde Böttger aus Deutschland im Kongo.

Seit gut einem Jahr ist die Bolivianerin Noelia Crespo Catalayud in Deutschland. Beide sind von AGIAMONDO vermittelt, einer Organisation, die mit Partnern überall auf der Welt Lösungen für den sozial-ökologischen Wandel entwickelt. 

Die Dynamik des Lebens und die vielen wunderbaren Menschen im Kongo begeistern Isolde Böttger. Doch das Eintauchen in die Kultur war heftig. – Foto: privat

„Ich musste echt lernen, nicht zu beurteilen. Sonst werde ich keinem gerecht oder gehe selbst drauf.“ Tiefe Erschütterung und große Begeisterung werden spürbar, wenn Isolde Böttger davon erzählt, was sie lebt, seit sie vor fast vier Jahren in die Demokratische Republik Kongo aufbrach. Voller Liebe und Herzlichkeit erzählt sie, wie sie zunächst nach Kinshasa ging, um mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, wie sie jetzt nach Goma wechselt, eine Millionenstadt am Rande der Bürgerkriegsregion, um beim Aufbau einer Schneiderei mit Ausbildungsstellen zu helfen. Sie ist begeistert von der Kreativität und Stärke der Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet, von der Dynamik des Lebens im Kongo und von den vielen wunderbaren Menschen dort. Was die Tatsache, dass sie Deutsche ist, in der Begegnung mit dieser anderen Kultur bedeutet, hat sie jedoch in einem Maße erschüttert, das die gestandene Frau und erfahrene Krankenschwester so nicht erwartet hat.
„Jetzt oder nie“, dachte sich Noelia, als sie in Bolivien ihren Job aufgab, um eine Arbeit in der Entwicklungszusammenarbeit anzunehmen, und zwar in Hildesheim, mitten in Deutschland. Noelia Crespo Catalayud mag Menschen und andere Kulturen. Sie ist Ingenieurin für erneuerbare Energien, hat eine herzliche, erfrischende Art, die auch ein Telefoninterview zu einem spannenden Austausch macht, und sie zeigt, dass Entwicklungszusammenarbeit keine Einbahnstraße mehr von den reichen in die ärmeren Länder ist, sondern dass ein globaler Austausch alle weiterbringt.

Die Bolivianerin Noelia Crespo Catalayud arbeitet in der Abteilung Weltkirche des Bistums Hildesheim. Ihr Beispiel zeigt, dass Entwicklungszusammenarbeit keine Einbahnstraße mehr ist. – Foto: privat

Vom Entwicklungsdienst zum Weltdienst – dieser Neuausrichtung hat sich AGIAMONDO verschrieben, die Organisation, die Noelias und Isoldes Arbeit vermittelt hat. Der Wandel zum Weltdienst, also zur gegenseitigen Unterstützung, ist allerdings gar nicht so einfach, denn die Haltung einer echten gegenseitigen Wertschätzung wird global noch lange nicht gelebt. Die Länder des Südens leiden noch unter den Traumata der Kolonialzeit, die Länder des Nordens unter der Überheblichkeit ihres Rassismus, und die wirtschaftlichen Dynamiken geben kapitalistischen Entscheidungen Vorrang vor ökologischen und sozialen. Die Arbeit von AGIAMONDO zeigt aber einige Wege auf, wie Weltdienst gelingen kann. 1959 unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe e.V.“ gegründet, ist AGIAMONDO – ein Kunstwort für „Gemeinsam handeln für die Welt“ – mit dem Ziel angetreten, Personal zu vermitteln, das in gemeinsamen Lernprozessen mit Partnerorganisationen Lösungen entwickelt, die zum sozial-ökologischen Wandel beitragen. Einen solidarischen Dienst zu leisten, ist ausdrücklich Teil der Motivation der vermittelten Personen. 
AGIAMONDO unterstützt auch den Austausch zwischen Menschen aus den Ländern des Südens selbst. Im Juni 2019 organisierte die Organisation zusammen mit den kolumbianischen Partnern von Corporación PODION in Kolumbien ein Seminar „Servicio al mundo – Weltdienst”. Etwa 80 Vertreter verschiedener Kirchen, zivilgesellschaftlicher Organisationen und indigener Gruppen aus 14 Ländern Süd- und Mittelamerikas, Afrikas und Europas kamen zusammen, um ein Netzwerk ins Leben zu rufen. Diskutiert wurden Themen wie Ökologie, Wirtschaft und Kultur. Neben dem fachlichen Austausch zeigte sich die zwischenmenschliche Nähe als besonders wertvoll. Viele der Teilnehmenden hatten Tote unter ihren Kolleginnen und Kollegen zu beklagen, so dramatisch sind die politischen Verhältnisse oft. Einige erhalten selber Morddrohungen. Hier kann ein Mensch mit einer neuen Perspektive Bewegung in verhärtete Fronten bringen oder Kraft und Geduld zeigen, die an anderer Stelle längst verbraucht sind.

Foto: privat

Isolde Böttger war bereits in Deutschland in der Fokolar-Bewegung engagiert, die auch die Trägerin der Projekte im Kongo ist, für die Isolde arbeitet. Sie traf dort also auf Menschen, die ihre Werte und Lebenseinstellung teilen.
Dennoch war das Eintauchen in die Kultur so heftig, dass es Isolde noch im ersten Jahr an den Rand des Burnouts brachte. In Deutschland hatte sie sich nie als besonders reich empfunden. Im Kongo aber hatte sie durch ihre Herkunft Ressourcen, die für den Aidskranken Bruder der einen Freundin, oder für die Ausbildung der Kinder einer anderen Freundin über die Zukunft von Menschen, ja sogar Leben und Tod entscheiden können. „Ich kam mit dem Wunsch zu helfen“, sagt Isolde „und wurde vom Ausmaß der Not völlig überrollt.“
Die Begleitung, die Isolde bei AGIAMONDO erhielt, half ihr, ihre Situation besser zu verarbeiten und ihren Einsatz mit neuer Kraft zu gestalten. Nach drei Jahren in der Hauptstadt Kinshasa begann im November 2020 ein neues Projekt für sie, in Goma. Ihre Arbeit ist finanziert über die Fokolar-Bewegung und die Katholische Zentralstelle für Entwicklung e.V. Angestellt ist sie bei der Association pour l’Economie de Communion (AECOM) in Goma. Der Impuls zu diesem Projekt stammt von den Menschen vor Ort, die über lange Zeit die Grundlagen haben wachsen lassen, dass dieser Schritt jetzt möglich ist.

Isolde Böttger ist beeindruckt von der Kreativität und Stärke der Menschen, mit denen sie zusammenarbeitet. – Foto: privat

Eine Weltgemeinschaft aller Menschen muss sich in Vielfalt und Verschiedenheit zeigen. Das bedeutet, dass jeder etwas zu lernen und etwas zu lehren hat. Deshalb vermittelt AGIAMONDO auch Fachkräfte nach Deutschland – wie etwa Noelia. 2020 waren außer ihr vier weitere Fachkräfte aus dem globalen Süden hier.
In Hildesheim arbeitet Noelia für das Bistum in der Abteilung Weltkirche. Sie organisiert den Austausch von Jugendlichen zwischen Deutschland und Bolivien und begleitet junge Deutsche, die ein Auslandsjahr in ihrer Heimat machen. Die vielleicht größte Herausforderung für sie war der Corona-bedingte Lockdown. „Ich bin gekommen, um Beziehungen zu knüpfen, und war ganz alleine im Homeoffice.“ Beherzt entschließt sich Noelia, nicht in der Isolation zu verharren, sondern gerade jetzt bewusst in die Beziehungen zu investieren, die möglich sind. Sie vermittelt oft zwischen Organisationen der beiden Länder. Meistens sind es praktische Themen, die hier und da einfach anders sind. Noelia findet kreativ Wege und hilft so, dass nicht nur eine Seite ihren Stil durchsetzt. Was die Jugendlichen beider Länder verbindet, ist ihr Engagement für den Umweltschutz, ein Thema, das globale Solidarität besonders erfordert.
An den Beginn ihrer Festschrift zum 60-jährigen Bestehen 2019 hat AGIAMONDO ein Zitat aus dem Text „Laudato Si“ von Papst Franziskus gestellt: „Die dringenden Herausforderungen, unser gemeinsames Haus zu schützen, schließt die Sorge mit ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen“ (Laudato Si 13). Zu der einen Menschheitsfamilie zu gehören, spiegelt sich in den Erfahrungen von Noelia und Isolde wider. Noelia hat helfen können, festgefügte Meinungen zu hinterfragen: „Auch Deutsche können chaotisch sein“, sagt sie lachend. Übrigens hat sie sich, ganz ohne AGIAMONDO und die Arbeit, in einen Deutschen verliebt. 
Wenn Isolde von ihrem Projekt erzählt, spürt man eine Liebe für die Menschen, mit denen sie arbeitet. Sie ist verändert durch die Begegnungen im Kongo. Das macht Besuche in der Heimat nicht gerade leichter. In Deutschland wird sie oft bewundert für ihre Arbeit. „Toll, wie du das machst. Das könnte ich nie!“, heißt es da. Aber das wird ihrer Erfahrung nicht gerecht, sondern bestärkt die Perspektive, ein Opfer zu bringen, um heldenhaft anderen, Schwächeren, zu helfen. Isolde sagt von sich: „Ich habe gelernt, demütig zu sein. Ich möchte meinen Beitrag geben, aber es ist Gott, nicht ich, der die Welt verändert.“
Teresa Mühlig

Foto: (c) AGIAMONDO Rendel Freude

AGIAMONDO e.V. wurde 1959 unter dem Namen „AGEH – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe e.V.“ gegründet als Plattform für Personalvermittlung und Beratung in der Entwicklungshilfe. 
2020 arbeiteten 246 Fachkräfte in 59 Ländern der Welt mit AGIAMONDO. Vornehmlich katholische Organisationen treten an AGIAMONDO heran mit der Bitte geeignete Fachkräfte für bestimmte Stellen zu finden. Die Organisation übernimmt sowohl die Vermittlung als auch die Vor- und Nachbegleitung und hilft kleinen Organisationen bei der Suche nach Finanzierung für die Stellen. AGIAMONDO ist außerdem eine von neun Organisationen, die den von der deutschen Bundesregierung geförderten zivilen Friedensdienst umsetzen.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2021)
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