3. Februar 2022

Gute Miene zum bösen Spiel

Von nst5

Antonella Ritacco

Foto: privat

stammt aus Italien. Sie lebt seit fünf Jahren mit ihrem Mann im badischen Gengenbach und arbeitet als Psychotherapeutin in einer psychiatrischen Klinik. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit in der letzten elf Jahren war die Begleitung von Menschen, die ungewollt allein leben.

Eine häufige Form von Einsamkeit zeigt sich eher maskiert: nach außen mit einem vollen und aktiven Leben, aber einer tiefen Einsamkeit im Herzen. Viele Singles finden keinen Menschen, der die einzigartige Schönheit, die jede und jeder von ihnen in sich trägt, erkennt, auf sie setzt und sich deshalb binden kann.
Die Angst davor, verletzt und enttäuscht zu werden, führt bei vielen Singles zu einem dauerhaften, ungewollten Alleinsein. Sie wollen sich schützen und halten andere deshalb auf Distanz. Angst und Verschlossenheit, aber auch unrealistische Erwartungen spielen dabei eine Rolle. So sind sie oft lange Zeit einsam inmitten vieler Menschen, manchmal verzweifelt auf der Suche nach der oder dem anderen, manchmal resigniert und traurig – und machen dabei gute Miene zum bösen Spiel.
In all den Jahren, in denen ich Singles auf ihrem Weg begleitet habe, bin ich auf so viel Schönheit und Reichtum gestoßen, die nicht mit der Schönheit und dem Reichtum eines anderen zusammengefunden haben! Einige von ihnen mussten sich selbst noch finden; andere waren in Beruf und Freizeit so beschäftigt, dass sie gar keine Zeit hatten, um sich einem anderen angemessen zu widmen; wieder andere waren zu sehr an abstrakte Beziehungskonzepte oder an schlechte, nicht aufgearbeitete Erfahrungen gebunden.
Doch die Einsamkeit eines Singles beinhaltet ein Potenzial, das es freizusetzen gilt: Es handelt sich um eine „Einsamkeit in Bewegung“, die von Hoffnung geprägt ist und in die Zukunft blickt – anders als die Einsamkeit älterer Menschen, die auf die Vergangenheit blicken und sich auf Erinnerungen stützen. Diese Zeit der „Einsamkeit in Bewegung“ hat eine doppelte Bedeutung für den Single: Einerseits ist sie eine Zeit des Wartens, andererseits der Vorbereitung und des persönlichen Wachstums. In dieser Zeit geht es nicht darum, mit aller Macht einen Partner zu suchen, sondern um die grundsätzliche Offenheit für die Begegnung mit anderen Menschen. Dann wird der spezielle Moment kommen können, in dem eine Person, die man in einem anderen Kontext oder in einem anderen Moment gar nicht wahrgenommen hätte, die volle Aufmerksamkeit auf sich zieht und eine Partnerschaft beginnt.
Existenzielle Einsamkeit, also die Schwierigkeit, mit sich selbst allein zu sein, und relationale Einsamkeit, also der Mangel an Beziehungen, sind zwei Seiten derselben Medaille: Es geht immer um Beziehung – zu sich selbst oder zu anderen. Wer existenzielle Einsamkeit erlebt, muss lernen, die Beziehung zu sich selbst zu pflegen; wer relationale Einsamkeit erlebt, sollte darauf abzielen zu verstehen, was die Anbahnung und die gemeinsame Entwicklung von tiefen Beziehungen verhindert. Es geht nicht darum, sich von Idealbildern oder gesellschaftlichen Erwartungen leiten zu lassen. Im Gegenteil.
Worauf es ankommt, ist, sich der Logik der Liebe und der Dynamik intimer Beziehungen bewusst zu werden. Einander in der je eigenen Wahrheit erkennen, um sich gegenseitig so annehmen zu können, wie man ist: So kann man eine verbindliche Beziehung eingehen, ohne sich selbst zu verlieren.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Januar/Februar 2022)
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