4. Mai 2022

Den Menschen eine Stimme geben

Von nst5

Zuzana Hanusová und Martin Hanus

betrifft der Krieg beruflich und privat. Sie sind Journalisten und haben Freunde in beiden Ländern.

Foto: privat

Zuzana Hanusová und Martin Hanus sind Journalisten und arbeiten für die slowakische Online-Zeitung Postoj („Haltung“), Martin als Chefredakteur. Die beiden haben drei Kinder und leben in Zohor, einem Ort in der Nähe der Hauptstadt Bratislava.

Der anfängliche Schock über den Krieg wurde bald von Bestürzung und großer Traurigkeit abgelöst. Nicht weit von unseren Grenzen entfernt müssen die Menschen vor Bomben und Panzern fliehen, verstecken sich aus Angst in Kellern, und jeden Tag sterben Dutzende von Zivilisten.
Als Journalisten mussten wir schnell aktiv werden und Tag für Tag über die Entwicklungen an der Front berichten. Was vor wenigen Wochen noch unvorstellbar war, ist nun alltägliche Realität. Jeden Tag gibt es neue Nachrichten über eine weitere zerstörte Stadt, Zehntausende von Menschen sind auf der Flucht. Wir sind auf der Suche nach Kriegsgeschichten für unsere Leser, wir müssen die Wahrheit über das, was geschieht, aufdecken.
Aber es betrifft auch unsere persönlichen Beziehungen; es ist unmöglich, diesen Krieg abstrakt, unpersönlich zu leben. In der Ukraine haben wir Kontakt zu Mira, die mit uns in der Slowakei gelebt hat und kürzlich nach Kiew ging, um die dortige Fokolar-Gemeinschaft zu unterstützen. Auch sie musste fliehen und riskierte ihr Leben, um Waisenkinder aus der Ostukraine in Sicherheit zu bringen. Heute koordiniert sie die humanitäre Hilfe für die gesamte Ukraine an der Grenze (siehe Seite 17). Wir haben Angst um unseren Freund Marcel, der jahrelang die Seele unserer Gemeinschaft in Bratislava war und nun seit Jahren in Moskau lebt. Heute leidet und weint er um die Sünden der Nation, die er liebt, und schreibt, dass er sich lieber in der U-Bahn vor Raketen verstecken würde, als die Absurdität eines verleugneten Krieges in Russland zu erleben. Wir sind im Kontakt mit russischen Freunden, einer jungen Familie, die vor dem Putin-Regime nach Italien geflohen ist. Sie glaubten bis zum letzten Moment nicht, dass es zu einem Krieg von solchem Ausmaß kommen würde und öffneten ihr Haus für Flüchtlinge aus der Ukraine und aus Moskau. Sie haben öffentlich bekannt, dass es ihnen leidtut und dass sie sich schämen für die Kriegsgräuel, die aus ihrem Heimatland kommen. Wir haben einen jungen Ukrainer interviewt, der nach seinem Auslandsstudium in seine Heimat zurückgekehrt ist, um seinem Land nach „dem Maidan“, den Demonstrationen im Jahr 2014 für einen Systemwechsel, zu helfen. Früher arbeitete er in Kiew für ein internationales Unternehmen, und heute spricht er davon, dass er sein Land mit der Waffe in der Hand verteidigen wird.
Das sind Menschen, die wir mit Namen kennen. Wir sind Teil des Schicksalsdramas, das dieser Krieg ausgelöst hat, und in unserer Hilflosigkeit geben wir diesen Menschen eine Stimme. Viele slowakische Familien öffnen ihre Häuser für Flüchtlinge, für Mütter und Kinder, die ihre Väter im Krieg zurückgelassen haben. Jemand sagte einmal über die Slowakei, dass sie eine Brücke zwischen dem Westen und dem Osten sein sollte. Heute haben viele Slowaken, die prorussische Gefühle in sich hegen, das Gefühl, dass wir eher eine Pufferzone zwischen den tatsächlichen Kriegsparteien, USA und Russland, sind. Aber dieser Eindruck trügt: Es gibt nur eine Kriegspartei, die ohne Provokation einen schrecklichen Krieg angezettelt hat – und ihn auch wieder beenden kann.

Zuzana Hanusová und Martin Hanus

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Mai/Juni 2022)
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