2. August 2022

Sie öffnet den Horizont

Von nst5

Hoffnung ist ein schillernder Begriff.

Welche Bedeutung sie hat und warum sie mehr ist als Optimismus und positives Denken, erklärt Andreas Krafft, der sie seit mehr als zehn Jahren erforscht.

Herr Krafft, Sie messen, wie viel Hoffnung Menschen haben. Wie definieren Sie Hoffnung?
Hoffnung ist ein existentielles und sehr vielschichtiges Phänomen. Man kann sie in so vielen unterschiedlichen Facetten und in allen Lebenssituationen erleben oder auch verlieren. Sie richtet sich auf die Zukunft und entsteht, wie Thomas von Aquin sagte, wenn wir einen Wunsch haben und glauben können, dass seine Erfüllung möglich ist, wenn auch unsicher und vielleicht sogar unwahrscheinlich. Wenn wir hoffen, können wir darauf vertrauen, dass es Kräfte oder Ressourcen gibt, die uns dabei helfen werden und dank derer wir uns für das Erwünschte einsetzen und engagieren – selbst wenn es schwer scheint.

Ist es dann richtig zu sagen, dass wir auf schönes Wetter hoffen?
Je nachdem. Ich hoffe erst dann auf etwas, wenn es mir etwas bedeutet. Wenn ich morgen nichts Besonderes zu tun habe, dann nehme ich das Wetter wie es ist. Aber wenn morgen die Hochzeit unserer Tochter ist und wir draußen alles schön vorbereitet haben, ist mir das wichtig. Nicht weil mich das Wetter besonders interessiert, sondern weil es dann etwas anderes, besonderes ermöglicht.

Könnte man das nicht auch als Optimismus oder positives Denken bezeichnen?
Klar: Hoffen bedeutet, mit Kraft und Energie – positiv – an etwas herangehen. Aber wer hofft, ist sich der Schwierigkeiten, Hindernisse oder Probleme, die es gibt, bewusst. Hoffnung meint ja nicht einfach, alles wird gut. Hoffnung ist: Wir wissen, dass es auch nicht gut werden oder ganz anders kommen kann. Trotzdem halten wir daran fest, dass es doch möglich ist, wenn wir uns einsetzen oder daran glauben. Hoffnung entsteht immer dort, wo es Unsicherheit oder Ungewissheit gibt. Dort bewährt sie sich.

Hoffnung braucht also Vertrauen?
Unbedingt. In mich selbst, meine Fähigkeiten, aber vor allem in andere oder auch in eine höhere Macht, in Gott. Dieses Vertrauen befähigt uns zum Hoffen und Handeln.
Der Entwicklungspsychologe Erik Erikson hat gesagt, die erste Tugend, die sich entwickelt, ist die Hoffnung. Das Kleinkind ist ja völlig abhängig von anderen und verspürt immer die Angst, nicht versorgt zu werden. Gleichzeitig muss es das Vertrauen aufbauen, dass die Bezugsperson immer da ist. In diesem Widerstreit entsteht die Grundtugend der Hoffnung. Sie ist existenziell. Wenn wir nicht mehr hoffen würden, was würde uns dazu bewegen, jeden Morgen aufzustehen und unsere Aufgaben zu erfüllen? Wenn Zukunft sich nicht mehr als Möglichkeitsraum zeigt, entsteht Hoffnungslosigkeit und das meint letztlich Verzweiflung oder völlige Gleichgültigkeit.

Pandemie, Krisen, Krieg – da scheinen gerade alle Zeichen gegen Hoffnung zu stehen.
Ich würde sagen, gegen einen blauäugigen Optimismus, ja. Aber nicht, wenn ich davon ausgehe, dass Hoffnung sich gerade dann bewährt, wenn es uns nicht gut geht, wo es beschwerlich wird. Deshalb müssen wir vielleicht ein neues Verständnis von Hoffnung entwickeln.

Inwiefern?
In der Zukunftsforschung schauen wir nicht nur nach vorne, sondern auch in die Vergangenheit. Darauf, was die Menschheit schon alles überwunden hat. Da sehen wir ihre Resilienz, also ihre Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Wenn wir mitten drin stecken, Angst haben und besorgt sind, schließen sich psychologisch nachweisbar unsere Wahrnehmungsapparate; wir fokussieren uns auf das Negative und können kaum noch über den Tellerrand hinaus sehen. Hoffnung ist dazu die Gegenbewegung. Sie öffnet die Perspektive, den Horizont. Aber dafür muss ich mich aus der aktuellen Situation ein wenig herausnehmen.

Meiner Erfahrung nach hilft es, mit anderen gemeinsam unterwegs zu sein.
Ja. Tatsächlich ist Einsamkeit der größte Hoffnungskiller. Hoffnung braucht Beziehung. Das stellen wir auch in allen unseren Untersuchungen fest. Menschen, die in sozialen Beziehungen leben, haben eindeutig höhere Hoffnungswerte.

Christen sollten dann nachweisbar hoffnungsvolle Menschen sein.
Das zeigen unsere Ergebnisse. Bei Menschen, die an einen liebevollen, fürsorglichen und allmächtigen Gott glauben, liegen die Werte höher. Sie leben in Beziehung – mit Gott und anderen – und sie setzen sich für das Gute ein, tun etwas. Und das, was sie erhoffen, gründet in dem Glauben an einen Gott, der da ist und alles trägt.
Aber es gibt auch innerhalb des Christentums große Bandbreiten. Wer etwa das Bild eines strafenden Gottes vor Augen hat, tut sich schwerer. Und nicht immer gelingt es gläubigen Menschen, die Liebe zu Gott auch in Liebe zu sich selbst und andere umzumünzen. Wer aber mit sich selbst im Unreinen ist, kann nur schwer Hoffnung entfalten.

Was stärkt die Hoffnung?
In der Wissenschaft werden drei Faktoren genannt, die Hoffnung beeinflussen. Die einen sagen, es geht nur um die Selbstwirksamkeit, darum, was wir selbst tun können. Eine zweite Gruppe bezieht sich vor allem auf menschliche Beziehungen, auf die Familie, das soziale Umfeld und wie man sich gegenseitig hilft und unterstützt. Einer dritten Gruppe, aus der Theologie, geht es vor allem um die Beziehung zu Gott. Manchmal steht das abgekapselt nebeneinander. Aber eines bedingt das andere. Das ermöglicht uns, den Mut zu haben, uns auf eine Zukunft einzulassen, die unsicher ist, die wir nicht kennen, aber von der wir zumindest glauben können, dass sie besser wird als die Gegenwart. Dann können wir uns einsetzen, Verantwortung übernehmen, aber auch offen bleiben.
Gabriel Marcel, ein christlicher Existentialist aus Frankreich, hat gesagt: „Hoffnung ist, ich hoffe auf dich für uns.“ Ich hoffe, dass du da bist. Das meint die andere Person, aber auch Gott. Und weil es dich gibt und du für mich da bist, kann ich mich so annehmen und mich einsetzen für das, was uns gemeinsam interessiert, vereint und voranbringt.

Spiegelt sich das auch in Ihren Untersuchungen wider?
Spannend ist, dass das, worauf man hofft, wiederum zur Quelle neuer Hoffnung wird, sobald es eintritt. Menschen hoffen auf gute Beziehungen, auf eine glückliche Familie, Ehe, Partnerschaft, auf Gesundheit, eine sinnvolle Aufgabe, auf Harmonie im Leben. Und genau solche Erfahrungen geben neue Hoffnung. Im Glauben ist das genauso: Man hofft auf Gott, auf die Verbundenheit mit ihm. Und gleichzeitig ist Gott selbst die Quelle der Hoffnung.
Es ist interessant, dass sich dieser Kreislauf auch in Bezug auf andere – weltliche – Aspekte zeigt, die sich für den gläubigen Menschen letztlich auf diese Ursprungskraft, auf Gott, beziehen.

Man spricht oft vom „Prinzip Hoffnung“ …
… und im deutschsprachigen Raum meint das dann: „Na ja, wenn mir nichts anderes übrig bleibt, dann hoffe ich halt.“ Das ist eher Resignation. Während „Hope“ im Englischen etwas ganz anderes wachruft. Viel, viel positiver, enthusiastischer. „Hope“ ist ein Energiespender. Da sieht man kulturelle und philosophische Einflüsse. In Amerika spricht man ja auch von „The German Angst“ und beschreibt damit eine Kultur der Ängstlichkeit und der Absicherung, anstatt der Hoffnung und der Offenheit für Neues.
Es ist auch interessant, dass in afrikanischen und asiatischen Ländern die Hoffnungswerte höher sind als in Europa. Obwohl die Menschen eigentlich weniger Ressourcen haben, weniger Wohlstand, weniger materielle Möglichkeiten.
In Europa haben wir erstmals seit 300 Jahren die Situation, dass die junge Generation nicht davon ausgehen kann, dass ihre Zukunft besser wird als die Zukunft, die ihre Eltern in ihrem Alter hatten. Das hat nicht unbedingt Angst zur Folge, aber Perspektivlosigkeit. Die meisten Jugendlichen wünschen sich Freiheit. Sie wünschen sich aber auch Geborgenheit, gute Beziehungen, eine gute Familie. Sie wünschen sich einen nachhaltigen Lebensstil, eine naturverbundene Gesellschaft, fühlen sich aber oft ohnmächtig, weil sie den Eindruck haben, nur wenig dafür tun zu können. Dann geht Hoffnung verloren.

Was kann da wieder Hoffnung wecken?
In Projekten in Schulen geht es zunächst darum, den Blick auf das Positive zu schärfen. Oft sehen auch junge Menschen neben all dem Dunklen und Schlechten gar nicht mehr, wie viele gute Dinge in ihrem Umfeld passieren. Da hilft es schon, die Achtsamkeit dafür wiederzugewinnen. Mit ganz kleinen Schritten anfangen – etwa damit, jeden Tag drei schöne Dinge, die geschehen sind, aufzuschreiben. Der Glaube an die Zukunft beginnt ja mit dem Glauben an das Gute. Der zweite Schritt ist oftmals, sich die eigenen Stärken bewusst zu machen, das was uns – von Gott – in die Wiege gelegt wurde. Denn das sind die Ressourcen, die wir zur Verfügung haben, um Situationen zu bewältigen. Und dann: sich wieder trauen, Wünsche für die Zukunft zu formulieren. Unbeschwert, ungezwungen und mutig sich etwas wünschen für sich selbst und für die Welt. Erst dann geht es darum, sich zu überlegen, was es dafür braucht und mit welchen kleinen Schritten das zu verwirklichen sein könnte.
Das alles stärkt Hoffnung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Gabi Ballweg

Foto: privat

Andreas Krafft,
leitet seit 2015 das Internationale Forschungsnetzwerk des „Hoffnungsbarometers“. Damit werden jährlich empirische Daten zum Hoffnungsverständnis in insgesamt 14 Ländern erhoben. Er ist Dozent an den Universitäten in St. Gallen, Zürich, Berlin und Lissabon, außerdem Managementtrainer und -berater. Seit 2014 ist er Co-Präsident von swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung sowie im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Positive Psychologie. Krafft ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

(Erschienen in der gedruckten Neuen Stadt, Juli/August 2022)
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