2. August 2021

Ein wenig Enttäuschung darf sein

Von nst5

Urlaub! Die schönste Zeit des Jahres.

Aber kaum am Ferienort angekommen, zeigt sich, wie unterschiedlich die Erwartungen an die gemeinsamen Tage sind. Was tun, damit alle auf ihre Kosten kommen?

Gertrude Pühringer,
Lehrerin, Engerwitzdorf/Linz
Seit vielen Jahren fahren wir im Sommer mit unseren vier Kindern nach Bad Gastein. Inzwischen sind wir mit dem Ort und seinen Möglichkeiten zur Erholung bestens vertraut. Die Vorfreude auf den Urlaub in den Bergen ist bei allen immer groß.
Wir genießen die gemeinsame Zeit, und dennoch haben wir – auch bedingt durch das Alter unserer Kinder, sie sind zwischen 10 und 18 Jahre – bemerkt, dass wir nicht alle Unternehmungen gemeinsam machen müssen: Wir alle essen gerne Pilze und Heidelbeeren, die wir in den Wäldern finden, aber nicht alle verbringen gerne viel Zeit mit dem Suchen. So teilen wir uns seit einiger Zeit auf. Nicht jeder muss sofort Pilze suchen, sobald der Urlaubsort erreicht ist.
Bei unseren Gipfelbesteigungen merken wir, dass es wichtig ist, aufeinander zu schauen und auch mal Kompromisse einzugehen. Vor zwei Jahren wollten wir zum ersten Mal den Schareck besteigen. Dafür mussten wir einen Gletscher überqueren. Reicht die Ausrüstung, die wir haben? Sollen wir es riskieren? Teilen wir uns auf? Wir waren unterschiedlicher Meinung. Nach einigen Diskussionen entschlossen wir uns, alle umzukehren. Umso schöner war das Erlebnis ein Jahr darauf – als wir mit der nötigen Ausrüstung und bei traumhaftem Wetter den Gipfel gemeinsam erreichten.
Die richtige Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und Kompromissen zu finden, ist eine Herausforderung, macht Urlaub aber zu einer erholsamen Zeit für alle.

Viki Bock,
Lehramtsstudentin, Weingarten
Bei dieser Frage denke ich sofort an einen gemeinsamen Urlaub mit Freundinnen und Freunden in Osttirol. Ich habe viele schöne Momente in Erinnerung. Aber ich weiß auch noch, dass ich in dieser Zeit immer wieder vor innerlichen Herausforderungen stand: Das begann damit zu verstehen, ob ich morgens direkt die Bergschuhe anziehen oder lieber gemütlich ausschlafen wollte. Herauszufinden, welche Option mich im Moment entspannt – das kann mir schwerfallen.
Das wurde nicht leichter dadurch, dass ich mit Freundinnen und Freunden unterwegs war, bei denen natürlich auch unterschiedliche Bedürfnisse bezüglich der Tagesgestaltung existierten. Klar – wir waren miteinander in den Urlaub gefahren und wollten die Zeit genießen. Aber bekommen wir all unsere Wünsche unter einen Hut? Muss ich als Teil der Gruppe auf etwas verzichten, nach dem ich mich eigentlich sehne? Oder andersherum: Könnte ich beim Festhalten an meinen Wünschen eine Aktion verpassen, auf die ich alleine nicht gekommen wäre?
Für mich war das ein Spagat zwischen dem Hören auf meine Bedürfnisse und dem Ausprobieren anderer Herangehensweisen, die wirklich inspirierend sein können. Rückblickend kann ich sagen, dass es für mich nicht den einen Weg gibt. Aber ich glaube, wenn wir unsere Bedürfnisse untereinander offen kommunizieren, findet sich eine Möglichkeit, dass es für alle Tage voller schöner Erinnerungen werden. So jedenfalls war es in Osttirol.

Clemens Metzmacher,
Diplom-Psychologe und Supervisor, Dresden
Urlaub ist wichtig, gerade nach den Anstrengungen unserer Corona-Zeit. Wir brauchen einen Wechsel in einen anderen Modus, körperlich und geistig. Das geschieht aber nicht von einem Tag auf den anderen, sondern ist ein oft längerer Prozess mit verschiedenen Phasen von Anspannung und Entspannung. Dass solche Übergänge manchmal als „Krisen“ erlebt werden, ist ganz verständlich. Hier hilft Gelassenheit mit sich und den anderen: Es darf so sein, und ich muss das nicht an den anderen oder mir selbst „abarbeiten“.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Erwartungen an den Urlaub – auch dann, wenn man ihn zu Hause verbringt – verständlicherweise sehr hoch sind: Das, was ansonsten fehlt, soll hier geschehen. So gesehen, ist es sinnvoll, die Erwartungen etwas zu senken. Es kann auch hilfreich sein, sich über die eigenen Bedürfnisse wirklich klar zu werden, sie zu gewichten und sie auch zu benennen. Denn oftmals gehen wir davon aus, dass die anderen das wissen müssten.
Dann kann man in den Austausch gehen und die Frage, was man gemeinsam und was einzeln machen möchte, mit einer guten Mischung beantworten. Die Haltung, auch ein bisschen unzufrieden bleiben zu dürfen, kann entlastend sein und damit die Möglichkeit für überraschend andere Urlaubserlebnisse öffnen. Über alle Erwartungen hinaus.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2021)
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